Motorenlärm gegen Silvesterpanik
Im Kuhstall von Hans Hubert Müllejans in Aachen ist es laut. So laut, dass man sein eigenes Wort kaum versteht. Und die Kühe ihr eigenes Muhen nicht. Eben hat der Landwirt zwei große Trecker in den Stall gefahren. Sie stehen jetzt mitten zwischen den Kühen und laufen mit dröhnenden Motoren. So laut es geht. Dazu hat Müllejans auch alle Scheinwerfer an den Traktoren angemacht. Achtfach blendet es grell.
Lärm und Licht beeindrucken die Kühe offenbar wenig. Sie fressen ganz entspannt weiter. Genau das ist der Plan des Landwirts. Der Plan für die Silvesternacht. Denn Motorenlärm und grelles Licht tragen dazu bei, dass sich Silvester für die Kühe wie ein ganz normaler Tag anfühlt. Von lauten Böllern und flackernden Raketen sollen sie in ihrem Stall nichts mitbekommen. Lärm gegen Lärm, Licht gegen Licht also. Und das funktioniert.
Der Kuhstall des Landwirts aus Aachen liegt auf einem Hügel, der an Silvester als Aussichtspunkt sehr beliebt ist. Hunderte bestaunen von hier aus das Aachener Feuerwerk. Und böllern selbst kräftig mit. Nah an den Kühen, deren Gehör sensibler ist als das des Menschen.
Für Müllejans ist die Silvesternacht deshalb eine besondere. So wie für viele andere Landwirte in NRW. Zumindest für die, die ihre Höfe in oder nah an Städten und Siedlungen haben. Katharina Frenger zum Beispiel. Sie hat einen Pferdehof im Norden von Köln. "Hier wird überall geböllert und die meisten richten auch ihre Böller eher zu uns aus, sodass wir im Endeffekt von allen Seiten mit Silvesterraketen beschossen werden", sagt sie.
Und das wird eher mehr als weniger. Zum Jahreswechsel 2023 haben die Händler in Deutschland mit Feuerwerk einen Umsatz von 180 Millionen Euro gemacht. Der Rekord vom Jahr davor wurde damit eingestellt, sagt der Verband der pyrotechnischen Industrie. 2024 könnte er wieder gebrochen werden: Für die ersten neun Monate des Jahres meldet das Statistische Bundesamt einen deutlichen Anstieg beim Import von Feuerwerk wie Böllern und Raketen.
Wie gefährlich Silvester für Tiere sein kann
Panik statt Party. So könnte Pferdehof-Besitzerin Frenger die Silvesternacht zusammenfassen. Auf ihrem Hof stehen 90 Pferde. Die Silvesternacht ist für viele von ihnen die schlimmste des Jahres. Denn auch Pferde haben ein deutlich besseres Gehör als Menschen, hören mehr Frequenzen. So reagieren sie auch empfindlicher auf die lauten Böller, selbst wenn sie weiter entfernt gezündet werden. Die natürliche Reaktion der Pferde: Flucht. Und zwar ohne Rücksicht auf andere.
"Es kann passieren, dass sie sich schwerer verletzen, dass sie sich gegenseitig treten, weil die Pferde so in Panik sind", sagt Frenger. Im schlimmsten Fall brechen sie durch die Zäune. Damit das nicht passiert, kontrolliert sie die vor Silvester alle ganz genau. Am späten Silvesterabend werden die Pferde dann in Gruppen auf die Weide geschickt. Hier bekommen sie so viel Auslauf, wie es geht, um sich "den Stress abzulaufen". Wie die Silvestervorbereitungen auf dem Pferdehof im Kölner Norden ablaufen, zeigen wir in einer neuen Folge von WDR Lokalzeit Land.Schafft. Ebenso wie die Vorbereitungen rund um den Kuhstall in Aachen.
Auch Landwirt Müllejans hat seine Kühe in der Silvesternacht schon in Panik erlebt. Bevor er auf die Idee mit dem Traktorenlärm gekommen ist. "Die Kühe sprangen auf, dann liefen sie in einem Galopp bis unten runter, flohen da über den Boden, um die Ecke rum und hier wieder hoch", sagt er und zeichnet dabei mit seinem Arm gestenreich den Weg der Kühe durch den offenen Kuhstall nach.
Müllejans konnte nur zugucken: "Die Tiere hatten Panik. Ich konnte nicht dazwischenspringen, die drehten durch." Das kann gefährlich werden, denn die Kühe können sich auf der Flucht die Knochen brechen. "Sobald ein Tier einen Knochen gebrochen hat, gibt es nur noch eins: einschläfern", sagt der Landwirt. "Und das will man ja nun nicht."
Nicht nur für sich selbst, auch für Menschen können panische Tiere eine Gefahr sein. Die Bundestierärztekammer warnt zu Silvester: "Gefährlich kann es werden, wenn Pferde, Rinder oder andere Tiere sich im Auslauf oder auf der Weide befinden und in Panik den Zaun durchbrechen." Sie können dann zum Beispiel plötzlich auf eine viel befahrene Straße laufen.
Wie Landwirte ihre Tiere auf Silvester vorbereiten
Viele Landwirte und Tierbesitzer setzen vor allem auf eine Strategie: Die Tiere vom Böllerlärm und bunten Flackern der Raketen so gut es geht abschotten. "Die Tiere sollten in der Silvesternacht am besten in den Stall", sagt Jan-Malte Wichern von der Landwirtschaftskammer NRW. "Hier kann man auch viel über die Belichtung machen: Die Betriebe stellen zum Beispiel das Nachtlicht heller, um das Flackern von außen abzudämpfen."
Grundsätzliche Empfehlungen für die Silvesternacht gibt es von der Landwirtschaftskammer aber nicht. "Die Betriebe machen da ihre eigenen Erfahrungen", sagt Wichern. Bei Hühnern zum Beispiel mischen einige Besitzer Baldrian, Lavendel oder Johanniskraut ein paar Tagen vor Silvester unter das Futter. Zur Beruhigung. Andere Landwirte setzen vor allem auf Routine an Silvester, damit diese auch auf ihre Tiere abstrahlt.
Alexander im Brahm setzt dagegen auf: Nichts. Er hält im Ruhrtal in Essen rund 2000 Schweine. In einer Großstadt also, in der es in der Silvesternacht stundenlang knallt und raucht. Die Schweine sind Freilandschweine, sie leben das ganze Jahr über draußen auf der Wiese. Alle für die Silvesternacht extra in einen Stall holen? Gar nicht nötig, meint im Brahm: "Die Schweine erschrecken sich vielleicht beim ersten Knall, aber sie sind sehr robust, was Stress angeht."
Egal ob gar kein Stress oder pure Panik. Ein Knaller ist Silvester für viele Landwirte in NRW nicht. Sie wollen aber auch keine Spielverderber sein. "Ihr könnt gerne feiern kommen, da habe ich bestimmt nichts gegen", sagt Landwirt Müllejans. Seine Wünsche: Nicht zu nah am Stall feiern und hinterher Raketen und Müll wieder mitnehmen. Und Pferdehof-Besitzerin Frenger sagt: "Es wäre toll, wenn ihr weniger Silvesterraketen in die Luft schießt." So haben Mensch und Tier zumindest ein bisschen mehr Ruhe in der Silvesternacht.