Markus Steudler und eine Ziege gucken in die Kamera

Wie ein Metzger zum Tierschützer wurde

Warendorf | Landwirtschaft

Stand: 25.09.2024, 17:07 Uhr

Früher hat Markus Steudler geholfen, Tiere zu schlachten. Jetzt kümmert er sich in Oelde im Kreis Warendorf um gerettete Tiere. Woher kam der Sinneswandel?

Von Christina Felschen

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Nur das Beste für die Schweine

Einstein überragt Markus Steudler um einen Kopf, wenn er da so steht. Erwartungsvoll hat er die Pfoten auf das Gatter gestützt, den Kopf nach vorne gestreckt. Sein Rüssel bebt. Das schwarz-graue Hausschwein hat das Frühstück schon gerochen, das Steudler ihm gleich hinstellen wird: frisches Gemüse, mit einem Schwung Kurkuma. Steudler hat alles gerade frisch geschnitten.

Was bei Markus Steudler ins Schweinefutter kommt

00:28 Min. Verfügbar bis 25.09.2026

"Er hat noch fast sein ganzes Leben vor sich", sagt Steudler, während "Einstein" das gelbe Kurkuma-Puder aufwirbelt. "Da wäre es doch verrückt, ihm kein gesundes Futter zu geben." Mit seinen fünf Jahren ist Einstein jung für ein Hausschwein - und doch eines der ältesten in Deutschland. Denn die meisten der laut Bundesstatistikern gut 20 Millionen Schweine hierzulande werden im Alter von sechs Monaten für ihr Fleisch getötet. Einige auch schon mit sechs Wochen. Also lange, bevor sie ausgewachsen sind. Die natürliche Lebenserwartung beträgt 15 bis 20 Jahre.

Auch für Einstein und seine Brüder Herr Nilsson und Siegbert gab es schon einen Schlachttermin. Aber dem Züchter, erzählt Steudler, sind die Lebensfreude und die Zuneigung der Ferkel aufgefallen. Er hat seine Zucht aufgegeben und die Tiere an Tierschutzhöfe verschenkt. So kamen Einstein und seine Brüder nach Oelde im Münsterland, auf den Lebenshof "Tierisches Glück". Und damit zu Steudler.

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Plötzlicher Sinneswandel

Dass Steudler hier ist, hätte er vor einigen Jahren selbst nicht für möglich gehalten. Der 34-Jährige ist in Beelen im Münsterland aufgewachsen, zwischen den beiden größten Schlachtbetrieben in Deutschland: Tönnies in Rheda-Wiedenbrück und Westfleisch in Münster. So wird er selbst Metzger und arbeitet in dem Beruf sieben Jahre lang.

Wie Markus Steudler seine Zeit als Metzger erlebt hat

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Zuletzt arbeitet Steudler in einem Großbetrieb in der Qualitätskontrolle. "Zum Glück stand ich nicht da, wo die Tiere ankamen, sondern viel weiter unten am Fließband. Aber ganz verdrängen lässt sich der Gedanke an die Schlachtung da auch nicht", sagt er.

Schließlich fahren auf dem Fließband an dem jungen Metzger rund 100 Tonnen Fleisch vorbei. Und das jeden Tag. Das wird ihm mit einem Mal zu viel.

Was Markus Steudler zum Umdenken gebracht hat

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Steudler kündigt. Erst danach merkt er, wie belastend für ihn die jahrelange Arbeit als Metzger war. Er wird depressiv. Kurzzeitig hat er eine Betreuerin, die dem Erlebten etwas entgegensetzen will und mit ihm auf Tierschutzhöfe fährt. Eine richtige Eingebung: "Die Tiere haben mich gerettet", sagt Steudler heute. "Es hat mir gutgetan, lebenden Tieren zu begegnen und zu sehen, wie sie Freundschaften schließen, untereinander und sogar mit mir."

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Ex-Metzger zieht auf Lebenshof

Steudler geht aufs Ganze: Er wird nicht nur freiwilliger Helfer auf dem Lebenshof in Oelde, sondern zieht zusammen mit seiner Freundin sogar dort ein. "Anfangs war ich voller Schuldgefühle, hatte immer wieder die Tiere auf dem Fließband vor Augen", sagt er. "Aber dann merkte ich, dass ich etwas gutmachen will und auch gutmachen muss."

Carolin Striewisch engagiert sich im Vorstand des Lebenshofs. Sie erinnert sich gut daran, wie Steudler auf den Hof kam. "Er war noch nicht so geschickt und erfahren wie jetzt, aber so liebevoll mit den Tieren. Als er von seiner Vergangenheit erzählte, war ich baff. Ich konnte mir das bei ihm gar nicht vorstellen. Respekt, dass er das aushalten konnte. Das habe ich ihm auch gesagt." Das und nichts weiter. Vorwürfe hat er seit seinem Ausstieg nie zu hören bekommen, sagt Steudler. Nur Dankbarkeit.

Eine Frau streichelt auf dem Lebenshof "Tierisches Glück" in Oelde ein Schwein

Carolin Striewisch ist im Vorstand des Lebenshofs

Steudler kümmert sich fast rund um die Uhr um die gut 40 Tiere auf dem Hof. Schweine, Ziegen, Schafe, Waschbären, Enten, Gänse und Puten haben dort ein neues Zuhause gefunden. Den meisten drohte die Schlachtung, andere standen plötzlich ohne Mutter oder Pfleger da.

Der Lebenshof "Tierisches Glück" ist einer von vielen Gnadenhöfen in NRW. Wie viele es genau gibt, wird nicht zentral erfasst. Im Internet lassen sich dutzende Angebote finden. Manche sind auf einzelne Tierarten spezialisiert, zum Beispiel Pferde oder Rinder, auf anderen finden wie in Mönchengladbach viele verschiedene Tiere ein neues Zuhause.

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Neuer Lebensinhalt: Tierschutz und Kräuterkunde

Nicht nur die Tiere versorgt der 34-Jährige. Drei Gäste aus Gütersloh stehen vor dem Tor des Lebenshofs. Als sie Markus Steudler sehen, hellen sich ihre Minen auf. Sie kennen ihn von Instagram. Dort erklärt er als "Kräuterbengel" die Vorzüge heimischer Wildkräuter und veganer Ernährung. Das Wissen hat er sich in den letzten Jahren angelesen.

Die Gruppe zieht los auf die kniehohe Wiese hinter dem Hof. Es dauert keine zehn Sekunden, da hält Steudler ein grünes Büschel hoch: "Schaut mal, Giersch", ruft er. Eine der Frauen muss schmunzeln. Steudler weiß, warum. "Der überwuchert unsere Gärten und ist vielen verhasst", sagt er, "aber Giersch wirkt entgiftend, hat viel Vitamin C und ist ein super Ersatz für Spinat".

Markus Steudler zeigt einer Frau eine Handvoll Kräuter

Markus Steudler ist von Kräutern fasziniert

Auch Büschel von Schafgarbe, Brennnessel, Löwenzahn, Knoblauchsrauke, Gundermann, Spitzwegerich, Sauerampfer und Bärlauch wandern in Steudlers Beutel. Zutaten für die Neunkräutersuppe, die er gleich für die Gruppe kochen wird. Man merkt: Ob bei den Kräutern oder bei den Tieren. Der ehemalige Metzger ist da angekommen, wo er hingehört.

Über dieses Thema haben wir auch im WDR Fernsehen am 31. Mai 2024 berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.