Martin Krämer im Fahrerhaus eines Häckslers. Er lächelt.

Rollstuhlfahrer im Erntestress: Feldarbeit trotz Querschnittslähmung

Rhein-Sieg-Kreis | Landwirtschaft

Stand: 24.11.2024, 14:03 Uhr

Martin Krämer aus Neunkirchen-Seelscheid sitzt nach einem Verkehrsunfall im Rollstuhl. Trotzdem arbeitet er während der Erntezeit bis zu 15 Stunden auf einem Häcksler. Wie er es zurück in sein altes Leben geschafft hat.

Von Jörg Stolpe

Der Elektromotor springt an, das dünne Stahlseil spannt sich, dann schwebt Martin Krämer aus seinem Rollstuhl. Der 34-Jährige trägt ein Geschirr um den Oberkörper und hängt an einem kleinen Kran. So kommt er in die Fahrerkabine seines Häckslers, einem ziemlich großen landwirtschaftlichen Fahrzeug. Hier wird er die nächsten Stunden verbringen und Mais ernten. Den Kran ließ er für 20.000 Euro an den Häcksler bauen, um trotz Querschnittslähmung weiter als Lohnunternehmer arbeiten zu können.

So kommt Martin Krämer in seinen Häcksler und wieder heraus

00:20 Min. Verfügbar bis 24.11.2026

Vor 15 Jahren verunglückte der 34-Jährige aus Neunkirchen-Seelscheid mit einem Quad. Er kam von der Straße ab und wurde gegen einen Baum geschleudert. Seitdem ist er von der unteren Rippe abwärts gelähmt. Ein Schock für ihn, die Familie und seine Freunde. Aber als er nach Monaten aus dem Krankenhaus kam, hatten sie eine Überraschung für ihn parat. "Da stand ein umgebauter Trecker vor der Tür", erzählt er heute, "und alle sagten: Du probierst das jetzt aus!" Und es funktionierte.

Als einer von 6000 Lohnunternehmern in Deutschland erledigt Krämer in der Landwirtschaft Arbeiten, für die er große Maschinen braucht. Zum Beispiel bei der Gras- oder Maisernte. Ein stressiges Geschäft, in dem oft Zeitdruck herrscht und die Landwirte genau darauf achten, dass sauber gearbeitet wird. Einer von Krämers Kunden ist Johannes Schumacher aus Alfter. Er hat Krämer zum zweiten Mal für die Maisernte angeheuert: "Dass er im Rollstuhl sitzt, spielt keine Rolle, solange die Arbeitsleistung stimmt." Wie stressig der Job eines Lohnunternehmers sein kann, liest du hier.

Ein Häcksler und ein Traktor mit Hänger auf dem Feld. Mais wird gehäckselt.

An manchen Tagen sitzt Martin Krämer 15 Stunden in seinem Häcksler

Aber manchmal reagieren seine Kunden doch etwas irritiert, wenn sie von Krämers Lähmung erfahren. "Da heißt es dann: 'Beweg' deinen Hintern mal herunter'. Und ich muss sagen: 'Geht nicht'." Aussteigen aus dem Häcksler ist umständlich und kostet wertvolle Zeit. Das gilt auch, wenn er mal auf die Toilette muss. Dann benutzt er einen Katheter. "Für die kleinen Geschäfte", erklärt er. "Ansonsten muss ich darauf achten, dass ich vorher nicht zu viel gegessen habe", fügt er noch grinsend hinzu.

Durch die Familie und Freunde zurück ins Leben

Bis zu 20 Hektar Mais kann er am Tag ernten. So viel, wie jeder andere Lohnunternehmer auch. Dazu braucht er aber ein gut eingespieltes Team. Bei Krämer sind das vor allem Freunde und Bekannte, die ihn schon lange kennen. Mit Stefan Müller hat er schon im Sandkasten gespielt. Heute fährt Müller für ihn einen der Traktoren, die bei der Maisernte im Einsatz sind. "Nach dem Unfall haben wir versucht, für Martin das Beste aus der Situation zu machen", erinnert er sich. In den ersten Monaten haben sie in dem Unternehmen der Eltern ausgeholfen, damit Krämers Vater sich um seinen Sohn kümmern konnte.

Martin Krämer will seinen Job so erledigen wie jeder andere

00:45 Min. Verfügbar bis 24.11.2026

Mittlerweile hat Krämer den elterlichen Betrieb zusammen mit seinem Vater zu einer GmbH gemacht und ist Teilhaber. Langsam aber stetig ist das Unternehmen gewachsen. Heute sind die Krämers auch auf Baustellen unterwegs und fahren Kies oder Schotter. Das macht ihn ein bisschen stolz, aber gleichzeitig demütig: "Ohne die Familie und meine Freunde hätte das nicht geklappt."

Über dieses Thema haben wir auch am 08.11.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.