Nahaufnahme Bulle in Stallgasse.

Der Bulle aus Borken und seine 5.000 Töchter

Borken | Landwirtschaft

Stand: 08.12.2024, 09:52 Uhr

Ein Großteil der Milchkühe in NRW wird nicht von einem Bullen gedeckt, sondern künstlich besamt. Das bedeutet, dass dem Tier das Sperma eines Bullen eingesetzt wird. Einer dieser Zuchtbullen heißt Arizona und steht in einem Stall in Borken. Sein Alltag dreht sich vor allem um eins.

Von Katja Stephan

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800 Kilo geballte Bullen-Power

Laut scheppernd fällt das große Metalltor ins Schloss. Es ist 6 Uhr morgens. Bullenpfleger Bernd Kloster hat gerade seinen Dienst im Stall der Besamungsstation Borken begonnen. Er muss die 121 Zuchtbullen, die hier stehen, einsperren, damit er anschließend die Boxen reinigen kann. Der letzte Bulle in der Reihe ist Arizona. Ein großes, schwarzweißes Tier, locker 800 Kilogramm schwer, schätzt Kloster. "Er ist ein Bulle, der weiß, was er will. Er ist etwas temperamentvoller", beschreibt ihn der gelernte Landwirt im blauen Overall und grünen Gummistiefeln. Kloster muss es wissen, denn er kennt Arizona, seitdem er vor rund drei Jahren auf die Besamungsstation kam.

Hier in Borken im Münsterland wird das Sperma gewonnen für die Rinderunion West, kurz RUW, eine der größten Rinderzuchtorganisationen Deutschlands. Die Genossenschaft hat rund 15.700 Mitglieder. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben: Sie stellt den Landwirten Bullensperma zur Verfügung, damit sie damit ihre Kühe besamen können. Dafür kauft die Genossenschaft regelmäßig neue Bullen an, die den Zuchtzielen der Organisation entsprechen. Deren Samen wird gesammelt, analysiert und aufbereitet. Im vergangenen Geschäftsjahr hat die RUW rund 910.000 Spermaportionen in der ganzen Welt verkauft.

Ein Stallgasse. Die Bullen in den Ställen fressen.

In der Besamungsstation Borken wird das Sperma von Zuchtbullen für die Besamung von Kühen gewonnen

Arizona ist einer der Bullen, deren Samen bei den Landwirten aktuell besonders beliebt sind. Kloster bindet dem Tier einen Strick als Halfter um den massigen Kopf und befestigt zusätzlich ein braunes Seil am Nasenring des Bullen. Dann öffnet der Bullenpfleger das Gitter zur Box des Tieres und führt es in eine große Halle direkt neben dem Stall.

Arizona muss gewaschen werden, denn in einer guten Stunde soll er einer Besuchergruppe gezeigt werden. Mit lauwarmem Wasser aus einem Wasserschlauch spritzt Kloster das Tier vorsichtig ab, spült Stroh und Kuhmist aus seinem kurzen, glatten Fell. "Die meisten Bullen finden das ganz angenehm. Und es gehört für uns und die Tiere zum Alltag. Schließlich haben wir mehrmals die Woche Besuchergruppen zu Gast, die unsere Bullen sehen wollen", erklärt Kloster.

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Nur 92 Bullen schaffen es

Nimmt man das Holstein-Zuchtprogramm der RUW und seiner Partner als Beispiel, wird deutlich, wie selten geeignete Zuchtbullen ausgewählt werden. Aus gezielten Anpaarungen werden rund 6000 Kühe trächtig. Sie bringen etwa 2800 männliche Tiere zur Welt. Davon werden rund 108 Bullenkälber mit den besten Zuchtwerten ausgewählt. Von ihnen gehen nur rund 92 Tiere letzten Endes in die Spermaproduktion. Das Ziel dieser strengen Selektion ist es, die Zucht stetig zu verbessern. Dabei geht es der RUW nach eigenen Angaben darum, dass die Kühe mehr Milch geben, aber auch, dass sie gesünder sind und länger leben.

Die Gäste sind mittlerweile mit einem Reisebus vorgefahren. Es sind rund 15 Studierende der landwirtschaftlichen Fakultät der Uni Bonn. Sie wollen sich über die Arbeit und die Zuchtziele der RUW informieren. Simon Heinrichs ist einer von ihnen. "Ich finde es interessant, die RUW zu besuchen, denn das Unternehmen hat einen großen Markteinfluss auf die Rinderzucht in Deutschland." Er ist gespannt darauf, Arizona und einige andere Bullen live zu erleben. "Weil es halt sehr wertvolle Tiere sind und das ist schon sehr besonders."

Tierarzt Ulrich Janowitz leitet die Besamungsstation und führt die Studierenden zum sogenannten Bullwalk, einer Art Rondell mit einem sandigen Boden. Hier werden die Bullen im Kreis geführt und sind durch eine große Glasscheibe von den Besucherinnen und Besuchern getrennt. "Der Name war meine Idee", sagt Janowitz und grinst stolz. "Es ist wichtig, dass wir unseren Mitgliedern, aber auch anderen Gästen, zum Beispiel Schülern oder Studenten, die Bullen in Aktion zeigen können."

Ein Mann führt einen Bullen durch die Halle. Hinter einer Glasscheibe stehen Personen und sehen sich den Bullen an.

Bullen wie dieser werden im Bullwalk gezeigt

Der Stall ist für Besucher tabu, um die wertvollen Bullen vor ansteckenden Krankheiten und vor Unruhe zu schützen. Denn die Tiere brauchen einen gleichmäßigen Rhythmus und reagieren sensibel auf Veränderungen. Von ihrer Position hinter der Glasscheibe aus können die Gäste die Bullen aus nächster Nähe betrachten, ohne die Tiere zu stören.

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Der entscheidende Moment

Arizona ist heute etwas nervös. Kloster bleibt ganz ruhig. "Jetzt kommt es darauf an, dass der Bulle gerade stehen bleibt und nicht herumzappelt." Während Kloster das Tier langsam im Kreis führt und beruhigend auf ihn einredet, erklärt Janowitz auf der anderen Seite der Glasscheibe, was Arizona so erfolgreich macht. "Er entspricht in vielerlei Hinsicht dem, was die Landwirte heute wünschen. Er vererbt zum Beispiel viel Milch mit positiven Inhaltsstoffen, eine hohe Nutzungsdauer und Fruchtbarkeit, also er hinterlässt top fitte Kühe."

In Zahlen bedeutet das: 2022, also mit einem guten Jahr, hat der Bulle das erste Mal Sperma für die RUW produziert. Seitdem konnte das Unternehmen 90.000 Portionen Sperma gewinnen. Davon wurden 70.000 Portionen verkauft, in Deutschland, aber auch weltweit. Mittlerweile hat Arizona 5.000 weibliche Nachkommen gezeugt. Die ersten Töchter von ihm sind bereits selbst trächtig.

Ein Zuchtbulle vollzieht den Deckakt an einem Standbullen.

Arizona vererbt durch seinen Samen viele Eigenschaften, die sich Landwirte für ihre Kühe wünschen

Um diese hohe Nachfrage zu befriedigen, muss Arizona zweimal die Woche Nachschub produzieren. Am nächsten Morgen ist es so weit. Um kurz nach 8 Uhr führt Kloster den Bullen am Strick in die Deckhalle gleich neben dem Stall. Hier stehen für den Deckakt drei sogenannte Standbullen bereit. Sie ersetzen die Kühe, die es in diesem Stall nicht gibt. Das hat mehrere Gründe. "Kühe sind nur zu bestimmten Zeiten brünstig, also paarungsbereit", erklärt Kloster. Und sie könnten das Gewicht der mehrere hundert Kilogramm schweren Bullen kaum tragen. "Homosexualität ist im Tierreich und auch bei Rindern nicht ungewöhnlich", ergänzt Janowitz.

Arizona muss noch warten. Kurz vor ihm ist ein anderer Bulle in die Halle geführt worden. Tierarzt Janowitz beschreibt, wie der Deckakt abläuft.

Was die Schlüsselreize der Bullen für eine Rolle beim Deckakt spielen

00:41 Min. Verfügbar bis 08.12.2026

Jetzt steuert auch Arizona zielstrebig auf einen der Standbullen zu. Nur wenige Sekunden später setzt der Bulle zum Sprung an. Mit einer schnellen, geübten Bewegung fängt Bullenpfleger Hermann Boldrick das Sperma in einer Art künstlichen Gummischeide auf. Die Samenentnahme war erfolgreich.

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In 10 Minuten auf minus 140 Grad

Direkt im Anschluss wird das Sperma nebenan im Labor untersucht. Entscheidend sind dabei vor allem die Menge und die Dichte, also die Anzahl der Spermien. Janowitz wirft einen Blick auf den Computerbildschirm, auf dem die Messergebnisse erscheinen, und liest sie laut vor: "7,4 Milliliter und eine Dichte von rund 1,5 Milliarden Spermien. Das ist ein gutes Ergebnis." Der Tierarzt nickt zufrieden. "Daraus können wir knapp 500 Portionen abfüllen."

Gelbgrüne Stäbchen liegen auf einem langen Band. Darauf steht der Name Arizona.

In diesen Pailletten wird das Sperma der Bullen transportiert

Im letzten Schritt werden die Spermien von Arizona in schmale, pistaziengrüne Stäbchen, sogenannte Pailletten, gefüllt und tiefgefroren. So kann die RUW sie in die ganze Welt verkaufen. Arizona bekommt von all dem nichts mit. Kloster hat ihn schon längst wieder in seine Box gebracht. Hier wühlt er zufrieden in seinem Futter. "Der kann sich jetzt ausruhen für den Rest des Tages", erklärt der Bullenpfleger. In vier Tagen wird er ihn wieder in die Deckhalle führen. Damit Arizona noch viele weitere Nachkommen zeugen kann.