Plötzlich Ersatzpapa: Wie ein Jäger ein mutterloses Rehkitz aufzieht
Städteregion Aachen | Heimatliebe
Stand: 11.09.2024, 15:15 Uhr
Susis Mutter wurde von einem Wolf gerissen. Allein kann das Rehkitz nicht überleben. Ausgerechnet ein Jäger wird plötzlich zur Ersatzfamilie für das Kitz. Über einen ungewöhnlichen Ziehvater.
Von Yunus Gündüz (Text) und Lili Weiler (Multimedia)
Tagelang lag Rehkitz Susi allein im Feld und ruft nach ihrer Mutter. Vergeblich. Spaziergänger hören seit mehreren Tagen das klagende Tier, können es im hohen Gras aber nicht finden. Plötzlich liegt ein lautes Surren in der Luft. Eine Drohne mit Wärmebildkamera hilft dabei, das Kitz auf dem Feld zu finden. Solche Drohnen werden immer wieder bei der Suche nach Rehkitzen eingesetzt. Später finden Susis Retter in der Nähe ein gerissenes Reh. Vermutlich fiel Susis Mutter einem Wolf zum Opfer.
Seit einigen Jahren sind die Wölfe zurück in NRW. Die Eifel und das Hohe Venn sind dabei eines von sieben ausgewiesenen Wolfsgebieten im Bundesland. Eigentlich ein Zeichen für eine gesunde, sich erholende Natur. Eine Natur, die auch grausam sein kann. Denn für Susi bedeutet sie ein Aufwachsen ohne Mutter.
Die verzweifelten Rufe von Susi im hohen Gras sind inzwischen einige Wochen her und das Tier ist bereits ein bisschen gewachsen. Das verdankt sie ihm: Hermann Carl. Seelenruhig hockt Carl neben Susi und streichelt das Jungtier. Er ist Jäger und "Wolfsberater", unterstützt Landwirte bei Wolfsangriffen.
Rettung aus dem hohen Gras
Carl war gemeinsam mit der Jungwildrettung an der Suche nach Susi beteiligt und beschloss danach, das Rehkitz bei sich aufzunehmen. Der Jäger hat bereits erfolgreich andere Rehe gerettet, aufgezogen und ausgewildert. Einfach ist es trotzdem nicht: "Im Moment braucht es alle vier bis fünf Stunden die Flasche. Anfangs waren es alle drei Stunden, das war schon anstrengend." Mittlerweile bringt Susi Hermann Carl seit sechs Wochen um den Schlaf.
Susi hat Glück, dass sie gefunden wurde. Mehr Glück als viele andere Rehkitze. Denn größer als die Gefahr durch den Wolf ist noch immer die durch den Menschen. Laut Wildrettern verendet rund jedes vierte Kitz im Mähwerk von landwirtschaftlichen Maschinen. Im vergangenen Jahr retteten die Jungwildretter allein in der Städteregion Aachen rund 130 Rehkitze vor den Gefahren im hohen Gras.
Auswilderung im Winter
Noch bis November kriegt Susi die Flasche, aber Hermann Carl gewöhnt sie bereits langsam um: "Jeden Tag Löwenzahn im Stall, verschiedene Laubblätter, mal Apfel, mal Kirsche, mal Buche. Sie ist verwöhnt und will jeden Tag was anderes." Dafür verfolgt das Rehkitz ihn auf Schritt und Tritt. Aber Carl weiß: Zum Winter muss er Susi wieder auswildern, damit sie ein artgerechtes Leben führen kann.
Über dieses Thema haben wir auch am 10.07.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.