Feuer und Wasser
Catharina Wevers hat keine Chance. Wevers, auch die Alte genannt, soll sich mit dem Teufel vergnügt haben. In den Augen der Justiz des 16. Jahrhunderts ist sie eine Hexe. Und Hexen müssen sterben. Ihre Peiniger zerren sie aus ihrem Verlies im Turm der Burg Limberg, versteckt hoch oben im Wald, wo sie die Dörfler unten im Tal weder sehen noch hören können, und werfen sie gefesselt in einen aufgestauten Teich. Ertrinkt Wevers, ist sie unschuldig. Schwimmt sie, ist ihre Schuld bewiesen. Ihre Zeitgenossen wollen damit den Willen Gottes erforschen.
Wevers schwimmt. Und besiegelt damit ihr Schicksal. An einem Oktobersamstag im Jahr 1584 wird sie verurteilt und gemeinsam mit einer Leidensgenossin, Anneken Schomers, lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Während die beiden unschuldigen Frauen sterben, liegt ein vertrautes Geräusch über den Dächern der Kleinstadt Preußisch Oldendorf. Der Pfarrer lässt die Glocke läuten.
Gebadet
339 Jahre und 11 Monate später: "Na, sehen Sie. Hier haben sie die Hexen gebadet". Dieter Besserer steht vor einer Kuhle irgendwo im Wald. Es ist nicht mehr als eine Delle im Gelände, ein paar Quadratmeter breiiger Matschboden, so nebensächlich und egal, dass die vorbeischnaufenden Jogger noch nicht mal ihre Köpfe heben. Doch für Besserer, 80 Jahre, Typ rüstiger Allwetterjackenrentner, ist das Loch dort vorn im Boden so etwas wie die Erfüllung einer Lebensaufgabe. Beim Studium einer altersschwachen Schwarz-Weiß-Wanderkarte aus den 1950ern hat er einem Gruselkapitel Preußisch Oldendorfer Stadtgeschichte ihren Schauplatz zurückgegeben: Die Kuhle im Wald muss der alte Hexenteich sein.
Dass ausgerechnet Besserer dieses Rätsel gelöst hat, ist kein Zufall. Sein Geld machte er als Ingenieur, doch viel lieber wühlt er sich durch die staubigen Untiefen kleinstädtischer Stadtarchive und fleckiger Kirchenbücher. Besserer weiß alles über Preußisch Oldendorf, was es zu wissen gibt. Und über das, was er nicht weiß, gibt es keine Akten. Zu Zehntausenden stapeln sich die Aufzeichnungen seiner Streifzüge in seinem Haus.
Alles, was ihm heilig ist, hat er fein säuberlich nach Themen sortiert und in Ordnern abgeheftet. Gelegentlich wird er dennoch mit der schmerzlichen Fehlbarkeit konfrontiert, nicht jeden Zweifel über die Geschichte des 13.000-Einwohner Fleckens an der Grenze zu Niedersachsen lückenlos ausräumen zu können. Wissen Sie vielleicht auch etwas über die letzten Worte der zum Tode verurteilten?
Ein schlichtes "Weiß ich jetzt auch nicht" würde ihm in solchen Augenblicken niemand übelnehmen. Doch Besserer entgegnet lieber ernst: "Dazu habe ich nichts in meinen Akten".
Tod auf dem Hügel
Wer auf den Spuren der frühneuzeitlichen Gesetzesbrecher wandeln will, startet im Herbstlaub einer üppigen Rosskastanie. "Am Klingelberg" heißt die kleine Stichstraße, die hier, gleich hinter dem Ortseingangsschild des Vororts Offelten, in gemächlicher Steigung die Höhen des Wiehengebirges erklimmt. Bei ihrer eigenen Vergangenheitsbewältigung sind die Oldendorfer mit beeindruckend preußischer Gründlichkeit vorgegangen.
Nichts erinnert mehr an die Furchtbarkeiten, die sich hier jahrhundertelang zutrugen. Die meisten Details kennt nur ein 80-jähriger Hobbyhistoriker. "Klingelberg", das komme vom Läuten der Glocke oben auf dem Hügel, glaubt Besserer. Sie wurde nur geläutet, wenn eine Hinrichtung bevorstand. Ein Zeichen für die Dorfbewohner unten im Tal: Sie pilgerten den Berg hinauf, um dabei zu sein.
Wie ein Band aus Teer und Matsch mäandert die schmale Straße, die schon kurz hinter der ersten Steigung ihren Namen verliert, durch die ostwestfälische Wald- und Wiesenlandschaft. Mal verengt sie sich zu einem Wanderpfad, mal ist sie befestigt. Wie eine Achse des Bösen verbindet sie alle vier Tatorte der Provinztragödie. Oben auf dem Kamm, wo heute Wald steht, starb Catharina Wevers.
Hier befand sich die Hinrichtungsstätte des kleinen Ortes, hier wurde gehängt und verbrannt. "Galgenbrink" nannten die Leute diesen Ort. Dutzende Todesurteile aus mindestens fünf Jahrhunderten hat Besserer in den Archiven der Region ausgegraben. Erst 1808 hatte das Morden hier oben auf dem Berg ein Ende. Besserer kennt die Geschichten hinter diesen Schicksalsdramen, er kennt die Namen der Menschen, die hier oben starben. Er hat sie konserviert und katalogisiert. Und doch ist da ein Fall, der ihm keine Ruhe lässt.
In den Sack gesteckt
Am 22. April 1720 stirbt Heinrich auf den Bohlen. Die Preußisch Oldendorfer machen mit dem Mann aus dem Nachbardorf Börninghausen kurzen Prozess. Für sie steht fest: Auf den Bohlen hat seine eigene Tochter vergewaltigt und anschließend das gemeinsame Kind ermordet, um die Tat zu verschleiern. Die Scharfrichter stecken ihn in einen Sack und ertränken ihn im Hexenteich. Doch auch seine Tochter muss sterben. Sie wird auf dem Scheiterhaufen am "Galgenbrink" verbrannt. "Blutschande" meint die primitive zeitgenössische Jurisprudenz. Ein Justizirrtum, sagt Besserer. Er selbst hat den Fall entdeckt, doch die Details auszusprechen ist etwas anderes. "Das ist so unvorstellbar grausam", sagt er. "Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen".
Licht und Schatten
Ein paar Meter und eine Wegbiegung hinter dem ehemaligen Hexenteich liegt die Burg Limberg. Oder das, was von ihr noch übrig ist. Ein paar Mauerreste, eine gebrechliche, uralte Linde, unter der jahrhundertelang die Gerichtsprozesse stattfanden. Und der alte Wohnturm der Burg. Ein wehrhaftes, trutziges Gebäude. Ein kantiger Steinquader, ungestüm und furchteinflößend. Besserer zwingt sich die hölzernen Treppenstufen hinauf. Vor ein paar Jahren hat er die Turmruine mit ein paar Getreuen wiederbelebt. Heute gibt er hier manchmal noch Führungen, wenn es seine Gesundheit zulässt. Ein Gitterverschlag in der Mitte des alten Wohnturms erlaubt einen Blick in die Tiefe. Ein schwarzes Nichts. Das ehemalige Verlies.
Auch Catharina Wefers und Anneken Schomers warteten hier auf ihr Ende. Heute kann man im Turm heiraten. "Das höchstgelegenste Standesamt Nordrhein-Westfalens", sagt Besserer. Er hat Gefallen gefunden an seiner Rolle als Provinzchronist im Seitenaus der Zeitgeschichte. Und er wird weitermachen, bis er nicht mehr kann.