"Drei Minuten später und ich hätt sie abgeschleppt." Der Ranger des Bergbauunternehmens am Waldrand kennt keine Gnade. Einmal kurz gucken und zurück ins Auto? So läuft das hier nicht. Wer das "historische Freibad Häger", wie es im Internet heißt, entdecken will, macht das am besten zu Fuß. Und muss aufpassen, nicht einfach daran vorbeizulaufen. Nur ein einziger schmaler Pattweg, überwuchert von Farnen und Gestrüpp, führt an diesen mysteriösen Ort. Einen Ort, den die Natur schon vor langer Zeit wieder in Besitz genommen hat.
Grün. Alles hier ist grün. Die Linsen auf dem Wasser eines Tümpels, der eigentlich gar keiner ist. Die Kronen der Bäume, die ein schummriges Licht auf den Boden werfen. Und das Moos auf den alten Startblöcken. Startblöcke. Mitten im Wald. Seltsam fehl am Platz wirken sie an diesem Ort, der so gar nichts mehr mit einem Freibad gemein hat. Wer ihre Geschichte verstehen will, muss fast 100 Jahre zurückgehen.
Schwarzer Sonntag
Der 11. Juni des Jahres 1933. Ein Sonntag. Die Nationalsozialisten sind seit einem knappen halben Jahr an der Macht. Monatelang haben die Hägeraner auf diesen Tag hingefiebert. Mit ihren eigenen Händen haben sie sich ein Freibad gebaut. Sie haben dem Wald ein Stück Land abgerungen, einen Bach aufgestaut und hölzerne Umkleidekabinen errichtet. Die Dorfbewohner sind stolz auf ihre Leistung. Auf dem Boden des Nichtschwimmerbeckens lassen sie eine Betontafel ein, mit den Namen all derjenigen, die beim Bau des Waldfreibads geholfen haben.
Wie selbstverständlich bekommt auch Max einen Eintrag: Das Arbeitspferd, das zum Ausschachten des Schwimmbeckens eingesetzt wurde. Doch ehe die Einweihungsfeier der Dorfbewohner richtig losgehen kann, ist sie schon wieder vorbei. Eine Abordnung der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) aus dem benachbarten Jöllenbeck löst die Party auf. Das "Vergehen" der Hägeraner: Sie hatten es nicht für nötig gehalten, die Reichsfahnen zu hissen. Enttäuscht gehen die Menschen nach Hause. Ihr Schwimmbad steht von da an unter keinem guten Stern.
Uwe Gehring sieht so aus, als könne er es gar nicht so recht glauben. Nachdenklich sitzt er auf einem der altersschwachen Startblöcke am ehemaligen Beckenrand. In seinen 66 Lebensjahren hat sich dieser Ort so sehr verändert wie er selbst. Uwe Gehring kennt diesen Ort so gut wie kaum jemand anderes. In Häger hat er sein ganzes Leben verbracht. Schon als kleiner Junge hat er sich hier durch den Wald geschlagen und gestaunt über das mysteriöse Freibad.
Öl und Wasser
Und er kann Geschichten erzählen. Aus der Zeit, als das Freibad langsam, aber sicher sich selbst überlassen wurde. Als die Beckenränder der Kraft der Natur nicht mehr standhalten konnten und das Freibad zu versumpfen begann. Um 1960 herum war das. Da war Gehring gerade erst geboren worden. Von neidischen Leuten aus dem Nachbardorf Schröttinghausen, die mit Motoröl das Häger Waldfreibad verseucht haben sollen. Ob das stimmt? Das weiß niemand so genau. Auch Gehring nicht. Über Jahrzehnte hat er dem Freibad beim Verfall zugesehen. Dass das alte Waldfreibad irgendwann wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, glaubt er nicht: "Es gibt nicht mehr viele Menschen, die diesen Ort kennen, nicht mal aus dem eigenen Dorf. Ich gehe davon aus, dass das alles hier in Vergessenheit geraten wird."
Gehring hat genug gesehen. In ein paar Jahren wird er wiederkommen, um nachzuschauen, was sich verändert hat. Langsam schlendert er den überwucherten Pattweg entlang, auf dem er hier angekommen ist. Im alten Häger Waldfreibad kehrt wieder Stille ein.
Über dieses Thema haben wir auch am 14.08.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.