Vorsichtig klettern Michaela Klemmer (42) in ihrer gelben Jacke und Regina Spalluto (44) im grünen Anorak den Baum vor dem Rheinkasseler Kirchplatz hinauf. Beide sind im Veedel groß geworden. Das Klettern fällt ihnen nicht mehr so leicht wie damals, als sie noch Kinder waren. Aber es macht noch genauso viel Spaß. Von oben haben beide den gesamten Kirchplatz im Blick. Wenn das Adventsglühen oder die Kirmes im Dorf stattfindet, treffen sich alle hier. Und die Kinder sichern sich in der Baumkrone ihren Logenplatz.
Köln-Rheinkassel und die Bedeutung der Toten
Direkt neben dem Kirchplatz steht die Kirche St. Amandus. Eine romanische Kirche, erstmals 1156 erwähnt, rosa-weiß gestrichen, mit einer runden Rückseite - und einem Totenkopf, der am Haupteingang ins Mauerwerk eingelassen wurde. St. Amandus ist auch als "Dotemanns"-Kirche bekannt ("Dot" = tot). In den 1970er-Jahren fand man hier bei Renovierungsarbeiten einen menschlichen Schädel, Knochen, Särge und eine Gruft. Rheinkassel selbst ist auch als "Dotemanns-Ort" bekannt - aus einem gruseligen Grund:
Rheinkassel ist eine 1000-Einwohner-Ortschaft ganz im Norden von Köln und gehört zum Stadtbezirk Chorweiler. Trotz des Gefühls von Großstadt bringt das Veedel auch ein bisschen die Gemeinschaft eines Dorfes mit sich. "Die Kinder lernen sich schon im Kindergarten kennen, kommen in der Schule wieder zusammen. Hier wachsen Freundschaften, die bis ins hohe Alter bleiben", sagt Klemmer. Eben ganz wie bei ihr und Spalluto.
Rheinkassel und der Rhein: Ein besonderes Verhältnis
Vielleicht spielt auch die unmittelbare Nähe zur Natur eine Rolle für das starke Gemeinschaftsgefühl der Menschen in Rheinkassel. Nicht nur, weil der Radweg im Naturschutzgebiet Rheinaue den gesamten Kölner Norden verbindet und man von dort einen wunderbaren Ausblick aufs Wasser hat. Weil die Ortschaft direkt am Fluss liegt, sind die Rheinkasseler fast immer als erstes von Hochwasser in Köln betroffen. Das schweißt zusammen. Und das macht gelassen.
Landwirt Erwin Efting hat nah am Wasser seinen Hühnerhof. Er ist die regelmäßigen Überflutungen gewohnt. "Wenn das Hochwasser kommt, werden wir zur Insel", sagt Efting. "Hinter den Häusern läuft der Rhein in den Rücken. Von oben sieht das aus, als wären wir schon abgesoffen, aber wir sind dann in Wirklichkeit umschlossen." In den meisten Fällen geht das Ganze gut. Doch es gibt Ausnahmen, wie etwa 1988.
Ein Pumpwerk als Hingucker
Die Überschwemmungen haben das Veedel auf verschiedene Weisen geprägt. Zum einen durch die Erhaltung der Rheinauen direkt am Ufer, die einen Teil der Wassermassen abfangen, zum anderen durch das extravagante Pumpwerk.
Es steht am Kuhlenweg und wechselt durch seine lamellenartige Fassade je nach Standort des Betrachters sein Aussehen. Von der einen Seite leuchtet es knallorange, von der anderen Seite sind Seerosen zu sehen. Nicht nur schön, sondern auch praktisch: Im Ernstfall kann es bis zu 5000 Liter pro Sekunde abpumpen.
"Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen"
Auch wenn der Rhein gelegentlich über die Ufer steigt - missen wollen ihn Michaela Klemmer und Regina Spalluto in Rheinkassel auf keinen Fall. Denn der Fluss bietet eine Menge Naherholung.
Zum Beispiel auf Höhe des Restaurant "Zur Fähre", etwa anderthalb Kilometer vom Pumpwerk entfernt, direkt an der Fähre Rheinkassel-Hitdorf. Dort befindet sich einer der Lieblingsplätze von Klemmer und Spalluto. Mit einem Eis von einem kleinen Stand um die Ecke haben sie sich ans Sandstrand-Ufer gesetzt und beobachten die vorbeifahrenden Schiffe. "Wir wohnen, wo andere Urlaub machen", sagt Michaela Klemmer und nimmt einen großen Löffel aus ihrem Amarena-Eisbecher.
Über das Thema berichten wir am 10.08.2023 auch im WDR-Fernsehen: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.