Wenn Kunst die Nachbarschaft zusammenbringt
Stand: 07.07.2023, 17:29 Uhr
Ingo Müller-Becker organisiert einen Stadtteilspaziergang, der Kunstschaffende mit ihrer Nachbarschaft zusammenbringt. Dafür öffnen selbst außergewöhnliche Orte ihre Pforten.
Von Florian Vitello
Sanfte Töne der Harfe legen sich unter das monotone Plätschern des Bachs und werden zu einer Melodie. Mehr als 160 Menschen sind auf dem Hof der Hardtmühle versammelt, sie bilden einen Reigen um die junge Musikerin Lotta Kißler und lauschen gebannt der Darbietung.
Genau so hat Ingo Müller-Becker, ehrenamtlicher Initiator des "Dellbrückentags", sich die Umsetzung des diesjährigen Mottos "von Element zu Element" vorgestellt: Der Spaziergang, der seit 2018 jährlich durch den rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Dellbrück führt, lädt diesmal an Orte ein, die mit Feuer, Wasser, Erde und Luft zu tun haben.
Lotta Kißler beim Dellbrückentag
Kunst und Kultur sind elementar
"Corona hat uns vor Augen geführt, dass Kunst und Kultur zum Leben elementar dazugehören", erklärt Müller-Becker die Idee hinter dem Motto auf dem Weg zwischen zwei Stationen.
Immer wieder wird der 54-Jährige in seinen Ausführungen von Teilnehmenden unterbrochen, die ihm für die ehrenamtliche Initiative danken wollen oder die sich mit organisatorischen Fragen an ihn wenden.
Letztere beantwortet er geduldig, ohne zu viel preiszugeben, denn der Stadtteilspaziergang wartet mit kleinen Überraschungen auf. Das Lob hingegen möchte er lieber an andere weiterleiten: "Im Vordergrund stehen hier die Kulturschaffenden mit ihrem Talent."
Wenn der Lieblingsautor um die Ecke wohnt
Insgesamt 21 beteiligte Menschen und Gruppen aus Dellbrück präsentieren auf den knapp vier Kilometern Spazierweg, auf denen auch private Tore und Wege geöffnet werden, Werke und Darbietungen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Theater.
Die Dancing Eagles Cologne sind ein inklusiver Tanzklub
Für die Teilnehmenden ist der Dellbrückentag damit eine niedrigschwellige Gelegenheit, Künstlerinnen und Künstler aus ihrer Nachbarschaft kennenzulernen und diese in Aktion zu erleben: "Ich wusste gar nicht, dass wir mit den 'Dancing Eagles Cologne' einen inklusiven Square-Dance Club hier im Veedel haben oder dass der Autor Christian Schnalke bei mir um die Ecke wohnt – seinen Roman 'Louma' habe ich im letzten Urlaub verschlungen", berichtet eine Teilnehmerin vergnügt.
Bühne für Kulturmenschen im Viertel
Diese große Vielfalt ist es, die Müller-Becker reizt, den Stadtteilspaziergang zu organisieren. Leidenschaft für die Gewerke und Engagement vor der Haustür ziehen sich durch seine gesamte Biografie, von der Vergabe lokaler Kunstpreise bis hin zum Verfassen zweier Bücher, die Kulturschaffende aus Bergisch Gladbach und Köln-Dellbrück samt Nachbarstadtteil Holweide portraitieren.
Am Dellbrückentag haben mehr als 160 Menschen teilgenommen
Seine Protagonistinnen und Protagonisten lernt der Dramaturg und Rundfunksprecher dabei im Alltag kennen, etwa im Gespräch mit anderen Eltern im Kindergarten oder in der Schule: "Da fiel mir auf, meine Güte, leben hier im Stadtteil mit 20.000 Einwohnern viele Kulturmenschen, die aber hier überhaupt nicht auftreten."
Sich daraufhin zu vernetzen und ein lokales Event zu organisieren, das Jung und Alt sowie Zugezogene, Alteingesessene und sogar Weggezogene zusammenbringt, war für Müller-Becker die logische Schlussfolgerung.
Heiße Kunst
"Nicht schon wieder, nicht schon wieder! Brennt das Haus, brennt das Haus!", singt eine Frau in orangener Warnweste vor der Feuerwache Strunden. Ihr Kollege rudert mit den Armen in der Luft. Die beiden gehören zur Improvisationstheatergruppe "Linie 15", die den Spaziergang moderieren und die Teilnehmenden zum Mitmachen einladen.
Das Orchester Saxonet spielt alles von Klassik bis kölscher Musik
Nach einer kurzen interaktiven Darbietung lotsen sie die Gruppe in den Hinterhof der Feuerwehr, wo der bildende Künstler Alex Cummins mit einer Überraschung wartet.
Er zündet seine Gemälde an. Ein Raunen geht durch die Menge. "Ich habe herausgefunden, dass die Farben mit Feuer schneller trocknen“, scherzt der US-Amerikaner, der seit 14 Jahren in Dellbrück lebt, unter Johlen und Applaus seiner Nachbarn.
"Eine endlose Geschichte wird das nicht"
Als die Flammen erlöschen, ist die Leinwand kunterbunt. "Bitte nicht zuhause nachmachen", richtet er seine Botschaft an die kleinen und großen Kinder im Publikum.
Ingo Müller-Becker ist sehr zufrieden mit dem Event und seinem feurigen Finale. Was der nächste Dellbrückentag verspricht, möchte er aber noch nicht verraten. Nur so viel gibt er zu verstehen: "Eine endlose Geschichte wird das nicht. Entweder ist der Stadtteil irgendwann einmal auserzählt oder eine jüngere Generation muss ran."