Die Gaststätte Dörnemann ist gerammelt voll. Jeder Stuhl an den langen Holztischen ist besetzt. Auch am Tresen stehen Menschen. Gläser klirren, Besteck klimpert, laute Gespräche, Lachen. Man versteht kaum sein eigenes Wort. Die Luft ist ein wenig stickig. Die typische Atmosphäre in einer ganz normalen, gut besuchten Kirche.
In einer Kirche? Richtig. Aus der Kneipe in Bönen wird an einem Mittwochabend eine Art Kirche. Für eine Stunde zumindest. Beim Kneipengottesdienst. Pfarrerin Eva Meisel stellt sich an ein Mikrofon, anders würde man sie bei diesem Geräuschpegel gar nicht hören können. "Schön, dass ihr da seid und schön, dass wir hier sein dürfen", sagt die 32-Jährige mit einem breiten Lächeln und greift nach einem Glas Bier. Der besondere Gottesdienst kann starten.

Wie der Kneipengottesdienst startet. 00:14 Min.. Verfügbar bis 20.03.2027.
Amen statt Prost. So hat sich Meisel das gedacht. Sie ist seit einem guten Jahr Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Bönen. Schon kurz nach Dienstantritt hat sie nach anderen Orten für Gottesdienste gesucht. Erst waren es noch Kneipengespräche, dann ist die Idee für den Kneipengottesdienst gereift. "Gottesdienst kann überall sein", sagt die Pfarrerin.
Kirchen in Deutschland verlieren Mitglieder
Schon lange kehren in Deutschland hunderttausende Menschen den Kirchen den Rücken. Jahr für Jahr. Egal ob katholisch oder evangelisch. Allein in NRW sind 2024 gut 160.000 Menschen aus der Kirche ausgetreten, sagt das Justizministerium. Die Gründe sind sehr unterschiedlich: Missbrauchsskandale, veraltetes Weltbild oder fehlender Glaube sind nur einige davon. So suchen die Kirchengemeinden zunehmend nach besonderen Orten für Gottesdienste. Die Idee: Wenn immer weniger Menschen in die Kirche kommen, dann muss die Kirche eben zu den Menschen kommen.
Zum Beispiel in die Kneipe. Ganz neu ist diese Idee nicht. Die Gemeinde der Christuskirche in Köln feiert schon länger regelmäßig Gottesdienste in einer kleinen Eckkneipe. "Wie Inas Nacht - nur evangelisch", sagt die Gemeinde dazu. Bei einem Kneipengottesdienst in Bad Honnef hieß es vor Kurzem "Gott ist auch dein Bier", in Hagen lädt die Kirche in ein Kulturzentrum "Auf einen Drink mit Gott" ein.
Besondere Stimmung beim Kneipengottesdienst
Pfarrerin Meisel ist überzeugt: Kirche, Glaube und Gott werden weiter gebraucht. Aber vielleicht nicht unbedingt am Sonntagmorgen in einem Gotteshaus: "Für die Menschen passen diese Uhrzeit, dieser Ort und vielleicht auch die Menschen, die da sind, nicht so gut. Deshalb braucht es andere Orte, um ein bisschen auszuprobieren." So wie die Kneipe.
Was den Gottesdienst in der Kneipe besonders macht. 00:31 Min.. Verfügbar bis 20.03.2027.
Für das perfekte Gefühl soll unter anderem die Musik sorgen. Eher Kneipenstyle statt Kirchenchor, Akkordeon statt Orgel. Gesungen wird "Take Me Home, Country Roads", passend zum Thema der Predigt: Heimat. Für Textsicherheit sorgen die Liederzettel auf allen Tischen und dem Tresen. Zwischendurch reicht die Kellnerin neue Getränke. Andächtige Stille gibt es hier an diesem Abend nicht.
Ihre Fürbitten schreiben die Gottesdienst-Gäste stilecht auf Bierdeckel. Nach ein paar Minuten sammelt die Pfarrerin einen großen Stapel davon ein. "In der Kneipe erzählt man sich ja auch, was einen gerade so bewegt", sagt Meisel, "nach ein, zwei Bier ist man auch ehrlicher als sonst und dann schreibt man noch ehrlichere Gebete auf den Bierdeckel". So wünschen sich an diesem Abend in der Kneipe in Bönen viele ganz ehrlich Frieden auf der Welt, viele auch Gesundheit. Und auf einem Bierdeckel steht der fromme Wunsch: "Herr, lass Hirn regnen".
Kneipengottesdienst in Bönen kommt gut an
Rund eine Stunde dauert der Kneipengottesdienst. Ein letztes Lied noch, ein letzter Applaus. Dann sagt Pfarrerin Meisel ins Mikrofon: "Bis zum nächsten Mal, macht es gut". Gut gemacht, finden viele Gäste des ungewöhnlichen Gottesdienstes und wünschen sich eine weitere Wiederholung.
Wie es den Gottesdienst-Gästen gefallen hat. 00:22 Min.. Verfügbar bis 20.03.2027.
Dass die Gottesdienst-Gäste gerne ein Bier mehr trinken, freut auch Kneipenwirtin Ute Nüsken. Sie spürt eine ganz andere Stimmung in der Kneipe. Sonst essen die Gäste meist nur etwas und gehen dann nach Hause. "Jetzt unterhalten sich mal alle, es haben alle gute Laune, das ist schön", sagt Nüsken.
So schön, dass das wohl nicht der letzte Kneipengottesdienst in Bönen war. Auch wenn Pfarrerin Meisel ihn nicht allzu oft wiederholen will: "Dann geht das Besondere verloren." Sie hat aber auch noch andere besondere Ideen. "Ich träume von einem Gottesdienst im Freibad", sagt sie. Erst einmal genießt sie aber den Rest des Abends. Mit Gesprächen und Getränken.
Über dieses Thema haben wir auch am 06.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.