Eine große erleuchtete Bühne umringt von Bäumen. Vor der Bühne stehen tausende Menschen.

Warum in Haldern immer Pop ist

Wesel | Heimatliebe

Stand: 10.08.2024, 10:15 Uhr

Das kleine Dorf Haldern, irgendwo im niederrheinischen Nirgendwo, ist für sein Festival überregional bekannt. Weltstars spielen hier vor 7.000 Besuchern. Was macht den Reiz dieses Festivals seit 40 Jahren aus?

Von Agata Pilarska

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Das Festival gehört der Stadt

Veranstalter Stefan Reichmann eilt durch das Haldern Pop Café. Die alte Kneipe ist Event-Location, Künstler-Unterkunft, Plattenladen und Büro in einem. Viele Fragen begegnen Reichmann auf dem Flur: "Weißt du, wo die Notenständer-Beleuchtung ist?" "Ist das mit der Presse geklärt?" Ruhig und gelassen beantwortet er jede Frage, geht ans Telefon und spricht mit dem Nachbarn. "Begeisterungsmanufaktur" ist am Türschild des 60-Jährigen zu lesen.

Mitten in der Innenstadt liegt das Haldern Pop Café

01:08 Min. Verfügbar bis 08.08.2026

Reichmann ist Gründungsmitglied und künstlerischer Leiter von Haldern Pop. Das Festival gibt es seit 1984 und ist inzwischen zu einer Landmarke der Region geworden. Durchschnittlich tanzen und singen 7.000 Besucher an sechs Bühnen lautstark mit. Auch in der Dorfkirche finden Konzerte statt.

Immer wieder wird das Festival wegen des dörflichen Flairs mit dem Wacken Open Air verglichen, das mit rund 80.000 Besuchern vom Dorffest zum größten Metal-Festival der Welt herangewachsen ist. Ein Vergleich, den Reichmann nicht nachvollziehen kann: "Wacken gehört seinen beiden Gründern und einer Aktiengesellschaft. Das Haldern Pop gehört dieser Stadt."

So fing alles an

Angefangen hat die Geschichte des Haldern Pop mit einer Gruppe Jugendlicher, die Rockmusik hören wollte. "Wir waren eine Gruppe Messdiener und haben andere Musik gehört, als das auf dem Land in den 70er Jahren üblich war. Wir wollten unsere eigene Party", erinnert sich der sechsfache Familienvater.

Ein Mann steht vor einer Bühne steht

Stefan Reichmann wollte Rockmusik nicht mehr nur vom Plattenspieler hören

Gesagt, getan. Die Freunde fingen damit an, Partys mit Rockmusik, Cola, Fanta und Bier zu organisieren. Dazwischen machte Reichmann viele Ausflüge zu Konzerten in die Großstädte. Was davon übrig blieb, waren Sehnsuchtsmomente, die Musik in die eigene Heimat zu bringen.

Reichmann gründete eine Firma. Jeder, der 500 D-Mark einzahlte, wurde quasi zum Mitveranstalter. Die Anfänge waren wie eine Achterbahnfahrt, erinnert sich der 60-Jährige: "Wir haben viel Geld verloren in den ersten Jahren. Das macht aber nichts, weil wir uns alles selbst beigebracht haben und viel ausprobieren konnten. Es ging uns nie um die Kohle."

Zu sehen ist ein selbstgemaltes Schild am Wegesrand, auf dem dazu aufgerufen wird, keinen Müll liegen zu lassen.

Das dörfliche Flair hat das Haldern Pop Festival seit jeher behalten

Das erste Festival war direkt ein Erfolg. Rund 1.200 Besucher sind in das Dörfchen gekommen. Seitdem sind 40 Jahre vergangen. Um Kohle geht es Reichmann immer noch nicht. Längst hätte er expandieren können. Er möchte aber, dass so viel wie möglich in der Region verbleibt. Ein bekannter Kräuterschnapshersteller bot ihm viel Geld für einen Schnapsstand auf dem Gelände. Reichmann hat abgelehnt. Er möchte weder Schnaps noch sonst einen Anteil des Festivals verkaufen. Denn "damit verkauft man auch das Publikum."

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Die Off-Day Bar

Im Haldern Pop Café am Dorfplatz herrscht immer noch großes Gewusel, die letzten Vorbereitungen laufen bis es endlich losgeht. Das Gebäude sollte eigentlich 2008 abgerissen werden. Reichmann hatte eine andere Vision: Haldern ist für ihn nicht irgendwo im Nirgendwo - sondern in der Mitte von Berlin und Paris, von Amsterdam und Köln, von Kopenhagen und Zürich. Warum nicht Künstlern, die auf Europatournee sind, einen Aufenthalt in Haldern anbieten?

Er wurde für seine Idee ausgelacht. Doch der Immobilienmakler gab ihm eine Chance und der Erfolg sollte Reichmann recht geben. Immer mehr Musiker strandeten auf Tour in dem kleinen Café. Off-Days, also Tage auf Tour, an denen nicht gespielt wird, sind teuer für die Künstler. Die Crew muss an diesen Tagen trotzdem bezahlt werden. So kam es, dass der ein oder andere namhafte Musiker lieber in der Dorfbar performte, als den ganzen Tag auf der Autobahn zu verbringen. Black Country New Road, Sam Fender und Philipp Poisel zählten schon zu den Gästen. George Ezra hatte so viel Spaß, dass er sogar beim Aufräumen geholfen hat.

Unvergesslich ist für die Künstler die niederrheinische Gastfreundschaft und Ruhe: Genügend Schlafplätze über der Bar, selbst gemachtes Essen und ein großer Garten zum Entspannen hinter dem Haus. Wenn Reichmann nach dem Durchbruch eines Künstlers wie Philipp Poisel fragt, ob er auf dem Haldern Pop Festival spielt, sagt er Ja. Obwohl das Festival eigentlich inzwischen für seinen Bekanntheitsgrad zu klein geworden ist. Aber Reichmann hat an ihn geglaubt, als er noch kein Star war.

Eine besondere Festival-Zeitung

Reichmann sitzt im besagten Garten und raucht noch eine Zigarette, bevor er zum Gelände muss. Vor ihm liegt die Festival-Zeitung. Auf dem Titelbild ist nicht der Headliner zu sehen, sondern der Garten. Er ist überzeugt, dass sich Menschen in den Gefilden des digitalen Zeitalters nach Struktur und Ordnung sehnen und physische Datenträger wieder an Relevanz gewinnen. Deshalb ist ihm die Zeitung wichtig. Darin ein Grußwort, die Vorstellung der Musiker und regionale Kunst. Auch ein Plattenladen gehört zu seinem Konzept. Physische Tonträger statt Streaming. "Vor allem Musiker, die hier übernachten, kaufen gerne Platten hier."

Zu sehen ist eine Zeitung, die auf einer Decke auf einer Wiese liegt.

Die Festival-Zeitung ist ein wichtiger Bestandteil des Pop Festivals

An vielen anderen Tagen ist im Haldern Pop Café normaler Barbetrieb. "Die Leute staunen immer, wie viele Leute aus der Umgebung vorbeikommen." Pünktlich um 22 Uhr ist aber Schluss. "Wir nehmen Rücksicht auf die Nachbarn, und die Nachbarn nehmen Rücksicht auf uns. Man darf diese Dankbarkeit nicht verlieren", sagt der 60-Jährige.

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Der Veranstalter fährt Fahrrad

Reichmann ist sich in all den Jahren treu geblieben. Er hat keinen Porsche. Er fährt Fitz, wie man in der Region das Fahrrad nennt. Kultur bereichert ihn, nicht Geld. Vorbei an Backsteinhäusern, Maisfeldern und Kuhweiden geht es zum Festivalgelände. Fast alles steht schon: Toiletten, Essens-Stände und das Crew-Zelt direkt am Waldrand. Ein paar Arbeiter schrauben noch an der Hauptbühne. Viele der insgesamt etwa 500 Mitarbeiter kommen aus der Region und arbeiten ehrenamtlich.

So sieht das Haldern Pop aus

00:29 Min. Verfügbar bis 14.08.2026

Reichmann spricht immer vom Team, beginnt keinen Satz mit "ich". Beim Rundgang über das Gelände posiert er etwas widerwillig vor der Bühne für ein Foto. Er steht nicht gerne im Fokus. Nur bei einer Sache gibt es eine Ausnahme: das Booking.

Reichmann hat Muse, Extrabreit, Guano Apes, Patti Smith, die Sportfreunde Stiller und Sam Smith in ein 5100 Seelen Dorf geholt. Einige hatten erst später den großen Durchbruch oder waren schon bekannt und hatten von diesem kleinen Festival voller niederrheinischer Heimatliebe gehört. Andere Künstler hingegen sind noch völlig unbekannt: "Ich gehe zu Konzerten und reise viel. Manche haben in der Bar gespielt oder wurden mir von befreundeten Musikern empfohlen."

Wer mal einen Musiker vor dem Durchbruch auf dem Festival gesehen hat, vergisst das nie. Das Publikum vertraut Reichmann. Und er weiß es zu schätzen: "Wir machen nicht ein Festival, um Tickets zu verkaufen. Wir verkaufen Tickets, um ein Festival zu machen."