Paul Linkes wichtigster Auftrag kam in einer Kneipe zustande. Der 37-jährige Mitgründer des Modelabels "This is Gelsen" trank gerade mit Freunden ein Bier, als er vom Nebentisch eine Frage aufschnappte: Wer steckt denn hinter diesem neuen Modelabel aus Gelsenkirchen? Moderne T-Shirts, Pullover, Socken oder Caps, auf denen zum Beispiel groß die Telefon-Vorwahl prangt - das hatte für Aufsehen in einer Stadt gesorgt, die oft als grau und trist gilt. Als sich Linke als Mitgründer eben jenes Labels vorstellte, staunte er nicht schlecht: Sein Gegenüber arbeitet beim FC Schalke 04 und hatte Interesse an einer gemeinsamen Kollektion.
"Gelsenkirchen ist nicht so schlimm, wie alle denken"
Drei Jahre und viele Meetings später sitzen Paul Linke und Carlo Feick, ebenfalls Label-Gründer, in ihrem eigenen Shop in der Gelsenkirchener Innenstadt. Auf Kleiderstangen hängen blau-weiße T-Shirts und Pullis, neben dem Schalke-Logo prangt der Schriftzug "This is Gelsen". Das kuriose Treffen in der Kneipe bezeichnet Linke heute als "Gelsen-Story, wie sie im Buche steht". Ein Teil dieser Story ist auch Künstler Benjamin Veltum, der ebenfalls seit Anfang an beim Modelabel dabei ist. Er erzählt, warum er von dem Projekt so begeistert ist.
Die Menschen in Gelsenkirchen sind bekannt für ihre ehrliche, direkte Art. Die Stadt wiederum ist durch Medienberichte auch für Armut, niedrige Lebensqualität oder eine hohe Arbeitslosenquote. In vielen Statistiken und Städterankings landet sie ganz hinten. Kein Wunder, dass auch die Gelsenkirchener Linke und Feick 2019 ihr Label gründeten, weil sie unzufrieden waren - vor allem mit dem Marketing der Stadt.
"Wir fanden das oft sehr altbacken und langweilig und wollten ein bisschen mehr Pep reinbringen", erzählt der 36-jährige Feick. Auf ihre Ideen sei die Stadt aber nicht eingegangen. "Deshalb haben wir gesagt: Wenn die keine Lust haben, machen wir das einfach selbst. Die Idee war einfach, zu zeigen, dass Gelsenkirchen gar nicht so schlimm ist, wie alle immer denken."
Sie starteten damit, Bilder zu verkaufen, die ein anderes Licht auf die Stadt werfen. Teile ihrer ersten Projekte hängen noch in ihrem Shop. Sie zeigen weiße Hochhäuser, einen Hotel-Schriftzug im Sonnenuntergang oder den Blick von einer Halde auf die Stadt. "Kleinigkeiten, die man im Alltag vielleicht gar nicht so wahrnimmt oder zu schätzen weiß", sagt Feick. "Aber wenn man das annimmt, gibt einem das auch ein Heimatgefühl."
Schalkes Trainer bringt den Durchbruch
Nachdem die ersten Bilder schnell ausverkauft waren, weiteten Feick und Linke das Projekt auf Kleidung aus. Sie verkauften zunächst nur online, ehe der Shop in der Innenstadt dazukam. Und dann der Durchbruch, ausgerechnet dank der in der Kneipe eingefädelten Kollektion mit Schalke 04: In der Saison 2022/23 wird der weiße "This is Gelsen"-Pullover zum Glücksbringer für Ex-Trainer Thomas Reis. Acht Spiele in Folge trägt er ihn, achtmal bleibt Schalke ungeschlagen. Nach wenigen Tagen ist der Pulli ausverkauft. "Das war Wahnsinn", sagt Linke, natürlich selbst auch Schalke-Fan.
Das Geld aus dem Verkauf investieren die Gründer, die das Label neben ihren normalen Jobs betreiben, direkt in neue Projekte. Oft arbeiten sie mit lokalen Künstlern zusammen, die die Motive entwerfen. So wie Benjamin Veltum. Er trägt ein T-Shirt aus der neuen Kollektion darauf der Schriftzug: "Gelsen City, Stadt ohne Gehalt“. Eine selbstironische Anspielung auf ein altes Schild, das mal in der Innenstadt hing und den Schriftzug "Gelsenkirchen, Stadt ohne Gewalt" trug.
Die Probleme ihrer Heimat versuchen die Gründer mit Humor zu nehmen. "Oberstes Ziel ist, die Stadt lebenswerter zu machen", sagt Feick und schiebt nach kurzem Überlegen hinterher: "Und vielleicht auch die Menschen dazu zu motivieren, die Stadt zu gestalten. Denn das ist notwendig. Wenn jemand die Stadt gestalten kann, dann die Leute, die hier wohnen." Und gestalten kann man ja sogar aus einer Kneipe heraus.
Über dieses Thema haben wir auch am 30.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.