Da, wo es nur Brot gibt
Stand: 02.09.2023, 10:47 Uhr
Anfangs wurde Max Kugel mit dem Konzept belächelt, in seiner Bäckerei ausschließlich Brot anbieten zu wollen. Doch er weiß: Nur so lässt sich das Bäckerhandwerk retten.
Von Mirjam Ratmann
Ein Mann - eine Mission
Sie sind eckig, rund, hell, dunkel, mit Kernen oder ohne. Mal mit Oliven versetzt, mal mit Schokolade, je nach Jahreszeit. Wer in Bonn nach einer Bäckerei fragt, bekommt "Max Kugel" zu hören. Doch wer dort Croissants, Brezeln oder Kuchen kaufen möchte, sucht vergeblich. Denn bei "Max Kugel" gibt es ausschließlich Brot. Seit 2017 betreibt der Bäckermeister Max Kugel den Laden auf dem Bonner Talweg, der Lebensader der Bonner Südstadt.
"Brot ist das älteste Lebensmittel der Welt und daher das wichtigste", sagt Kugel, wenn man ihn danach fragt, warum er macht, was er macht. "Es gibt kein anderes Gebäck, das so viel Charakter hat. Mit dem richtigen Brot kannst du einen echten Unterschied machen." Viele hätten dem 32-Jährigen gesagt, sein Konzept würde nicht funktionieren. Sechs Jahre später ist "Max Kugel" auch außerhalb Bonns bekannt. Täglich stehen Menschen an, vor Ferien oder Feiertagen kann die Schlange schon mal die 80 Meter bis zur nächsten Straßenecke gehen.
Was ist für Max Kugel das Schönste am Bäckerberuf?
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Auf die Größe kommt es an
Wenn sein Team um 6 Uhr eintrifft, sind sie zu fünft in der Backstube. Das Thermometer zeigt 30 Grad, weißer Mehlstaub liegt in der Luft. Jeder hat eine feste Rolle: Der eine kippt gerade Roggenvollkornmehl in die Knetmaschine, ein anderer schiebt Weißbrote in den Ofen. Kugels einzige Bäckerin formt den Teig, er selbst und ein weiterer Bäcker helfen da, wo sie gebraucht werden. "Ich würde den noch eine halbe Stunde länger gehen lassen", sagt Kugel zu einem und an einen anderen gewandt: "Schau mal bitte, dass hier die Form stimmt". Ein Kontrollfreak sei er nicht. Trotzdem fiel es ihm anfangs schwer, "seine" Teige abzugeben. Daher ist morgens um 5 Uhr Kugels liebste Zeit. Da kann er alleine sein - mit sich und den Teigen. Kann schauen, ob sie aufgegangen sind, ob sie atmen. Sein Lieblingsbrot ist das, was "Probleme macht. Da kann ich mich reinfuchsen und das Beste aus dem Teig herauskitzeln." Grade ist "Johnny" das Problemkind.
Während die Knetmaschinen wie Generatoren vor sich hin rattern, schallt Miley Cyrus "Flowers" durch die Backstube. Dazu bewegen sich die Bäckerinnen und Bäcker wie Tänzerinnen und Tänzer. Jeder Schritt ist Routine, jeder Handgriff abgestimmt. Eine perfekt einstudierte Choreografie. "Anders funktioniert es nicht", sagt Kugel, "dafür haben wir zu wenig Platz." Die Backstube ist gerade mal so groß wie die Ladefläche eines Sprinters.
Um 6 Uhr herrscht in der Backstube Hochbetrieb
Kugel will es so: Auf engstem Raum arbeiten, in einem kleinen Team, das 13 Mitarbeitende fasst. Er glaubt: Nur, wenn sich Bäckereien verkleinern und auf eine Spezialität fokussieren, haben sie eine Chance, langfristig gute Qualität anzubieten - und zu überleben. Bäcker ist für Kugel der schönste Beruf. "Es ist ein Handwerk, das nie ausstirbt." Den Kundinnen und Kunden will er ein Erlebnis bieten. "Idealerweise erinnert sie nur die Tüte daran, dass sie gerade in einer Bäckerei waren."
Bloß keine "typische deutsche Bäckerei"
Denn im Verkaufsbereich von "Max Kugel" wähnt man sich in einem hippen Café. An den dunkelgrauen Wänden hängen Fotografien der Mitarbeitenden, der Verkaufsbereich ist in hellbraunem Holz gehalten, Musik von Nena, Tina Turner oder den Arctic Monkeys dröhnt einem entgegen. Die Backstube am Ende des Ganges ist lediglich durch eine durchsichtige Schiebetür abgetrennt. Kugel sagt: "Ich wollte keine typische deutsche Bäckerei sein." Über seine Vision hat er das Buch "Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten" geschrieben. Mit seinem Konzept will er andere Bäcker inspirieren es ihm gleichzutun – und ja, vielleicht gar das Bäckerhandwerk revolutionieren. Denn es ist konträr zu traditionellen Bäckereien – wie die seines Vaters.
Bei Max Kugel gibt es neun feste Brotsorten und ein täglich wechselndes Tagesbrot
Dort, in der Bäckerei Kugel in Lahnstein, lernte Kugel mit 15 Jahren sein Handwerk. Statt den Familienbetrieb zu übernehmen, arbeitete er in Bäckereien in Vancouver, der Schweiz und auf den Färöer-Inseln. Und kam erstmals nach Bonn. Schon damals gefiel ihm die Stadt, ihre Traditionen, die Geschichte, der Rhein. "Bonn ist eine sehr dankbare Stadt für Gründer, die Leute haben einen gewissen Bildungshintergrund, daher kann man sie mit Brot begeistern", sagt er. Deswegen kam er wieder, um der Bonner "Stadtteilbäcker" zu werden.
Die "Road to Bakery"
Von seinen Reisen brachte er neben Ideen für das Ladendesign, Inspirationen für Brote mit. So steht neben einem Roggenvollkornbrot "Johnny" oder "Aschauer" auf der Liste: Brote, die nach Menschen und Orten benannt sind, die Kugel auf seiner "road to bakery", wie er es nennt, inspiriert haben. Da war der Schweizer Bäcker John Baker aus Zürich, nachdem "Johnny", das aus Ruch- und Roggenvollkornmehl besteht, benannt ist. Oder der Ort Aschau am Inn, Namensgeber für das "Aschauer", ein Mischbrot aus Weizen, Dinkel, Roggenvollkorn und Sauerteig. "Heinz" (Roggenvollkornmehl, Sauerteig und Weizenmehl, dazu Brotgewürze) ist Kugels Vater gewidmet. 2015 gewann Kugel mit Vater und Bruder die ZDF-Show "Deutschlands bester Bäcker", mit einem "Heinz"-ähnlichen Rezept. Die Familien-Bäckerei ist inzwischen insolvent.
So sieht es aus, wenn Max Kugel seine Brote backt
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In einer Knetmaschine läuft der Teig für die "Zehn" - das Brot, das abgesehen von den neun festen Sorten, wechselt. Morgen gibt es ein "Nuss-Johnny": ein Mischbrot aus Roggen- und Ruchmehl, dazu geröstete Walnüsse. Kugel nimmt ein Stück Teig in die Hand, zärtlich, fast so als könne er bei zu festem Griff in Scherben zerfallen. Er spannt ihn, ins Licht haltend, auf. "Erst, wenn man keine Fäden mehr sieht, ist er perfekt." Er kippt mehr Mehl dazu, kurz darauf stoppt er die Maschine wieder, steckt ein Thermometer in den Teig. 23 Grad. "Der muss noch etwa drei Stunden weiter stehen."
Eine "abgefahrene" Schlange
Um halb zehn sind bereits die Ersten im Laden. "Wir machen leider erst um zehn Uhr auf", sagt die Verkäuferin, die gerade im Schaufenster die Brote drapiert. Der Erfolg überrascht Kugel bis heute, die Schlange vor dem Laden, die sich auch an diesem Vormittag bildet, nennt er "abgefahren." Manchmal schließt "Max Kugel" früher, weil die Brote ausverkauft sind.
Im Backraum holt ein Bäcker mit einem Metallheber Weißbrote aus dem Ofen. Er schlägt die Brote, die in einer Kastenform liegen, gegeneinander, damit sie sich lösen. Ein lautes "Klack Klack", dann legt er sie auf Holzscheite. Max Kugel muss jetzt die Teige für den nächsten Tag vorbereiten. Vorne fegt ein Mitarbeiter durch und fährt auf dem Gehweg die rote Markise aus. Als das Radio die Zehn-Uhr-Nachrichten ankündigt, macht die Verkäuferin das Licht an und öffnet die Tür.