Besondere WG: Andreas Stiegler baut ein Zuhause für seinen Sohn

Dortmund | Füreinander

Stand: 12.07.2024, 08:00 Uhr

Wie kann mein Kind mit schweren Behinderungen möglichst selbstständig leben? Weil es für ihn darauf keine gute Antwort gibt, baut Andreas Stiegler für seinen Sohn selbst eine WG in Dortmund auf. Wie das klappt, erzählt er hier.

Von Katharina Hollstein

Diese WG bedeutet für die Bewohnerinnen und Bewohner eine ganz neue Lebensperspektive. Hier ein neues Zuhause zu haben, in dem sie alt werden können, auch ohne die Eltern. Sie sollen hier, soweit sie das können, selbstbestimmt und frei leben, sich ihren Interessen widmen.

Dazu gibt es keine Alternative, um ehrlich zu sein. Wir haben uns für unseren Sohn Tim bemüht, einen Platz im Wohnheim zu finden. Aber es gibt nur sehr, sehr wenige geeignete Plätze für mehrfach schwerst behinderte Menschen. 

Wir haben uns vor vielen Jahren mit ein paar Eltern von Tims Schule überlegt: Was passiert mit unseren Kindern, wenn sie älter sind? Auch sie haben Kinder mit schweren Behinderungen. Wir haben schnell festgestellt, dass es sehr schwierig ist, eine geeignete Wohnform zu finden. Und wie es der Zufall wollte, wurde uns dieses Haus hier von der evangelischen Gemeinde angeboten.

Dann haben wir gesagt: 'Na ja, dann müssen wir halt selbst was machen'. Andreas Stiegler

Wir haben vor fünf Jahren extra einen Verein für unser Anliegen gegründet. Dann hat es fast vier Jahre gebraucht, bis wir mit dem Bau beginnen konnten. Neben der Planung mussten wir Gelder beschaffen und jemanden finden, der uns bei Pflege und Betreuung unterstützt. Dafür haben wir glücklicherweise die Lebenshilfe gefunden.

Die WG gemeinsam am Esstisch | Bildquelle: WDR / Hollstein

In der WG hat jeder sein eigenes Zimmer. Der zentrale Raum ist das große Wohnzimmer, wo sich alle aufhalten, wo Leben ist, wo sie gemeinsam einen Film gucken. Das gibt es sonst nicht für Menschen mit so schweren Behinderungen.

Alle verstehen sich tatsächlich sehr gut. Tim hat zu seinem Mitbewohner Jona in den ersten Tagen eine ganz besondere Freundschaft geschlossen. Und die Menschen, die hier arbeiten, schaffen eine super Atmosphäre.

Die Bewohner haben bisher alle zu Hause gewohnt und müssen sich jetzt komplett umstellen. Als sie hier eingezogen sind, waren sie am Anfang alle total müde. Sie gehen tagsüber zur Arbeit, sind da schon in einer Gruppe und kommen dann hierhin, wieder in eine Gruppe.

Aber das ist eigentlich genau der Grund, weshalb sie hierherziehen sollten. Zu Hause wird es schnell langweilig für sie. Für uns als Eltern ist aber auch eine Umstellung. Ohne diese WG hat jeder von uns Eltern sein Kind tagtäglich betreut und gepflegt. Freiheiten, die für andere Menschen ganz normal sind, waren für uns unvorstellbar. Das entfällt jetzt zu einem großen Teil und ist eine riesige Erleichterung. Allein schon mit Blick auf die körperlichen Anstrengungen, weil wir unsere Kinder zum Beispiel heben müssten. Wir werden alle älter und hätten das nur eine begrenzte Zeit leisten können.

Am Anfang musste sich alles erst finden. Mittlerweile merkt man, dass alle total glücklich sind. Wenn wir zu Besuch kommen, werden wir angestrahlt, aber wir dürfen auch wieder nach Hause gehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Über dieses Thema haben wir am 07.05.2024 auch im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.