Die Fährtenleser: Wie Ehrenamtliche vermisste Personen aufspüren
Siegen-Wittgenstein | Füreinander
Stand: 05.10.2024, 16:40 Uhr
Jedes Detail bei der Suche nach Vermissten kann Leben retten. Deshalb trainieren ehrenamtliche Fährtenleser aus Neunkirchen regelmäßig für den Ernstfall - detektivische Kleinstarbeit.
Von Josefine Upel, (Text) und Gerrit Saßmann (Multimedia)
Mit langsamen Schritten laufen die Fährtenleser einen schmalen Waldweg entlang. Ihre Blicke schweifen über den mit Laub bedeckten Boden und die grüne Umgebung. Jedes Detail an Blättern, Zweigen, Pflanzen, Gras, Moos oder Steinen könnte wichtig sein. "Hier ist die erste Spur", sagt Stefan Girreser. Der 43-Jährige geht in die Knie und zeigt den anderen die Stelle. Wo rundherum trockenes Laub den Boden bedeckt, ist hier die Erde sichtbar. Die Blätter um die runde Stelle haben sich zusammengeschoben. Ein deutlich erkennbarer Schuhabdruck. Girreser selbst hat die Spur gelegt. Denn heute ist Trainingstag bei den Fährtenlesern.
Ein Baumstamm gibt Karina Nitz einen wichtigen Hinweis
00:12 Min.. Verfügbar bis 05.10.2026.
Die Gruppe gehört zu den "Mantrackern Germany Search and Rescue", dem ersten ehrenamtlichen Verein für Menschenrettung in Deutschland. Vor eineinhalb Jahren hat sich der Verein in Neunkirchen im Siegerland gegründet und trainiert seitdem die Suche nach vermissten Personen. Allein in NRW sind laut Landeskriminalamt im Jahr 2022 mehr als 30.000 Menschen als vermisst gemeldet worden. Die meisten Vermissten tauchen allerdings innerhalb von drei Tagen wieder auf.
Wann gilt eine Person als vermisst?
Die Polizei leitet nach Angaben des BKA eine Fahndung ein, wenn folgende drei Punkte gegeben sind:
- eine Person hat ihr gewohntes Umfeld verlassen
- es ist nicht bekannt, wo sie sich zurzeit aufhält
- eine Gefahr für Leib oder Leben kann nicht ausgeschlossen werden (z.B. Opfer einer Straftat, Unfall, Hilflosigkeit, Selbsttötungsabsicht)
Konzentriert bewegen sich die Fährtenleser weiter durch das Waldstück, analysieren jedes Zeichen und beraten sich. Sie versuchen, das Ende von Girresers Spur und damit den fiktiven Vermissten zu finden. Oft sind die Spuren nur schwer zu erkennen. "Deswegen ist Fährtenlesen eine langsame und sehr intensive Suche", sagt Karina Nitz. Zweimal pro Woche trainieren die 49-Jährige und ihr Team. Denn das Motto ist: "Man lernt nie aus."
30 Minuten volle Konzentration
Durch das Fährtenlesen versuchen die Mantracker, Rückschlüsse auf Bewegungen, Laufrichtungen und Absichten einer Person zu ziehen. "Es ist sehr spannend, schwierig und mental auch herausfordernd. Das macht man eine halbe Stunde am Stück und dann muss man sich abwechseln", erzählt Nitz.
Ihre Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren stark verändert, sagt sie. "Man ist viel aufmerksamer und das Bewusstsein für die Natur ist ein bisschen anders geworden." Jede Pflanze verhält sich anders: "Manche haben mehr, andere weniger Feuchtigkeit in sich und zeigen dementsprechend Abdrücke anders."
Manche Spuren sind schneller zu erkennen als andere
In Deutschland ist für die Suche nach vermissten Personen in erster Linie die Polizei zuständig. Sie kann jedoch andere Organisationen wie die Mantracker aus Neunkirchen um Unterstützung bitten. Angehörige oder Freunde der vermissten Personen können ebenfalls bei dem Verein kostenlos Hilfe anfordern. Auch bei entlaufenen Hunden gibt es Hilfe von ehrenamtlichen Suchexperten.
Die Lösung liegt im Detail
Ein paar Meter weiter entdeckt Nitz eine leicht verbogene Erdbeerpflanze und erklärt: "Die Blätter sind von unten heller. Da die helle Seite hier oben ist, ist das ein Hinweis darauf, dass die Pflanze umgebogen wurde. Und die Richtung, in die das Blatt gebogen ist, zeigt uns, wohin die Fährte führt." Auch Spinnenweben, abgeschabtes Moos oder umgeworfene Steine zeigen, in welche Richtung die Spur verläuft.
Die Spur führt einen Abhang hinunter ...
00:31 Min.. Verfügbar bis 05.10.2026.
Eine Rutschspur und Moos von einem Ast am Boden zeigen dem Team schließlich, wo die Spur der fiktiv vermissten Person endet. Sie ist einen Abhang hinuntergestürzt. Jetzt heißt es: Abseilen üben und den Vermissten hochziehen. Denn dafür sind die Ehrenamtlichen da: "Um Menschen zu finden, Menschen zu helfen, Leben zu retten."
Über dieses Thema haben wir auch am 04.07.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.