Abschied in Würde: Irgendjemand will immer "Tschüss" sagen
Stand: 25.08.2024, 09:14 Uhr
Anonym und einsam - so will wohl niemand beerdigt werden. Für Verstorbene ohne direkte Verwandte ist das die Realität. In ihrem Fall kümmert sich die Stadt um die Beerdigung. Wie sich die Initiative "Abschied in Würde" aus Lemgo ehrenamtlich dafür einsetzt, mehr Menschen ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen.
Von Joanna Figgen
Lautlos fällt die Asche auf die Urne. Nur die Worte von Pastor Matthias Altevogt schallen über den Friedhof: "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub." Während er das sagt, lässt er eine zweite Hand Asche auf vier weitere Urnen rieseln. Er steht vor einem Gemeinschaftsgrab. Die Verstorbenen kannten sich nicht. Aber sie teilen ein Schicksal.
Sie alle hatten keine direkten Verwandten. Keine Ehepartner, keine Kinder. Nach ihrem Tod war die Stadt für ihre Beerdigung zuständig. So wie ihnen geht es jedes Jahr knapp 50 Menschen in Lemgo. Ein Bestattungsunternehmen übernimmt im Auftrag der Stadt die Beerdigungen. Möglichst günstig. Deshalb gibt es auf den Beerdigungen keine Trauerfeier. Auch der Name des Verstorbenen taucht nirgendwo auf. Pastor Matthias Altevogt und Bestatterin Manuela Werner sind sich einig: Das ist zu wenig für ein gelebtes Leben.
Pastor Matthias Altevogt über die Bedeutung eines Menschenleben
00:12 Min.. Verfügbar bis 25.08.2026.
So soll es nicht weitergehen. Vor zehn Jahren gründeten sie in Lemgo die Initiative "Abschied in Würde". Menschen, die von der Stadt beerdigt werden, sollen nicht sang- und klanglos verschwinden. Dafür setzen sie sich ehrenamtlich ein. Warum machen sie das?
Ehrenamtlerin Manuela Werner erklärt, warum sie sich ehrenamtlich engagiert
00:22 Min.. Verfügbar bis 25.08.2026.
Eineinhalb Stunden, bevor Pastor Matthias Altevogt auf dem Friedhof die Asche auf die erste Urne streut, bereitet Manuela Werner alles für die Trauerfeier vor. Sie findet in einem kleinen Raum auf dem Friedhofsgelände statt. Werner hat einige Reihen Stühle aufgestellt. Wie viele davon später besetzt sein werden, weiß sie nicht. Die fünf Urnen stehen auf eleganten, schwarzen Anrichten. Die Bestatterin legt Blumen aus, zündet Kerzen an, richtet einen kleinen Lichtstrahler auf das Kreuz an der Wand und die Urnen darunter. Er taucht beides in einen warmen Gelbton.
"Abschied in Würde" beerdigt etwa 20 der 50 Menschen, die ohne Angehörige in Lemgo sterben. Die Stadt erlaubt der Initiative eine Beerdigung nur, wenn die Verstorbenen der evangelischen oder katholischen Kirche angehörten. Eine ökumenische Trauerfeier dürfe Nicht-Christen nicht einfach übergestülpt werden, argumentiert die Stadt. Michaela Werner sieht es anders.
In Würde Abschied nehmen
Für sie spielt die Frage nach der Religion keine Frage bei einer Trauerfeier: "Für mich ist das eine Lebensfeier. Wir feiern den Abschied und das Leben eines Menschen, das hat für mich nichts mit Kirche zu tun. Es ist ein menschliches Bedürfnis, sich zu verabschieden." Auch, wenn die Menschen keine Verwandten hatten, gebe es immer Leute, die "Tschüss" sagen wollen, sagt Pastor Matthias Altevogt. Deswegen veröffentlicht er im Vorfeld die Namen der Verstorbenen, sucht auch bei Facebook nach Wegbegleitern, Nachbarn oder ehemaligen Bekannten. Mit Erfolg.
Oft finden sich noch Freunde und Wegbegleiter der Verstorbenen
Altevogt hat ein paar ehemalige Kollegen und Sportkameraden von einem der fünf Menschen ausfindig gemacht, die an diesem Tag beigesetzt werden. Der 86-Jährige war Anfang März plötzlich verstorben. Weder über das Krankenhaus in Lemgo, noch über das Ordnungsamt hatten seine Bekannten davon erfahren. Dann sah Frank Günther die Anzeige der Initiative. Er kannte den Verstorbenen noch vom Sport: "Ich finde es ganz wichtig, zu wissen, wo er liegt. Dass wir uns nochmal verabschieden und auch in Zukunft hinfahren können. Vielleicht auch an seinem Geburtstag ein paar Worte am Grab sagen." Aus der anonymen Beerdigung ist ein menschliches Abschiednehmen geworden.
Über dieses Thema haben wir auch am 26.06.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.