Carolina Graef Alarcón (zweite v. l.) und die Mädels sitzen auf einer Bank.

Fußball als Game-Changer: Die Spielerinnen vom SC Borussia Kalk

Köln | Füreinander

Stand: 24.10.2024, 07:12 Uhr

Aus einer Jugendgruppe hat Carolina Graef Alarcón eine Mädchen-Fußballmannschaft gemacht. Eine, in der die Spielerinnen Selbstbewusstsein tanken und ihre Alltagsprobleme vergessen können. Ein Besuch in Köln-Kalk.

Von Florian Vitello

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Eine besondere Mädchenmannschaft

Bedröppelt schauen die Teenagerinnen des SC Borussia 05 Köln-Kalk auf ihre Stollen. Sie stehen im Regen auf dem Kunstrasen um ihre zwei Trainer herum. Ihr letztes Match am Samstag haben sie haushoch verloren. "Auch wenn die Mädchen das nicht gerne hören, sie lernen am meisten aus ihren Niederlagen", sagt Trainerin Carolina Graef Alarcón. Auf den ersten Blick könnte sich diese Szene auf vielen Sportplätzen in NRW zutragen. Aber Graef Alarcón ist keine normale Fußballtrainerin, ihr Team keine normale Fußballmannschaft.

Die 25-Jährige hat in Bolivien in einem Kinderheim gearbeitet. In Deutschland hat sie danach angefangen, sich beim Verein Pro Humanitate zu engagieren. Der Verein bietet unter anderem Jugendtreffs in sozialen Brennpunkten in Köln-Kalk an. Graef Alarcón hat dort zwei Mädchengruppen betreut. Ehrenamtlich, neben dem Studium.

Aus einer der Gruppen von Pro Humanitate entstand 2023 ihre jetzige Fußballmannschaft, die U-17-Juniorinnen des SC Borussia 05 Köln-Kalk. Es ist eine ganz besondere Zusammenarbeit zwischen zwei Vereinen. Schließlich hatte die Borussia bis dahin gar keine Mädchen- oder Frauenmannschaft. Der stellvertretende Jugendleiter Marcel Moser ist froh, dass Graef Alarcón das geändert hat.

Jugendleiter Marcel Moser schätzt Ehrenamtlerin Carolina Graef Alarcón sehr

00:15 Min. Verfügbar bis 24.10.2026

Während bei Spielen der Frauen-Nationalmannschaft Millionen vor den Bildschirmen sitzen, sieht das im Amateursport ganz anders aus. Denn in der Mehrheit der Fußballvereine gibt es bis heute keine Frauenmannschaften. Zeitweise gab es so wenige Mädchen und Frauen in Vereinen, dass der Amateurfußball ganz eingestellt wurde. Jetzt wächst das Interesse zwar wieder, laut DFB hat aber nur ein Viertel der Vereine in Deutschland mindestens eine weibliche Mannschaft gemeldet.

Borussia Kalk unterstützt die einzige Mädchenmannschaft im Verein deshalb, wo es nur geht. "Es ist uns wichtig, dass die Mädchen und auch Caro sich bei uns wohlfühlen und bleiben", sagt Moser. Graef Alarcón spürt diese Unterstützung: "Die Borussia betont immer wieder, dass sie uns gerne halten wollen. Und ich hoffe, dass aus diesem Projekt bald noch mehr Mädchenmannschaften resultieren." Für das Training pendelt die Trainerin jede Woche von Gelsenkirchen nach Köln-Kalk.

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Ein Stadtteil wie ein Schmelztiegel

Anfangs fühlt sich Graef Alarcón in ihrer neuen Rolle auf dem Fußballplatz überfordert. Sie und ihr Co-Trainer Abdulrahman Mohamad Anz waren plötzlich für 25 Teenager im Alter von 13 bis 17 Jahren verantwortlich. Durch die große Altersspanne spielen die Jugendlichen auf sehr unterschiedlichen Niveaus, allein schon wegen der Körpergröße.

Herausfordernder als die sportlichen sind jedoch ihre emotionalen Bedürfnisse. Die jungen Spielerinnen kommen oft aus sehr belastenden Verhältnissen. "Ich habe beim ersten Training eine enorme Verantwortung gespürt und auch mitgefühlt, da musste ich kurz weinen", sagt Graef Alarcón. Als die Spielerinnen sie so verletzlich sehen, nehmen sie ihre Trainerin sofort in den Arm. "Das ist meine schönste Erinnerung."

Carolina Graef Alarcón und ihr Co-Trainer Abdulrahman Mohamad Anz stehen auf dem Fußballplatz, Graef Alarcón trägt Pylonen

Carolina Graef Alarcón wird von ihrem Co-Trainer Abdulrahman Mohamad Anz tatkräftig unterstützt

Durch ihre Art findet die Trainerin schnell Zugang zu den Mädchen. Graef Alarcón interessiert sich ehrlich für die Jugendlichen. Außerdem hat sie selbst einen Migrationshintergrund. Sie ist aus Mexiko nach Deutschland gekommen. Ihr Co-Trainer ist 2015 aus Syrien geflohen.

Das schafft Vertrauen bei den Menschen in Kalk, weil sie sich in den Lebensläufen der Trainer wiedererkennen. Im Stadtteil haben laut Sozialraumkommission 62,5 Prozent der Menschen eine Zuwanderungsgeschichte. Bei den unter 18-Jährigen sind es sogar mehr als 85 Prozent.

Spielerinnen haben den Arm umeinander gelegt und stehen in einem Fußballtor.

Die Spielerinnen des SC Borussia 05 Köln-Kalk

Das hat mit der Geschichte des Stadtteils zu tun. Nach dem Krieg waren Wohnungen in der Nähe der Fabriken in Kalk besonders günstig und damit attraktiv für Gastarbeiter. Als durch den Strukturwandel in den 70er- und 80er-Jahren zahlreiche Fabriken schließen müssen, werden viele Menschen in Kalk arbeitslos. Der Stadtteil hat noch heute eine der höchsten Raten an Bürgergeld-Empfängern in Köln.

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Von Armut und anderen Problemen

Armut ist dementsprechend für viele Familien in Kalk ein Problem. Der Vorstand vom SC Borussia Kalk weiß das, darum erhalten die Spielerinnen ihre Trainingskleidung vergünstigt. Pro Humanitate sponsert außerdem die Liga-Trikots und Regenjacken für die kalten Tage. "Daran müssen die meisten Menschen in Deutschland keinen Gedanken verschwenden, wenn sie in einen neuen Verein eintreten, aber hier in Kalk ist das für viele Familien eine große Hürde", sagt Graef Alarcón. Auch das Projekt "Scoring Girls" in Köln sorgt dafür, dass junge Mädchen Fußball spielen können.

Nicht alle Probleme haben mit Armut zu tun, aber oft verschlimmert sie die Lage der Mädchen. "Im Schnitt dauert es drei bis acht Monate, bis sie sich öffnen", sagt Graef Alarcón. "Darum ist es so wichtig, dass Borussia Kalk das Projekt langfristig plant."

 

Wann sich die Jugendlichen ihrer Trainerin anvertrauen

00:29 Min. Verfügbar bis 24.10.2026

 "Was sie erzählen, nimmt mich oft sehr mit", sagt die junge Trainerin, "häufig beschäftigt es mich über einen längeren Zeitraum". Sie beobachtet, dass Mädchen und junge Frauen zu Hause oft das Gefühl haben, sie seien unwichtig. Auch, wenn meist keine böse Absicht dahinterstecke.

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Fußball als Wunderwaffe

"Der Fußball ist da ein fantastisches Ventil", sagt die Trainerin. Die Mädchen können sich beim Sport abreagieren, arbeiten an einem gemeinsamen Ziel. Das schweißt zusammen, selbst wenn nicht immer alle befreundet sind. "Viele ihrer Familien kommen aus Ländern, die sich untereinander nicht grün sind", sagt Graef Alarcón. In Teilen Kalks leben Türken, Kurden, Jesiden, Iraker, Iraner, Afghanen und Pakistaner in direkter Nachbarschaft. Aber auf dem Platz spielen die Konflikte keine Rolle. Hier werden alle gleich behandelt. "Sie müssen einen Weg finden, miteinander auszukommen. Das ist das Schöne am Sport."

Dafür sorgt auch Spielführerin Selin Dikbasan. Die 15-Jährige ist verletzt. Trotzdem ist sie an diesem Tag beim Training dabei. Immer wieder weist sie ihre Teamkolleginnen auf Stellungsfehler hin, feuert sie an und lobt sie. Als sie zum Team gestoßen ist, hatte sie Probleme in der Schule.

Wie Verein und Mitspielerinnen Selin Dikbasan bei Problemen helfen

00:18 Min. Verfügbar bis 24.10.2026

Dank der Arbeit von Graef Alarcón, den anderen Trainern, Pro Humanitate und SC Borussia 05 Köln-Kalk hat die 15-Jährige einen sichern Ort gefunden, an dem sie sich verstanden fühlt. Dikbasan ist mit vielen Mitspielerinnen befreundet. Sie kann jederzeit über alles reden, muss aber nicht. Manchmal reicht es schon zu wissen, dass einfach jemand da ist.