"Zwölf Millimeter bitte", sagt Jürgen Meier, der seinen echten Namen lieber nicht im Internet lesen möchte. "Zwölf Millimeter", bestätigt Marion Hebel. Sie steht hinter ihm und fängt an, mit der Maschine Meiers Haare zu schneiden. Die beiden unterhalten sich, wie es beim Friseurbesuch eben üblich ist. Allerdings sind die Themen etwas andere. "Am Anfang sind die glatt, dann werden sie ganz kraus, die Haare", fällt ihr auf, "aber du hattest doch gar keine Chemo", sagt sie zum 75-jährigen Jürgen Meier. Die krausen Haare sind eine Nebenwirkung, die sie sonst oft bei Chemotherapie-Patienten beobachtet.
Friseurin in Schwerte: Der letzte Schnitt
Das ist kein normaler Friseurbesuch. Marion Hebel steht nicht in einem Salon, sondern in einem Hospiz in Schwerte im Kreis Unna. Meier, ihr "Kunde", sitzt vor ihr im Rollstuhl statt in einem gemütlichen Friseurstuhl. Seit 1999 schneidet die Friseurin ehrenamtlich die Haare der Hospizbewohner. Oft ist es ihr letzter Haarschnitt. "Das ist selten, dass ich jemandem zweimal die Haare schneide". Für viele klinge es seltsam, wenn sich Todkranke nochmal die Haare schneiden lassen wollen. Die 61-Jährige kann es nachvollziehen.
Jürgen Meier ist eine Ausnahme, denn er trifft die gelernte Friseurin zum dritten Mal. Meier ist an Krebs erkrankt, wie jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen laut dem Landeskrebsregister in NRW. Krebs gehört mit rund 50.000 Fällen jährlich zu den häufigsten Todesursachen in NRW. Kein Wunder also, dass Marion Hebel die Haarstruktur von Krebspatienten erkennt. Hebel hat in 25 Jahren mittlerweile mehr als 200 Menschen im Hospiz die Haare geschnitten.
"Mach es jetzt!"
Sie selbst wusste anfangs nicht, dass ein Hospiz ein Ort ist, an dem Menschen ihre letzten Tage begehen: "Mein Schwiegervater lag kurz vor seinem Tod im Krankenhaus und hat mich gefragt, ob ich ihn rasieren und waschen kann." Dort ist der Ärztin aufgefallen, wie gut Hebel mit den Sterbenden umging. "Zwei Jahre später, 1999, hat das Hospiz in Schwerte aufgemacht. Da dachte ich mir, ich schaue mir das mal an." Anders als viele andere blieb sie auch. Für viele sei der Umgang mit dem Tod nicht einfach: "Mir macht das Spaß, auch mit sterbenden Menschen." Allerdings gibt es auch Momente, die sie mitnehmen. Besonders dann, wenn es sich um junge Patienten handelt.
Laut dem Pflegereport der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) von 2016 wollen mit rund 75 Prozent aller Deutschen Zuhause sterben. Die vertraute Umgebung mache es den Befragten einfacher. Gleichzeitig äußerten in einer Befragung von 2022 des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands (DHPV) vier von zehn Befragten, dass sie einen Tod im Hospiz als besonders würdevoll erachten. In Schwerte leistet Marion Hebel ihren Beitrag dazu.
Erinnerungen an einfachere Tage
Hebel spricht sanft mit ihren Kunden, hört ihnen zu, ist immer per du. Die Unterhaltung mit Meier klingt locker und leichtfüßig, als wäre er bei seiner jahrelangen Stammfriseurin. Das bisschen Alltag hilft den Patienten. "Jemand, der lange im Krankenhaus war und ins Hospiz kommt, sieht meistens anders aus als gewohnt", sagt sie.
- Martina † lebte ebenfalls lange im Hospiz. Wie sie dort sogar ihre eigene Beerdigung feierte, liest du hier
Deswegen möchten die meisten ihrer Kunden so aussehen, wie vor der Krankheit. Zeigen ihr Fotos von ihrer alten Frisur. Auch Meier: "Als ich hier ankam, sah ich aus wie Rasputin", sagt er scherzend. Im Gegensatz zum russischen Mystiker mit langen Haaren und Rauschebart trägt Meier sonst immer Kurzhaarfrisur mit gestutztem Bart. Ihm bedeuten die Besuche von Marion Hebel viel.
Trauer und Freude
Nach dem Schnitt verabschiedet sie Jürgen Meier: "Bis in vier Wochen", aber was ist, wenn er dann nicht mehr da ist? "Auch das gehört zum Job", antwortet sie. Trotz der Allgegenwärtigkeit des Todes kann Hebel am Ende eines solchen Tages gut abschalten. "Das war nicht immer so, man wächst da rein", sagt sie. Ein bisschen emotional sei sie zwar immer, aber das wolle sie auch nicht verlieren. "Ich freue mich einfach immer nach einem Termin, dass ich es noch geschafft habe, dem Menschen eine Freude zu bereiten", sagt sie. Auch, wenn es der letzte Termin sein könnte.
Über dieses Thema haben wir auch am 26.11.2024 auch im Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.