Rosa, die junge Trauerbegleiterin

Wesel | Füreinander

Stand: 31.07.2023, 16:10 Uhr

Sterben, Verlust, Trauer: Das ist kein Thema für junge Menschen, denken viele. Rosa Kainz sieht das nicht so. Die 24-Jährige begleitet Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel ein Elternteil verloren haben.

Von Frank Wolters

Ein paar Gardinenringe aus Holz, bunte Filzstifte. Rosa Kainz sitzt mit der 10-jährigen Ella draußen am Gartentisch. Beide malen die Gardinenringe bunt an. „Die kann Ella dann mitnehmen. Und wenn sie traurig ist, kann sie sie anfassen und anschauen, das ist dann wie ein kleiner Rettungsring“, erklärt Kainz.

Rosa Kainz ist Trauerbegleiterin und kümmert sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern schwer krank oder gestorben sind. Dabei ist sie selbst erst 24. Regelmäßig betreut sie Kinder und Jugendliche daheim. Im gewohnten Umfeld, wo sich die Trauernden sicher und geborgen fühlen.

Weil sie selbst noch so jung ist, hat sie meistens schnell einen intensiven Kontakt. Sie bietet Einzelbegleitungen, Treffen innerhalb der Kinder- und Jugendtrauergruppe sowie verschiedene Projekte an.

Mit den Jugendlichen mache ich auch schon mal außergewöhnliche Sachen. Mit zwei Mädels habe ich zum Beispiel eine Ballonfahrt unternommen. Hoch in den Himmel, näher zu den verstorbenen Eltern oder Geschwistern sozusagen. Das sind Momente, da öffnen sie sich plötzlich, da können sie über den Verlust reden, wie es sonst nicht geht“, beschreibt Kainz.

Begleiterin an guten und schlechten Tagen

So wie Ella. Ihr Vater ist sehr schwer krank, leidet an einem Hirntumor. Es ist unklar, ob er überleben wird. Als Kainz sie zum ersten Mal besuchte, war Ella sechs Jahre alt und völlig verschlossen. Inzwischen haben die beiden sich angefreundet und Ella kann über ihre Ängste reden. Heute anders als damals: „Ella wird auch älter. Sie ist jetzt zehn und verändert sich. Früher haben wir viel getobt, jetzt ist sie ruhiger und ernster geworden“.

Es geht eben auf und ab. Es gibt gute Tage und ganz schlechte. Das ist die besondere Herausforderung für die junge Trauerbegleiterin. Die Gefühle und Stimmungen bei Kindern und Jugendlichen schwanken stark und oft.

Kinder trauern in Pfützen. Rosa Kainz, Trauerbegleiterin

Wie bei einem Spaziergang. Erst ist alles Sonnenschein. Und dann ist da auf einmal die Pfütze. Alles ist nass und matschig und doof und alles schwarz. Aber nur einen Moment später fliegt ein Schmetterling vorbei und alles ist wieder gut“, sagt Kainz.

Malteser bilden Trauerbegleiter aus

So ein Verhalten zu erkennen und gezielt zu helfen, hat Kainz bei den Maltesern gelernt. Der Hilfsdienst bietet seit einiger Zeit speziell für junge Menschen eine Ausbildung zur Trauerbegleitung an.

Da habe ich gelernt, wie ich dann mit den Kindern umgehen kann. So wie jetzt hier. Sachen basteln, gemeinsam durch den Wald toben oder einfach an Schaufenstern vorbei zum Eiscafé spazieren. Da geht es ganz oft erst mal um Ablenkung“, sagt sie.

Hauptberuflich ist Kainz Kinderkrankenschwester in Düsseldorf und kommt ursprünglich vom Niederrhein, aus Xanten. Über den Beruf erfuhr sie von der mobilen Hospizarbeit und der Trauerbegleitung.

Ich war einfach neugierig, darum habe ich mich spontan zu einem Kurs angemeldet. Jetzt ist es eine Herzensangelegenheit für mich“, beschreibt Kainz. In der Ausbildung lernte sie, schwierige Situationen zu lösen oder wie Kinder mit Trauer umgehen.

Junge Trauerbegleiter gesucht

Die Idee, junge Leute für diese mobile Hospizarbeit zu gewinnen, hatte der Malteser-Hilfsdienst nach einem Blick in die Statistik. 78 Hospize gibt es in NRW, lediglich vier für Kinder und noch einmal 50 mobile Hospiz-Angebote. Durchschnittlich sind die ehrenamtlichen Helfer dort 61 Jahre alt.

Mit so einem Altersunterschied ist es oft nicht einfach, einen direkten Draht zu den Kindern zu bekommen. Das fällt Kainz, die mit ihren 24 Jahren meist nur wenige Jahre älter als die Betroffenen ist, leichter. „Am wichtigsten ist die Empathie. Das Gefühl, jemandem in einer ganz, ganz schwierigen Situation zu helfen. Das macht mich auch selbst stark, und gibt mir Freude“, sagt Kainz.

Die kleinen, bunten Rettungsringe sind inzwischen fertig. Ella hat noch Klarlack auf die Holzringe gepinselt, damit sie länger hübsch bleiben. Nun trocknen sie in der warmen Sonne. Ella und Kainz sind ein paar Schritte über die Wiese gelaufen, zur Kinderschaukel.

Ihr geht es gerade ganz gut, ihrem Vater auch. Da muss ich dann auch anders mit ihr umgehen. Viel zuhören, und weniger erklären. Im Moment braucht sie mich gar nicht mehr so häufig. Die Besuche haben jetzt größere Abstände. Aber das ist auch gut so“,  meint Kainz.

Die Schaukel quietscht entsetzlich, beide lachen laut und versuchen herauszufinden, bei welchen Bewegungen das Spielgerät die Geräusche von sich gibt. Lachen in der Trauerarbeit, für Kainz kein Widerspruch. Basteln und spielen seien ja an sich nicht traurig. Für sie gehören Krankheit, Trauer und Sterben zum Alltag, dürfen aber nicht alltäglich werden.

Mitlachen statt Mitleiden

Ich merke immer, wieviel Glück meine Arbeit in trauernde Familien bringt. Sie spüren, dass sie nicht allein sind. Und das nehme ich mit, das Glück und das Lachen, nicht die Trauer“, sagt Kainz über ihren Umgang mit den erlebten Schicksalen. Mitleiden sei da der falsche Begriff, eher mitempfinden.

Kainz hat mittlerweile viele Kinder und Jugendliche in ihrer Trauer begleitet. Sie hat Trauer und Wut erlebt, aber eben auch Lachen und Freude. Inzwischen gehört sie zum Ausbilder-Team beim Malteser-Hilfsdienst. Gerade erst hat sie wieder vier jungen Leuten beigebracht, wie sie trauernden Kindern und Jugendlichen helfen können.

So wie sie selbst unter anderem Ella hilft. Wie lange sie das noch macht, weiß sie nicht. „Vielleicht, bis Ella volljährig ist“, sagt Kainz. Und darüber lachen sie und Ella dann wieder ganz laut.