Treffpunkt dort, wo die Trauer stattfindet
Es ist ein Frühlingstag Ende April. Unter einem sechseckigen Pavillon stehen mehrere Personen zusammen. Unter anderem auch Mabel-Mara Platz. Sie füllt gerade Kaffee in eine Tasse und reicht diese einem Mann in dunkelblauer Jacke und mit zurückgekämmtem, grauem Haar herüber. Vor ihm stehen Schoko-, Zitronenkuchen und Kekse auf einem Tisch. Der Pavillon schützt das Gebäck vor der Sonne.
Was klingt wie ein Nachmittag im Park, spielt sich hier auf einem Friedhof in Gelsenkirchen-Rotthausen ab. Die Anwohnenden nennen diesen Ort gern "die grüne Lunge des Quartiers", sagt Mabel-Mara Platz, während sie weiter Kuchenstücke verteilt.
An diesem letzten Mittwoch im April findet zum ersten Mal das Trauercafé statt. Trauernde sollen hier eine Anlaufstelle haben. Alle sind willkommen: Witwen und Witwer, Angehörige, Freundinnen und Freunde. Sie können sich über ihre Trauer austauschen, kennenlernen und unterstützen – sei es durch Gespräche oder Hilfe bei der Grabpflege.
In vielen Städten und Orten gibt es Angebote für Trauernde - Selbsthilfegruppen, Trauerbegleitung oder Seelsorge. Aber manchen Betroffenen fehlt die Kraft, diese Termine einzuhalten oder selbst zu organisieren.
So war das auch bei Mara Kazmarzick, sie ist die Tante von Mabel-Mara Platz. "Mein Mann und ich waren 47 Jahre verheiratet. Ich bin täglich auf dem Friedhof, suche Unterhaltung und sitze hier auf der Bank. So einen Ort wie das Trauercafé hätte ich mir damals gewünscht."
Ihr hätte damals der Austausch mit anderen Witwen und Witwern geholfen. Denn niemand könne den Verlust so sehr nachempfinden wie diejenigen, die selbst einen Ehepartner oder eine Ehepartnerin verloren haben.
Hilfe gegen die Einsamkeit
Das Trauercafé soll allen zugänglich sein - und zwar auf möglichst unkomplizierte Weise, ohne Anmeldung oder Verpflichtung. Deswegen hat Platz auch den Friedhof als Treffpunkt ausgewählt: "Um die Angehörigen da zu erreichen, wo die Trauer stattfindet."
Die 28-Jährige macht das ehrenamtlich. Ihr ist es wichtig, Menschen zusammenzubringen. "Wenn man eine Person verliert, fühlt man sich schnell alleine. Man kann in ein Loch fallen und kommt nicht mehr raus. Mir ist es wichtig, diese Menschen abzuholen und eine barrierefreie Anlaufstelle anzubieten, sodass sie merken: Okay, hier wird mir geholfen."
Alles kann, nichts muss
Etwas weiter vom Pavillon entfernt sitzt eine Frau mit kurzem, braunen Haaren und Brille. Sie betrachtet das Geschehen unter dem Pavillon und hält Abstand.
Sie ist noch unsicher, ob sie zu den anderen gehen soll und möchte gern anonym bleiben. Denn auch ein Fernsehteam ist heute am Eröffnungstag da. Das ist ihr zu viel Trubel. Ihr Ehepartner ist vor etwa einem Jahr gestorben. Manchmal überkommt sie die Trauer ganz plötzlich, erzählt sie.
Austauschen würde sie sich eigentlich schon gerne, aber "ich will auch keine Belastung für meine Freundinnen, Freunde und Bekannten sein", sagt sie. "Da würde es schon helfen, mit Menschen zu sprechen, denen es ähnlich geht."
Aber an diesem Mittwoch fühlt sich die Gelsenkirchenerin noch nicht bereit für das Trauercafé. Sie will lieber weiter spazieren gehen. Aber vielleicht schafft sie es beim nächsten Mal, sich zu überwinden, sagt sie. Mabel-Mara Platz kann das gut nachvollziehen.
Friedhof ein wichtiger Ort für viele Trauernde
Rita Gutschmidt hat vergangenes Jahr ihren Sohn verloren, erzählt sie mit Tränen in den Augen: "der ist in meinen Armen gestorben. Das war ganz schlimm. Den hab ich hier im Oktober beerdigt." Die 72-Jährige ist noch nicht über den Tod ihres Sohnes hinweg, aber sie hat einen Weg gefunden, mit ihrer Trauer umzugehen:
Gutschmidt geht fast jeden Tag zum Friedhof, weil ihre halbe Verwandtschaft hier liegt, sagt sie: "mein Cousin, meine Brüder, mein Schwager, alle liegen hier. Die kann ich alle besuchen". Dafür setzt sie sich auf eine Bank und schaut auf die Gräber. Manchmal denkt sie dann auch über ihren eigenen Tod nach.
Für die 72-Jährige ist klar, dass sie auch hier auf dem Friedhof in Rotthausen beerdigt werden möchte. Wenn sie sieht, wie ihre Tochter die Gräber pflegt, wird sie ganz emotional: "Die ist so niedlich, wie sie sich um das Grab kümmert. Wenn sie das jetzt so schön macht, dann wird sie das bei mir auch so machen". Für Rita Gutschmidt ist der Friedhof ein wichtiger Ort, dass es jetzt das Trauercafé gibt, freut sie sehr.
Das sagen die Teilnehmenden zum Trauercafé
Während beim ersten Treffen am 26. April noch sehr viel Trubel war, mit Presse und eingeladenen Gästen von der Stadt, ist es beim zweiten Termin Ende Mai etwas ruhiger. Dieses Mal sind auch Trauernde dabei, die beim ersten Treffen noch nicht da waren.
Bei Kaffee und Keksen tauschen sie sich über Erfahrungen aus, über Momente mit den Verstorbenen, an die sie sich erinnern und was ihnen in solchen Situationen hilft. Aber hier wird nicht nur getrauert, sondern auch gelacht, es werden Anekdoten ausgetauscht. Die Stimmung ist bedächtig, gelöst und wirkt vertraut. Eine Handvoll Personen steht unter dem Pavillon zusammen.
So geht es weiter
Ab und an schauen auch spontan Spaziergänger vorbei. Auch ein Mann, der das Grab seiner Frau pflegt, ist interessiert. Er kannte das Trauercafé noch nicht, möchte aber beim nächsten Mal dabei sein.
Mabel-Mara Platz hofft, dass sich der Treffpunkt weiter etabliert und herumspricht. Bis November finden die Treffen jeden letzten Mittwoch im Monat ab 16.30 Uhr statt. Damit auch Berufstätige die Möglichkeit haben, teilzunehmen.
Wie es im Winter weitergeht, weiß die 28-Jährige noch nicht. Aber an Allerheiligen im November möchte sie gern ein Abschlussfest veranstalten. Das Projekt ist erstmal für ein Jahr geplant und wird über den Quartierfonds der Stadt Gelsenkirchen finanziert.