Kinder von suchtkranken Eltern: Wie Bianca Malheur die Kurve kriegte

Wuppertal | Füreinander

Stand: 27.10.2024, 16:49 Uhr

Bianca Malheur aus Düsseldorf hat viel in ihrem Leben durchgemacht. Ihre Eltern waren alkoholabhängig, sie selber nahm jahrelang Drogen und lebte auf der Straße. Wie die 37-Jährige ihre Sucht besiegt hat.

Von Natalie Stöber

Die dutzenden Familienfotos auf dem Tisch vor Bianca Malheur erzählen von einer schwierigen Kindheit. Alkohol, Partys und Fremde in der Wohnung. Die Eltern und Oma völlig betrunken. Das war der Alltag von Malheur und ihren zwei Geschwistern. Doch während die 37-Jährige die Fotos von damals durchblättert, lächelt sie immer wieder. Sie habe eine schöne Kindheit gehabt, sagt sie. Obwohl diese von Sucht, Beschimpfungen und auch Gewalt geprägt war.

Bianca Malheur hat sich nicht unterkriegen lassen 00:18 Min. Verfügbar bis 27.10.2026

Wie Malheur erlebt laut Bundesgesundheitsministerium etwa jedes sechste Kind in Deutschland Suchtkrankheit in der Familie. Zweieinhalb Millionen Kinder unter 18 Jahren leben aktuell mit alkoholkranken Eltern zusammen, so die Initiative "Fitkids", die bundesweit betroffene Familien unterstützt. Durch eine hohe Dunkelziffer sei es jedoch kaum möglich, verlässliche Zahlen zu ermitteln, heißt es. Denn viele Eltern geben nicht an, dass sie alkoholabhängig sind und trotzdem Kinder zu Hause haben. Entweder werde die Gefahr unterschätzt oder die Angst sei zu groß, die Kinder könnten weggenommen werden.

Mit 15 Jahren zieht Malheur von zu Hause aus. Doch der Sucht entkommt sie nicht, im Gegenteil. Ihr Freund, zehn Jahre älter, ist drogenabhängig. Als Kind suchtkranker Eltern ist Malheur einem höheren Risiko ausgesetzt, selbst süchtig zu werden. Und genau das geschieht. Schnell gerät sie in den Drogensumpf. Lebt auf der Straße, isst nichts mehr, das Verlangen nach Koks, THC oder Heroin ist größer. "Man hat nie Ruhe. Ständig überlegt man: Wo kriege ich Geld her? Wo kriege ich den Stoff her? Auf mich hab ich gar nicht mehr geachtet." In ihrer schlimmsten Zeit habe sie nicht einmal saubere Kleidung gehabt, erzählt sie.

Der Wendepunkt

Mit 25 Jahren wird Malheur plötzlich schwanger. Ungewollt. Auf 47 Kilo abgemagert steht sie vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens: Aufhören, allen vermeintlichen Freunden den Rücken kehren und Verantwortung übernehmen? Zu dieser Zeit kaum vorstellbar für sie.

Angst war Bianca Malheurs stetiger Begleiter 00:12 Min. Verfügbar bis 27.10.2026

Bei Malheurs Sohn wird FASD festgestellt, eine Schädigung des Gehirns nach Alkoholkonsum in der Schwangerschaft. "Ich habe mich richtig, richtig schlecht gefühlt. Ich hätte früher aufhören können. Ich hätte auch verhüten können. Warum habe ich das nicht getan? Da war ganz viel Wut in mir auf mich. Weil mein Kind jetzt das Problem wegen mir hat."

Ein harter Kampf gegen die Sucht

Malheur beschließt, zu kämpfen. Um ihrem Sohn ein Leben ohne Alkohol und Drogen als allgegenwärtige Begleiter zu ermöglichen. Sie sucht sich Hilfe, unter anderem bei Thomas Rehbein. Den Suchtberater aus Wuppertal kann die überforderte Mutter Tag und Nacht anrufen. Rehbein hilft ihr zurück in ein geregeltes Leben. Genauso wie Jugendamt, Gesundheitsamt und andere Drogenberater. "Ohne die hätte ich es nicht geschafft", sagt sie und blickt dankbar zu Rehbein. Der 63-Jährige ist schon seit zehn Jahren an ihrer Seite.

Auch zehn Jahre später haben Bianca Malheur und ihr Suchtberater Thomas Rehbein engen Kontakt | Bildquelle: WDR / Natalie Stöber

Die Wuppertaler Drogenberatung will sich noch gezielter um Kinder aus suchtbelasteten Familien kümmern. Deswegen ist sie seit Kurzem Teil der Initiative "Fitkids" mit insgesamt 81 Standorten in Deutschland. In der Stadt gibt es nun ein Pilotprojekt, bei dem sich ehemals drogensüchtige Jugendliche ehrenamtlich um Gleichaltrige auf der Straße kümmern. Außerdem wurde eine Selbsthilfegruppe für Betroffene gegründet.

Die 37-jährige Malheur hat ihr Leben in den Griff bekommen. Sie hat noch einmal geheiratet, eine gesunde Tochter bekommen und eine Ausbildung zur Pflegekraft beendet. Gerade macht sie ihren Führerschein. Sie möchte anderen zeigen, dass man den Ausstieg schaffen kann - wenn man es wirklich will und Hilfe annimmt. "Es war sehr, sehr schwer, aber es lohnt sich. Ich möchte nie mehr zurück, nie mehr."

Über dieses Thema haben wir auch am 11.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.