Aileen Tebbe hält einen Gipsabdruck ihrer Brust vor ihren Körper.

Beide Brüste amputiert: "Ich wollte diese Angst nicht mehr haben"

Münster | Füreinander

Stand: 10.04.2025, 11:58 Uhr

Aileen Tebbe ist Trägerin einer Genmutation, die für ein sehr hohes Brustkrebsrisiko sorgt. Ihre Mutter trug die Mutation ebenfalls in sich und starb vor wenigen Monaten. So weit will es die 26-Jährige aus Münster nicht kommen lassen und entscheidet sich für einen radikalen Schritt. 

Von Fatima Talalini

Auf dem Friedhof in Rheine ist der Frühling eingezogen. Die Bäume stehen kurz vor der Blüte, viele Gräber wurden von Angehörigen schon neu bepflanzt. Aileen Tebbe kommt oft hierher. Ihre Mutter ist hier beerdigt. An ihrem Grab steht noch kein Grabstein, den muss die Familie noch aussuchen und bestellen. Doch welcher Stein ist der Richtige für eine 57-jährige Frau, die viel zu früh verstorben ist?

Ein Holzkreuz mit der Aufschrift "Andrea Tebbe" auf einem Friedhof. Um das Kreuz herum sieht man Blumen.
Aileen Tebbes Mutter Andrea verstarb mit 57 Jahren an Brustkrebs | Bildquelle: WDR/Fatima Talalini

Tebbe denkt oft an die letzten Momente mit ihrer Mutter zurück. Noch im Krankenhaus musste sie ihr kurz vor deren Tod ein Versprechen geben: Tebbe soll sich die Brüste amputieren lassen - damit ihr nicht das Gleiche passiert.

Vorsorgliche Mastektomie: Wenn der Krebs in den Genen liegt

Die 26-Jährige ist wie ihre Mutter Trägerin einer Mutation des BRCA1-Gen. Auch die Schauspielerin Angelina Jolie, die vor einigen Jahren mit ihrer prophylaktischen Brustamputation für Schlagzeilen sorgte, trägt diese Genmutation in sich. Sie erhöht das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs deutlich. Etwa 70 von 100 Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Genveränderung erkranken nach Angaben des Deutschen Krebsinformationsdiensts bis zu ihrem 80. Lebensjahr an Brustkrebs.

Als ihre Mutter an Brustkrebs erkrankt, ist Tebbe erst drei Jahre alt. Chemotherapie folgt auf Chemotherapie. Dreimal kommt der Brustkrebs zurück. Beim letzten Mal ist auch die Lunge befallen. Die Angst, die eigene Mutter zu verlieren, begleitet Tebbes Kindheit.

Für Aileen Tebbe brach mit dem Tod ihrer Mutter eine Welt zusammen 00:31 Min. Verfügbar bis 10.04.2027

Und dann ist da noch eine andere Angst, die Angst selbst zu erkranken. "Es hat sich für mich angefühlt wie zwei tickende Zeitbomben", sagt Tebbe und meint damit ihre Brüste. Sie lässt sich in der Humangenetik am UKM in Münster testen. Der Befund ist positiv, sie selbst hat auch die Genmutation. Sofort ist ihr klar, dass sie ihre Brüste prophylaktisch entfernen lassen will. Um endlich die Angst aus ihrem Leben zu verbannen.

Aileen Tebbes Mutter war es wichtig, dass sie den Eingriff macht 00:30 Min. Verfügbar bis 10.04.2027

Gesund sein. Das ist die Motivation für die Operation. Hauptsache gesund sein. Doch je länger Tebbe darüber nachdenkt, umso mehr taucht noch ein zweiter Gedanke bei ihr auf. Wie wird es hinterher aussehen? Wird sie sich noch schön finden? Noch weiblich?

Frausein nach Brustentfernung

Tebbe entscheidet sich für einen Brustaufbau. Sie bekommt Silikonimplantate eingesetzt, die eine Brust nachahmen. Auf den ersten Blick erkennt niemand, dass die 26-Jährige keine echten Brüste mehr hat. Haut und Brustwarzen konnten erhalten werden. Nur zwei hauchdünne Narben unterhalb der Brust sind geblieben, die sie regelmäßig mit einer Salbe pflegt.

Falls Tebbe eigene Kinder haben wird, beträgt das Risiko, die Mutation weiterzugeben, 50 Prozent. Wie sie damit umgehen soll, weiß sie noch nicht. Aber Kinder wünscht sie sich schon irgendwann. Tebbe hat einen Gipsabdruck ihrer echten Brüste angefertigt, bevor sie diese hat entfernen lassen. Einen Unterschied zu ihrer neuen aufgebauten Brust sieht man nicht. Die Haut fühlt sich noch etwas taub an, so wie wenn einem der Arm oder das Bein einschläft, erklärt sie. Aber das Gefühl kann mit der Zeit zurückkommen. 

Wie blickt Aileen Tebbe nach der Amputation auf ihren Körper? 00:38 Min. Verfügbar bis 10.04.2027

Zurück auf dem Friedhof: Am Grab ihrer Mutter stehen frische Rosen, ihr Vater hat sie heute Morgen noch vorbeigebracht. Ein Schmetterling fliegt vorbei. Tebbe lächelt. "Wir sagen in der Familie immer, wir kommen als Schmetterlinge zurück. Vielleicht ist sie gerade da und beobachtet uns."

Der Schmetterling: Für Aileen Tebbe ein Zeichen, dass ihre Mama bei ihr ist | Bildquelle: WDR/Fatima Talalini

Tebbe hält kurz inne. Vier Monate ist es her, dass ihre Mutter verstorben ist. Vier Monate, seitdem sie sich die Brüste entfernen ließ. Es sei für sie ein bisschen so, als gebe sie ihrer Mutter etwas zurück: "Weil sie das durchmachen musste, damit ich später weiterleben kann." Der Schmetterling verweilt kurz, dann fliegt er weiter.

Über dieses Thema haben wir auch am 25.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.