Fußballtraining wie kein anderes: Das Team Bananenflanke in Bonn
Stand: 17.12.2024, 17:29 Uhr
Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung haben es oft schwer in einem herkömmlichen Fußballverein. Doch beim "Team Bananenflanke" in Bonn finden sie einen Platz auf dem Spielfeld. Und können einfach so sein, wie sie sind.
Von Mirjam Ratmann, Lukas Zachos (Multimedia)
Bonn: Die wilde Mannschaft der "Bananenflanke"
Der Ball fliegt nach rechts, dann nach links, ein Tor fällt, Geschrei. "Das Tor gilt nicht", ruft jemand. "Ihr habt die blaue Linie nicht eingehalten." Nach etwa zehn Minuten ist das Spiel vorbei. Trainer Manuel Matulonis ist unzufrieden. "Es sieht aus wie beim Karnevalsverein", sagt er. Die jugendlichen Spieler um ihn herum grölen und lachen. Matulonis spricht aus, was auch die anderen Fußballtrainer in der Halle denken: alles ein bisschen chaotisch, katastrophal und wild.
Mit dem gelegentlichen Chaos sind die Trainer von "Team Bananenflanke Bonn/Rhein-Sieg" vertraut. Seit 2016 trainieren sie ehrenamtlich Kinder und Jugendliche mit sogenannter geistiger Behinderung und unterschiedlichem Betreuungsbedarf. Manche wurden mit Trisomie 21 geboren, andere mit fetalem Alkoholsyndrom oder einer spastischen Bewegungsstörung. Gemeinsam haben sie: die Lust am Fußballspielen. Das zeigt sich an diesem Freitagabend beim wöchentlichen Training im Kardinal-Frings-Gymnasium in Bonn-Limperich.
Das "Team Bananenflanke" in Bonn in Action
00:25 Min.. Verfügbar bis 17.12.2026.
In Deutschland leben laut Special Olympics rund 320.000 Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Betroffene haben in der Regel einen niedrigeren Intelligenzquotienten (IQ) als der Durchschnitt und dadurch geringere geistige und soziale Fähigkeiten. Die Beeinträchtigung zeigt sich beispielsweise dadurch, dass Kinder langsamer lernen als andere, in der Sprachentwicklung zurückliegen oder Informationen nicht richtig verarbeiten können.
Keine Berührungsängste
Wer beim "Team Bananenflanke" mitmacht, darf keine Berührungsängste haben, sagt Tobias Weidmann. "Manchmal umarmen die Kinder dich einfach oder erzählen dir aus dem Nichts etwas sehr Persönliches. Damit muss man umgehen können." Der 47-Jährige arbeitet im E-Commerce, ist Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender des Vereins. In Gesprächen müsse er oft betonen, dass sein Einsatz beim "Team Bananenflanke" keine Arbeit sei. "Es ist ein großartiges Hobby, das mir Spaß macht und einen familiären Charakter hat. Mich hat das von Anfang an in den Bann gezogen."
Wo jeder mitspielen kann
Das Training an diesem Abend ist das erste seit drei Wochen. Es beginnt mit Koordinationsübungen. Das heißt für die Kinder und Jugendlichen unter anderem: Über eine Bank laufen, Liegestütze machen und unter einer Matte hindurchkriechen. An jeder Station steht ein Trainer und hält die Hand, wenn jemand über die Bank läuft, oder macht Liegestützen vor. "Schau mal, du machst die Knie hoch, nicht den Po", erklärt Matulonis gerade einem jungen Mädchen.
Trainer Manuel Matulonis hilft bei den Koordinationsübungen
Die meisten Kinder und Jugendlichen beim Training tragen gelbe Trikots. Darauf lächelt eine krumme Banane und hält den Daumen hoch, an ihrer Seite ein Fußball. Die Botschaft hinter dem Symbol: Sowohl eine krumme Flanke als auch ein krummer Lebensweg können zu einem guten Ergebnis führen.
Spaß und Integration im Vordergrund
Während beim ersten Training im April 2016 nur acht Kinder kamen, treffen sich inzwischen regelmäßig 25 bis 30 Kinder und Jugendliche am Freitagabend zum Fußballspielen. In anderen Mannschaften können sie oft nicht mithalten. So ging es zum Beispiel Konstantin Faber.
Der 17-Jährige versuchte es in einigen Fußballgruppen, doch der Leistungsdruck war zu hoch. Konstantin hat ADHS und ist autistisch. Er braucht Unterstützung beim Lernen und hat Probleme damit, soziale Interaktionen richtig einzuschätzen. Seit fünf Jahren spielt er im Team Bananenflanke, am liebsten im Sturm. "Ich kann hier mit Freunden zusammenkommen und Fußball zocken. Und im Idealfall noch mit einem Sieg nach Hause gehen." Durch die Gruppen fühle er sich weniger allein. Das Training am Freitag sei heilig für ihn, erzählt seine Mutter.
Konstantin Faber hat seine Mannschaft gefunden
Konstantin erinnert sich besonders gern an ein Turnier zurück, bei dem er vier Tore geschossen hat. In unregelmäßigen Abständen messen sich die Bonner mit anderen Fußballteams mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Dabei haben sie schon einige Pokale gewonnen, wie viele genau, weiß Weidmann nicht. "Bei uns steht Leistung nicht im Vordergrund, aber die Kinder haben natürlich Ehrgeiz." Die gewonnenen Pokale nehmen die Kinder abwechselnd mit nach Hause, teilweise sogar mit ins Bett.
Das "Team Bananenflanke" gibt es nicht nur in Bonn
Das erste "Team Bananenflanke" wurde 2013 in Regensburg gegründet. Inzwischen gibt es bundesweit 20 Standorte, drei davon in NRW: Neben Bonn auch in Köln und Düsseldorf. Das Bonner Team gewann in diesem Jahr den Bonner Heimatpreis. Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, finden regelmäßig "Street-Soccer-Courts" statt, Fußballturniere auf öffentlichen Plätzen.
So spielte das Bonner Team im Frühjahr zum Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung auf dem Münsterplatz in der Bonner Innenstadt. Die Mannschaften unternehmen aber auch Ausflüge, wie zuletzt ins Stadion von Borussia Dortmund. Gerade die Zeit, die sie abseits des Trainings miteinander verbringen, zählt zu Weidmanns Highlights: ob Weihnachtsfeier, Schlagerparty zu Karneval oder gemeinsam Pommes essen.
Tobias Weidmann: Warum das "Team Bananenflanke" mehr Familie als Verein ist
00:34 Min.. Verfügbar bis 17.12.2026.
Nachdem sich Konstantin und seine Kollegen beim Koordinationstraining Medizinbälle zugeworfen haben und von einem Hütchen zum nächsten sprinten mussten, geht es in die Haupthalle zum Fußballspielen. Nach dem Chaos im ersten Spiel geht es in der zweiten Runde ruhiger und geordneter zur Sache. Die Ansage von Trainer Matulonis hat offenbar Eindruck gemacht. Zwei Väter, die zugucken, kommentieren das mit: "Na, das sieht doch mehr aus wie Fußball."
Nach eineinhalb Stunden bilden die Jugendlichen ihren traditionellen Abschlusskreis zum Ende des Trainings. "Als ihr euch konzentriert habt, hat das super ausgesehen", sagt Matulonis. Die Jungs klatschen. "Hat es euch Spaß gemacht?", fragt Matulonis. "Jaaa!", rufen Konstantin und die anderen. Heute hat er zwar kein Tor geschossen, doch er strahlt trotzdem über das ganze Gesicht.