Zwei Männer in Motorradkluft sitzen auf einem jeweils blauen und gelben Motorrad und lächeln in die Kamera

Kein Tabuthema: Männer, die über Depression reden

Düsseldorf | Füreinander

Stand: 17.10.2024, 07:47 Uhr

Jan ist auf den ersten Blick der Stille, Max der Redner. Sie nennen sich "Gefährten mit Bärten" und sind unterwegs in Sachen mentale Männergesundheit. Beide erkrankten an Depression und reden inzwischen offen darüber. Nicht nur das. Sie wollen andere sensibilisieren. Und das Tabuthema aus der düsteren Ecke rausholen.

Von Stephanie Hajdamowicz

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Vom Tiefpunkt zu neuer Stärke

Es war Februar 2016, Max Komp war auf einem sechswöchigen Seminar. Mittendrin fingen seine Zwangsgedanken an. Er konnte nicht schlafen und lag nächtelang wach. Nach einer Woche fuhr er heim. Hielt so lange durch, bis er bei seiner Mutter und seinem Stiefvater ankam. In dem Moment, als er die Türschwelle übertrat, platzte es aus ihm heraus. Der Akku war so leer, dass er auf dem Wohnzimmerteppich lag, weinte, schluchzte, sich alles drehte und er nicht mehr alleine aufstehen konnte. Dann fuhr er in eine psychiatrische Klinik. Ein paar Tage später wurde Komp dort aufgenommen. 

Es ist Komps dunkelste Stunde, aber auch eine Zeit, die ihm später neue Möglichkeiten eröffnen wird. Die Freundschaft mit Jan Romich zum Beispiel. Die beiden lernen sich nach Komps Klinikaufenthalt im Handballverein kennen. Neben dem Sport verbindet sie eine Diagnose: Depression. Seitdem sind sie unterwegs auf ihren Bikes und sprechen über das Thema mentale Männergesundheit. Unter dem Titel "Gefährten mit Bärten" fahren sie Touren durch ganz Deutschland und sprechen an, was nur wenige aussprechen möchten.

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Tabus brechen: Mit dem Bike gegen das Schweigen

Denn Komp und Romich sind längst nicht alleine. Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK sind in NRW etwa 770.000 Männer von Depression betroffen, deutschlandweit sind es knapp 3,5 Millionen Männer. Die Dunkelziffer wird jedoch deutlich höher geschätzt - auch deshalb, weil Männer seltener als Frauen zum Arzt gehen und weniger über ihre Probleme reden. Genau das wollen Komp und Romich ändern. 

Warum Max Komp trotz allem dankbar für seine Erlebnisse ist

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Der eine lebt in Düsseldorf, der andere in Duisburg. Gerade planen sie eine große Tour. Womöglich soll es nach Marokko gehen. Ein Land, in dem es viele Tabuthemen gibt und wo über Männergesundheit eher geschwiegen wird. Es gibt dort auch keine Infrastruktur für psychische Erkrankungen, gerade mal knapp 100 Fachkräfte für Psychiatrie und Psychologie für 43 Millionen Menschen, ergeben Komps Recherchen.

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Zwei Welten, ein Ziel: Männergesundheit

In Motorradkleidung sehen sie sich tatsächlich ein wenig ähnlich. Annähernd die gleiche Größe. Haarfarbe hellbraun. Komp mit grünen Augen, dazu Brille. Romich mit hellbraunen Augen. Auf dem Bike tragen sie schwarze Funktionskleidung, hocken auf dicken BMWs.

Im echten Leben, sagt Komp, seien sie aber ganz schön verschieden. Komp, 32, arbeitet als Organisationsentwickler, früher in der Stahlindustrie, heute bei eine Fitnessunternehmen. Romich, 38, kennt sich mit Zahlen gut aus und arbeitet als Gesundheitswissenschaftler bei der Stadt Düsseldorf.

Zwei Männer in weißen T-Shirts mit der Aufschrift "Gefährten mit Bärten" sitzen lachend in einer Kneipe und stoßen mit zwei Bierflaschen an

Mit einer Flasche Bier besiegelten Max Komp und Jan Romich das Projekt "Gefährten mit Bärten"

Der Name "Gefährten mit Bärten" ist bei einem Bier entstanden. Die beiden waren sich schnell einig: Sie wollen über ihre Depression reden, aus eigener Erfahrung berichten und das Thema Männergesundheit vorantreiben.

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Jans Weg aus der Dunkelheit zur inneren Einkehr

Bei Romich fing es schleichend an mit der Depression. In seiner Kindheit hatte er oft das Gefühl, um Aufmerksamkeit kämpfen zu müssen. Durch gute Leistungen im Sport und in der Schule fand er Anerkennung, was aber in der Pubertät irgendwann in Resignation und Ermüdung umschlug. Es folgte die erste längere depressive Phase. Klar war Romich das nicht.  

Ein Mann mit schwarzer Lederjacke. Darunter trägt er ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Gefährten mit Bärten" und einen Motorradhelm unter dem rechten Arm

Jan Romich kämpfte schon in seiner Kindheit mit mentalen Problemen

Ein Teufelskreis entstand. Auf negative Gedanken, reagierte Romich mit intensivem Sport, exzessivem Verhalten und Arbeitswut. Doch sie kamen immer wieder. Irgendwann mündete der Exzess in Antriebslosigkeit und Mutlosigkeit. Nach einem viel zu langen Arbeitstag, blieb die Frage: "Warum lohnt es sich weiterzumachen?" Der Arbeitstag endete mit dem Auto in der Leitplanke.

Als Romich im Schock-Raum des Krankenhauses wieder zu sich kam, war sein erster Gedanke: "Scheiße Junge, wie dumm bist du eigentlich, dein Leben wegzuwerfen?" Nach der Klinik und einer psychiatrischen Akuttherapie ging er in therapeutische Behandlung. Entschleunigte sein Leben ganz bewusst für sechs Monate. Machte einen Motorradführerschein.

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Mission Männergesundheit

Seit 2020 sind Komp und Romich nun gemeinsam auf ihren Bikes in Sachen Männergesundheit unterwegs. Regeln gibt es nur zwei: keine Autobahn und nie im Hotel übernachten. Ein Jahr hat es gedauert, von der Projektentwicklung bis zur ersten gemeinsamen Tour. Immer geht es ihnen auch ums Spendensammeln, immer für eine Organisation, die sich mit dem Thema Männergesundheit auseinandersetzt.

Drei Männer in Motorradkluft stehen von einem Café. Vor ihnen stehen zahlreiche Motorräder in verschiedenen Farben

Jan Romich und Max Komp beim Fellows Ride in Würzburg

2023 waren sie in Marburg, im Odenwald und in Würzburg beim Fellows Ride dabei. Einer Serie von Motorraddemonstrationen, um auf die Volkskrankheit Depression aufmerksam zu machen. In Leipzig haben sie Cora Spahn getroffen, die das Projekt "Männer stärken" verantwortet, bei dem es um Suizid-Prävention von Männern geht. In Trier arbeiten Komp und Romich mit dem Frauennotruf und ProFamilia zusammen. Beim Azubitag bei ThyssenKrupp, den Mut-Mach-Wochen in Siegen, dem Gewaltpräventionsprojekt in Trier und bei der Veranstaltung "Expedition Depression" des Vereins Elan e.V. in Düsseldorf waren sie dabei. Und trotzdem soll all das erst der Anfang für die beiden gewesen sein. Nächster Halt Marokko. So eine Reise ist nicht ohne Herausforderungen, erklärt Max Komp.

Die Hürden des Projektes "Gefährten mit Bärten"

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Noch stemmen Komp und Romich alles aus eigener Tasche, wollen aber bald einen Verein gründen. Und die beiden wollen weiter unterwegs sein, auf ihren Bikes. Im Einsatz für die mentale Männergesundheit.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe

Wer Suizidgedanken hat, dreht sich dabei innerlich meist im Kreis. Dadurch wirkt die Situation festgefahren, der Teufelskreis lässt sich aber durchbrechen. Anonyme und kostenlose Hilfe finden Betroffene zum Beispiel bei der Telefonseelsorge unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123. Per Chat bietet die Telefonseelsorge auf dieser Webseite Unterstützung. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention listet hier Beratungsstellen für persönliche Gespräche auf.