Mit Sportwetten in die Sucht: Ein Betroffener erzählt
Städteregion Aachen | Füreinander
Stand: 15.11.2024, 13:08 Uhr
Aus Zwei-Euro-Wetten auf Fußballspiele wurden Hunderte-Euro-Wetten auf egal welche Sportart. Ein Betroffener erzählt, wie es ist, süchtig nach Sportwetten zu werden. Und wie er sich aus der Glücksspielsucht herauskämpft.
Von Sophia Naim
Der 25-Jährige steht in einem Park, er will anonym bleiben. Seine Sucht hat ihm schon die letzten zehn Jahre verdorben. Sie soll ihm nicht auch noch seine Zukunft nehmen. Doch erzählen will er schon davon, um andere zu warnen und ihnen ein ähnliches Schicksal zu ersparen. Wir nennen ihn Felix Klemm. Alles beginnt, als Klemm noch ein Teenager ist. Der 15-Jährige liebt Fußball. Mit kleinen Einsätzen von zwei Euro wettet er auf Spiele, die er sich sowieso anschaut. Er freut sich, wenn die richtige Mannschaft gewinnt.
Mit 18 Jahren ist er bei allen möglichen Wettplattformen im Internet angemeldet. "Die Vorfreude auf Spiele wurde dadurch gesteigert und die Euphorie bei Geld-Gewinnen war natürlich groß", erzählt Klemm. Seine Glücksspielsucht nimmt Fahrt auf. Aus den Wetten am Wochenende werden tägliche Wetten, und zwar auf viele Spiele gleichzeitig. "Wenn ich Geld verloren habe, habe ich mich kurz geärgert. Aber es liefen ja immer noch vier, fünf andere Wetten, bei denen ich gewinnen konnte. Meine Gefühle stumpften dabei ab. Ich empfand weder Freude noch Wut. Es ging nur um das Wetten an sich und darum, die Verluste wieder einzuspielen".
Felix Klemm über die Spirale, die Betroffene in die Sucht zieht
00:20 Min.. Verfügbar bis 15.11.2026.
1,4 Millionen Glücksspielsüchtige
Bei der Suchthilfe Aachen kennen sie viele Geschichten von Glücksspielsüchtigen wie Klemm. "Gerade die Sportwetten reißen immer mehr junge Männer in ihren Bann", sagt Kristina Staffel, Suchttherapeutin. "Die Betroffenen glauben, sich auszukennen und durch ihren Wissensvorsprung schnell Geld zu gewinnen." Wichtig sei für die Betroffenen zu verstehen: Glücksspielsucht ist keine Schwäche des Charakters, sondern eine Krankheit. Etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Das geht aus einem aktuellen Bericht der Landesfachstelle in NRW hervor. Jeder Vierte, der spielt, bekommt Probleme damit. In Gesprächen und Therapieangeboten der Suchthilfe in Aachen geht es darum herauszufinden, welches eigentliche Problem hinter der Sucht steckt. Denn die sei oft nur ein Symptom.
Suchberaterin Mandy Diederen über mögliche Ursachen der Glücksspielsucht
00:13 Min.. Verfügbar bis 15.11.2026.
Egal was, Hauptsache darauf wetten
Bei Klemm wurden die Sportwetten immer absurder: Tennis - und Tischtennisspiele kamen hinzu. Am Ende setzte er sogar auf Volleyballspiele in Russland, von denen er gar keine Ahnung hatte. Er suchte nach Spielen irgendwo auf der Welt, damit er rund um die Uhr wetten konnte. Selbst nachts stellte er sich einen Wecker, um den Sport in Amerika zu verfolgen. Die Geld-Einsätze wurden höher: auch mal ein paar Hundert Euro auf ein Spiel. "Insgesamt", schätzt er, "habe ich zwischen 15.000 und 20.000 Euro verloren. Online-Poker kam dann auch noch hinzu."
"Damit ist seine Glücksspielsucht noch glimpflich verlaufen", meint Mandy Diederen von der Suchthilfe Aachen. Sie hat Klemm über mehrere Monate beraten. "Andere Klienten landen in der Privatinsolvenz, werden straffällig oder bekommen Depressionen. Im schlimmsten Fall endet die Glücksspielsucht mit dem Suizid. Die Lügenkonstrukte zerbrechen viele Familien und dann ist da am Ende nur noch Hilflosigkeit."
Probleme mit Glücksspiel? Hier gibt es Hilfe von der Landesfachstelle Glücksspielsucht in NRW
- Kostenloses und anonymes Hilfetelefon: 0800 077 66 11 (in deutscher Sprache); 0800 326 47 62 (in türkischer Sprache)
- Onlineberatung auf www.ausgezockt.de
Hohe Verluste statt großes Glück
Auch Klemm hatte sich ein Parallelleben neben seinem Studium aufgebaut. Erst als er Geld von seinem Vater verspielt hatte, zog er die Reißleine und gestand ihm alles. Er weiß, dass die Sucht ihn immer begleiten wird. Jetzt muss er einen Umgang damit finden. "Ich habe mich auf den Wettplattformen sperren lassen und werde mir in der Zukunft noch nicht einmal ein Rubbellos kaufen. Ich weiß, wie schnell ich wieder in der Spirale könnte", sagt er. Die Erfahrungen der Suchthilfe Aachen zeigt, dass etwa 70 Prozent der Klienten wieder rückfällig werden. Aber hier geben sie ihnen Fähigkeiten mit, um auch mit Rückschlägen umzugehen.
Über dieses Thema haben wir auch am 28.10.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Aachen, 19.30 Uhr.