Hart aber fair 360 mit Tino Chrupalla
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt HART ABER FAIR nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
#1 Wirtschaft/Fachkräfte
Einer der Diskutanten sagt in der Debatte mit Tino Chrupalla: „Die AfD trägt sicherlich dazu bei, dass die Fachkräfte noch weniger kommen, weil Sie ausstrahlen, dass man hier nicht willkommen ist.“
Der AfD-Politiker erwidert daraufhin, ihm sei keine Umfrage bekannt, die das bestätige – und hat damit wohl recht. Tatsächlich ist die Studienlage dünn, was einen kausalen Einfluss der AfD auf die Fachkräftezuwanderung angeht.
Was die Wahrnehmung der Wirkung der AfD insgesamt auf den Standort Deutschland angeht, liegen allerdings Erhebungen vor: So hat eine Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln vom August 2024 unter deutschen Unternehmen gezeigt, dass ein Erstarken der AfD als Risiko für den deutschen Wirtschaftsstandort gesehen wird. Im Detail zeigt sich ein Gefälle zwischen West und Ost: Während bei der Fachkräftesicherung in Westdeutschland die Unternehmen zu 74,7 Prozent eher ein Risiko in der AfD sehen, sind es im Osten 58,5 Prozent.
Ein zweites Indiz gibt eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZim) an die Hand, die erfasst, wie die Bevölkerung in Deutschland die Politik der AfD beurteilt. Ein Ergebnis: Fast jede vierte befragte Person mit Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Der Anteil derer, die bereits konkrete Pläne gemacht haben, beträgt bei Befragten mit Migrationshintergrund 9,3 Prozent.
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#2 Klima
Tino Chrupalla sagt in der Sendung, der Klimawandel sei nicht hauptsächlich menschengemacht. Der Einfluss des Menschen sei „minimal“.
In der Klimaforschung herrscht jedoch Konsens darüber, dass der Mensch heute der stärkste Klimafaktor ist. So schreibt der Weltklimarat (IPCC) in seinem sechsten Sachstandsbericht im Jahr 2023:: „Menschliche Aktivitäten haben eindeutig die globale Erwärmung verursacht, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen.“ Für den IPCC-Weltklimabericht werten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zehntausende Studien aus. [Hinweis: In der Sendungsgrafik wird irrtümlich das Jahr 2023 als Erscheinungsjahr des IPCC-Sachstandsberichts genannt. Der Bericht ist aber bereits 2023 erschienen.]
2021 kam eine US-Studie, die 88.125 Klimastudien analysierte, zu dem Schluss, dass mehr als 99 Prozent der wissenschaftlichen Studien darin übereinstimmten, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht wird.
Zudem sagt Chrupalla, einen Wandel des Klimas habe es immer schon gegeben. Diese Aussage ist nicht falsch – blendet aber vieles aus. Die Erde hat sich immer wieder aufgeheizt und abgekühlt. Dieser Prozess hat sich jedoch nie zuvor in dem Ausmaß abgespielt, wie wir es heute erleben. Heißt konkret: Tempo und Ausmaß der Erwärmung sind um ein Mehrfaches höher, als sie zum Beispiel am Ende der letzten Eiszeit waren. Während es damals mehr als tausend Jahre dauerte, bis sich die Erde um ein Grad erwärmt hatte, geschah dies nun in hundert Jahren. Laut Weltklimarat ist die globale Oberflächentemperatur seit 1970 schneller gestiegen als in jedem anderen 50-Jahres-Zeitraum der vergangenen 2000 Jahre.
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#3 Schwangerschaftsabbrüche
Die AfD ist generell gegen eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Als es in der Sendung um den Paragrafen 218 – den sogenannten „Abtreibungsparagrafen“ im Strafgesetzbuch – ging, sagt Tino Chrupalla, dass „linke Parteien wollen, dass bis zum zehnten Monat abgetrieben werden kann“.
Kurz zum Hintergrund: Derzeit ist der Abbruch einer Schwangerschaft im Strafgesetzbuch mit Strafandrohung geregelt. Der entsprechende §218 ist ein rechtlicher Kompromiss. Das heißt: Eine Abtreibung ist in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, weil laut Grundgesetz das ungeborene Leben geschützt werden muss.
Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Voraussetzung dafür ist, dass dieser innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft stattfindet. Zudem muss sich die Schwangere zuvor beraten lassen. Möglich ist der Eingriff auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.
Die Grüne Jugend forderte 2024 eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gemäß des Abschlussberichts einer von der Ampelregierung eingesetzten Expertenkommission.
Diese hatte im Frühjahr 2024 empfohlen, Abtreibungen zu legalisieren – also außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Straflos und rechtmäßig soll der Abbruch nur „in der Frühphase der Schwangerschaft“ sein, so steht es im Abschlussbericht der Kommission. In der Spätphase der Schwangerschaft, etwa ab der 22. Woche, sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich nicht erlauben. Das sollte rechtswidrig und verboten bleiben.
#4 Nazi-Parole
„Björn Höcke hat keine Naziparolen verwandt“, sagt Tina Chrupalla bei “Hart aber fair 360”. Zwei deutsche Gerichte kamen im vergangenen Jahr zu einem anderen Urteil.
Der AfD-Chef in Thüringen wurde verurteilt, weil er bei Veranstaltungen seiner Partei den verbotenen Leitspruch der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) „Alles für Deutschland“ benutzte bzw. sein Publikum dazu animierte. Höcke sprach selbst „Alles für…“ aus und ermunterte das Publikum mit einer Armbewegung dazu, das Wort „Deutschland“ im Chor zu ergänzen. Daraufhin musste sich Höcke wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verantworten.
Das Landgericht Halle an der Saale sprach Höcke im Mai 2024 schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro. Gut anderthalb Monate später folgte eine weitere Geldstrafe in Höhe von 16.900 Euro.
Höcke argumentierte, nicht zu wissen, dass dies eine Nazi-Parole sei. Das Gericht sah es jedoch als erwiesen an, dass Höcke bewusst an die NS-Zeit anknüpfte, denn der frühere Geschichtslehrer sei, so der Vorsitzende Richter Jan Stengel, „ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt".
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von acht Monaten und die Aberkennung des passiven Wahlrechts gefordert, so dass Höcke nach einer rechtskräftigen Verurteilung nicht zur Landtagswahl hätte antreten dürfen. Das Gericht folgte dieser Forderung nicht.
Rechtskräftig sind beide Urteile noch nicht, weil Höcke jeweils Revision einlegte. Nun muss sich der Bundesgerichtshof mit den Fällen beschäftigen.
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#5 Magdeburg
Einer der Diskutanten spricht Tino Chrupalla in der Sendung darauf an, dass Parteichefin Alice Weidel behauptet hatte, das Attentat in Magdeburg im Dezember 2024 sei islamistisch motiviert gewesen. “Es war die Tat eines Islamisten”, rief Weidel laut Spiegel bei einer Veranstaltung im Dezember in Magdeburg. Beweise gibt es für ihre Behauptung nicht.
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg teilte zuletzt mit, dass es für die genauen Ermittlungen zum Motiv noch Zeit brauche.
Was bereits bekannt ist: Der mutmaßliche Attentäter Talib A. kommt ursprünglich aus Saudi-Arabien, 2006 kam er nach Deutschland. Nachdem er bereits polizeibekannt war, erhielt er 2016 Asyl als politisch Verfolgter.
Talib A. ist als islamkritischer Aktivist bekannt, der sich selbst als Ex-Muslim bezeichnet. Auf islamfeindlichen Websites und in Interviews erhob er zuletzt Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er warf ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Auf dem Onlinedienst X bekundete Talib A. seine Sympathie für die AfD.