Welt im Klimawandel: Wieviel können wir selbst tun?

Der Faktencheck zur Sendung vom 17.02.2020

Weniger Auto, weniger Fleisch, weniger Flüge: Wenn sich die ganze Welt wandelt, hilft dann nur noch Verzicht? Sollen wir auf staatliche Verbote warten? Auf technische Erfindungen? Oder selbst handeln?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Alexander Graf Lambsdorff über Streaming und CO2

Alexander Graf Lambsdorff ist zu Ohren gekommen, dass Server-Farmen, die nötig sind, um Streaming-Dienste anzubieten, in zwei Stunden genauso viel CO2 verbrauchen, wie ein Inlandsflug. Wie sieht die CO2-Bilanz von Streamingdiensten tatsächlich aus?

Egal ob E-Mail, eine Suchanfrage bei Google oder Video-streaming bei YouTube, Netflix, Amazon und Co: Digitale Daten benötigen Strom. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung und immer beliebter werdender Plattformen für Video-Streaming, rückt auch die Frage der Nachhaltigkeit solcher Angebote immer stärker in den Fokus von Experten, die Stromverbrauch und CO2-Emissionen von Internet und Streaming-Diensten unter die Lupe nehmen.

Die CO2-Emissionen, die ein einzelner Verbraucher beim streamen von Filmen und Serien verursacht, muten zunächst gering an. “Zwei Stunden Videostreaming ist pro Zuschauer mit rund 100 Gramm CO2-Emissionen verbunden“, sagt Jens Gröger. Gröger forscht am Öko-Institut unter anderem über Nachhaltigkeit von Informations- und Kommunikationstechnik. Grögers Zahlen stammen unter anderem von den Wissenschaftlern Daniel Schien und Chris Preist von der Bristol University, die den Energiebedarf des Internets untersucht hatten. Zur Einordnung des CO2-Verbrauchs, der durch zwei Stunden Streaming entsteht, bringt Gröger einen Vergleich: “Ein Inlandsflug von Berlin nach München verursacht pro Passagier – je nach Flugzeugtyp – rund 120 Kilogramm CO2-Äquivalente.“ Betrachtet man also nur das streamen, müsste ein einzelner Verbraucher über drei Jahre lang täglich zwei Stunden Streaming-Dienste nutzen, um einen CO2-Ausstoß zu verursachen, der mit einem Inlandsflug vergleichbar ist.

Da Streamingdienste aber weltweit von Abermillionen Menschen genutzt werden, hinterlassen Serverfarmen tatsächlich einen erheblichen CO2-Fußabdruck, so Gröger. Er verdeutlicht dies am Beispiel von YouTube: „YouTube verbrauchte im Jahr 2016 weltweit in seinen Rechenzentren 370 Gigawattstunden (GWh) Elektrizität und verursachte damit CO2-äquivalente-Emissionen von 190.000 Tonnen pro Jahr.“ Auch diese Zahlen stammen aus einer Studie der Bristol University (Daniel Schien und Chris Preist) aus dem vergangenen Jahr. Dabei machten die Rechenzentren von YouTube selbst allerdings nur rund zwei Prozent der Gesamtemissionen aus, so Gröger. “Hinzu kommen CO2-Emissionen, die mit der Datenübertragung in Netzwerken und Wiedergabe der Videos beim Zuschauer zusammenhängen.“ Berücksichtige man die gesamte Wirkungskette, sei die weltweite Nutzung von YouTube mit einem CO2-Fußabdruck von rund 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten verbunden, sagt der Experte. Laut Gröger entspricht dies in etwa dem CO2-Fußabdruck der Stadt Frankfurt am Main. Da der Trend zu immer mehr Videoübertragung und immer höheren Bildschirmauflösungen gehe, werde Videostreaming zu einem immer größeren Klimaproblem, warnt Gröger.

Diese Entwicklung bereitet nicht nur Gröger Sorgen. Der französische Thinktank „shiftprojekt“ bezifferte den CO2-Ausstoß aller online-Video-Angebote in einer Studie auf insgesamt 300 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Nach Angaben der Forscher entspricht dies dem CO2-Ausstoß von Spanien oder einem Prozent am gesamten weltweiten CO2-Ausstoß.

Der Vergleich, von dem Graf Lambsdorff gehört hat, ist sehr vage, da zum Beispiel nicht angegeben wird, wie viele Nutzer in den angegebenen zwei Stunden gleichzeitig streamen, so dass der tatsächliche Stromverbrauch und damit auch der tatsächliche CO2-Ausstoß nur schwer ermittelbar ist. Daher vergleicht Dr. Immanuel Stieß ganz allgemein die nationalen Emissionen von Rechenzentren mit denen des Flugverkehrs. Er zieht Daten einer Analyse des Borderstep-Instituts heran, wonach die Rechenzentren mit ihrer Server-, Speicher- und Netzwerktechnik in Deutschland im Jahr 2016 12,4 Milliarden Kilowattstunden (kWh) und im Jahr 2017 13,2 Mrd. kWh Strom verbraucht haben. “Die Erzeugung einer kWh Strom verursachte laut Umweltbundesamt im Jahr 2017 in Deutschland durchschnittlich 523 Gramm CO-Äquivalent. Legt man den durchschnittlichen Strommix in Deutschland zugrunde, verursachte Stromverbrauch für Rechenzentren, Speicher und Infrastruktur im Jahr 2017 in Deutschland folglich etwa 7,3 Millionen Tonnen CO2“, so Stieß. Im Vergleich dazu hätten in Deutschland startende Flugzeuge im Jahr 2018 ca. 22 Millionen Tonnen CO2- ausgestoßen. “Die Emissionen des Flugverkehrs sind also höher als die der Rechenzentren“, sagt Stieß. Aber auch er gibt zu bedenken, dass beim Streaming neben dem Strom der Rechenzentren auch der Strom für TV und mobile Endgeräte einbezogen werden muss.

Mojib Latif und Marie-Luise Wolff über die Kohlekommission

Mojib Latif ärgert sich darüber, dass die Bundesregierung den Kompromiss, der in der Kohlekommission gefunden wurde, nicht eins zu eins umgesetzt hat. Im Vergleich zu den Empfehlungen der Kommission würden nun bis 2038 über 100 Mio. Tonnen CO2 mehr emittiert, weil die Kohlekraftwerke viel später vom Netz gehen. Dem wiederspricht Marie-Luise Wolff. Sie sagt: Der Bericht der Kohlekommission habe noch nicht einmal einen Abschaltplan vorgesehen. Somit habe es im Bericht der Kommission auch keine CO2-Emissionspfade gegeben. Wer hat Recht?

Dr. Felix Christian Matthes koordiniert am Öko-Institut den Forschungsbereich Energie- und Klimapolitik. Dass die Kohlekommission keinen Abschaltplan und keine Emissionspfade vorgeschlagen habe, trifft nach Ansicht des Energieexperten nicht zu. “Die Kommission hat im Bereich der Kohlekraftwerke und damit auch der Emissionsminderungen durch Abschaltung von Kohlekraftwerken Empfehlungen auf drei verschiedenen Ebenen abgegeben“, erklärt Matthes. So habe die Kommission zum Beispiel Zieljahre für die Kraftwerkskapazitäten vorgeschlagen, die am Markt verbleiben sollten. Abgeleitet seien diese Zieljahre von den Emissionszielen für die Jahre 2020/2022 sowie 2030. So sollten zum Beispiel die Leistungen von Kohlekraftwerken im Jahr 2030 auf 8 Gigawatt und die von Steinkohle auf 9 Gigawatt reduziert werden. “Durch diese Architektur werden sowohl Zieljahre für Kapazitäten und Emissionen als auch Pfade beschrieben“, stellt Matthes klar.

Vergleiche man den von der Bundesregierung im Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes geplanten Abbaupfad der Kapazitäten mit dem von der Kohlekommission vorgeschlagenen stetigen Weg zum Abbau von Emissionen und Stromkapazitäten, ergibt sich laut Matthes zwischen den Jahren 2022 und 2030 eine zusätzliche Emission von 40 Mio. Tonnen CO2. “Unterstellt man auch für den Zeitraum nach 2030 eine ähnliche Entwicklung, so ergeben sich im Vergleich zum Abschaltpfad des Kohleausstiegsgesetzes für den Gesamtzeitraum von 2022 bis 2038 zusätzliche Emissionen von deutlich über 100 Mio. Tonnen CO2“, sagt Matthes und gibt Mojib Latif in diesem Punkt Recht.

Auch Dr. Immanuel Stieß kann die Verärgerung von Mojib Latif nachvollziehen. Stieß leitet am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) den Schwerpunkt “Energie und Klimaschutz im Alltag“. “Die Kohlekommission hatte u.a. den Auftrag, ‘einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums‘ festzulegen“ sagt der Energieexperte. Auch Stieß verweist auf die im Abschlussbericht formulierten Ausstiegspfade für die Braun- und Steinkohlekraftwerke: “Zwischen 2018 und 2022 sollten die Kapazitäten von Braunkohlekraftwerken um 5 Gigawatt und die von Steinkohlekraftwerken um 7.7 Gigawatt reduziert werden“, sagt Stieß. In den Jahren 2023 bis 2030 sollten demnach weitere Reduktionen um 5,9 Gigawatt bei Braunkohle und 7 Gigawatt bei Steinkohle folgen, ehe zwischen 2031 und 2038 die restlichen Kraftwerke stillgelegt werden sollten, so der Experte. “Für die Ziele der CO2-Reduktion im Sektor Energiewirtschaft hätte dies im Vergleich zu 1990 eine Verminderung um 45 Prozent bis 2022, um bis zu 62 Prozent bis 2030 und knapp 70 Prozent für das Jahr 2038 bedeutet“, sagt Stieß.

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