Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Wieviel Geld haben die Deutschen auf ihren klassischen Sparbüchern?
237 Milliarden Euro – so viel Geld liegt laut hartaberfair-Redaktion derzeit auf den klassischen Sparbüchern der Deutschen. Als die Moderation diese Zahl in die Diskussion einführte, entwickelte sich daraus eine kurze Kontroverse mit Christian Achilles. Dieser wollte dem möglichen Eindruck entgegenwirken, dass das Sparbuch damit auch die Anlageform sei, bei der die Deutschen auch das meiste Geld geparkt hätten. Deutlich mehr nämlich lägen in so genannten Sichteinlagen wie Giro- oder Tagesgeldkonten.
Die Zahl, die wir in unserer Sendung genannt haben, ist korrekt. Auf Anfrage bestätigte uns die Deutsche Bundesbank, dass die Deutschen im Dezember 2019 insgesamt 237,2 Milliarden Euro auf ihren klassischen Sparbüchern liegen hatten. Womit Achilles Recht hat, ist, dass die Deutschen noch mehr Geld auf Girokonten und Tagesgeldkonten liegen haben. Das bestätigt auch unser Experte Prof. Andreas Hackethal. Der Finanzprofessor am Frankfurter Leibniz Institut SAFE am House of Finance befasst sich unter anderem mit Finanzentscheidungen privater Haushalte. “Laut Bundesbank belief sich das gesamte finanzielle Vermögen der Haushalte in Deutschland Ende September auf 6.302 Billionen Euro. Mehr als 2.5 Billionen und damit knapp 40 Prozent wurden als Bargeld und Einlagen gehalten“, sagt der Finanzexperte. Von diesen 2,5 Billionen Euro machten laut Hackethal tatsächlich Bargeld und kurzfristige Sichteinlagen mit knapp 1,7 Billionen Euro den Löwenanteil aus. Der Rest setzt sich laut Hackethal aus Lebensversicherungen (rund 16 Prozent) und Aktien sowie Fonds (rund 15 Prozent) zusammen. “Damit ging der Aktienboom des letzten Jahres an den meisten deutschen Haushalten vorbei“, sagt der Experte.
Anja Kohl über die Zukunft der Zinsen
Die ARD-Börsensexpertin Anja Kohl sagt, wir leben in einer Welt ohne Zins, der auch in den nächsten Jahren nicht wiederkehren wird. Der Zins werde für eine sehr lange Zeit nicht mehr über der Inflationsrate liegen, so dass Zinsen keine Rendite mehr abwerfen werden. Ist ihre Befürchtung gerechtfertigt?
Prof. Andreas Hackethal hält die Prognose für gerechtfertigt. “Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die Ursachen für die negativen realen Zinsen in langfristigen Trends zu finden sind, die sich auch in die Zukunft fortschreiben lassen“, sagt der Finanzprofessor. “Die drei wichtigsten Trends, die auf die Zinsen drücken, sind geringes Produktivitätswachstum in der Wirtschaft, die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang an Risikoappetit in vielen Anlegergruppen.“ Da diese Trends vermutlich noch Jahre wirken werden, werde Zinssparen auch bei niedriger Inflation nicht vor Vermögensentwertung schützen, sagt Hackethal.
“Nur zum Teil“, differenziert Christian Proaño, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere angewandte Wirtschaftsforschung an der Uni Bamberg. “Die Geldpolitik der EZB richtet sich nach der makroökonomischen Situation der Eurozone und insbesondere nach der Entwicklung der aggregierten Preisinflation in der Eurozone“, erklärt Proaño. Solange diese Inflationsrate in der Eurozone unterhalb des von der EZB verfolgten mittelfristigen Ziels von knapp unter zwei Prozent liege, und solange die Wirtschaftsaktivität in der Eurozone schwach bleibe, werde und sollte die EZB eine expansive Geldpolitik betreiben, sagt der Experte. Es gebe viele Gründe für die Annahme, dass dies in der Tat für einige Zeit zutreffen wird, sagt Proaño: “Die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit und die voraussichtliche Verringerung des Handels mit Großbritannien, die von Trump vorangetriebenen Handelskriege, sowie die gegenwärtige weltweite politische Instabilität, um nur drei davon zu nennen.“ In der Fachwelt werde darüber hinaus diskutiert, ob nicht auch strukturelle Faktoren zu langfristig niedrigeren Zinsen führen können. Wie Hackethal nennt auch Proaño das ansteigende Durchschnittsalter der Bevölkerung und das daraus resultierende Überangebot an Ersparnissen. Aber auch der niedrigere Technologiefortschritt könne zu niedrigeren Zinsen führen. Die These der “sekulären Stagnation“ sei unter Ökonomen jedoch sehr umstritten, sagt der Volkswirtschaftler.
Christian Achilles über Anleihekäufe und niedrige Zinsen
Christian Achilles sagt, es sei nicht nur die Zinspolitik der EZB, die für die niedrigen Zinsen verantwortlich ist. Dadurch, dass die EZB „wie verrückt“ die besten Anleihen auf dem Markt aufkaufe, bleibe für die Banken nichts mehr übrig. Mit diesen Anleihekäufen drücke die EZB die Zinsen viel entscheidender nach unten. Hat er Recht?
“Tatsächlich ist aufgrund des Ankaufprogramms der EZB der Anteil der europäischen Staatsanleihen, der von Zentralbanken gehalten wird, von fünf Prozent auf teils über 20 Prozent gestiegen“, sagt Prof. Andreas Hackethal. Da sich der Anteil im Streubesitz spiegelbildlich verringert hat, habe die Bundesbank schon Ende 2018 davor gewarnt, dass Bundesanleihen knapp würden, so Hackethal. “Knappheit wiederum drückt Anleihepreise nach oben und Zinsen nach unten und kann zu mehr Volatilität, sprich Preisschwankung, führen“, erklärt der Finanzexperte. Die wenigen empirischen Studien, die den Zusammenhang zwischen Ankaufprogramm und langfristigen Zinsen untersuchten, bestätigen laut Hackethal einen solchen Zusammenhang. Der tatsächliche prozentuale Effekt scheine jedoch gerade in Deutschland klein zu sein.
“Auch wenn sie nicht direkt ‘die besten Anleihen‘ aufgekauft haben, hat die EZB durch ihr Anleihekaufprogramm und somit durch ihre gesamte Nachfrage nach staatlichen und privaten Anleihen sicherlich dazu beigetragen, dass die Marktrenditen gesunken sind“, sagt Prof. Christian Proaño. Dies sei auch ihre Absicht gewesen, denn somit habe sie für bessere Finanzierungsbedingungen und für eine höhere Liquidität im Staats- und Firmensektor gesorgt, so der Experte. “Dies hat vielleicht sogar einen stärkeren Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ausgeübt als die Senkung des Leitzinses selbst, welcher zwar der Referenzzins für die Preise in den verschiedenen Finanzmärkten ist, diese aber nicht allein bestimmt“, sagt Proaño. Für Investitionsentscheidungen von Unternehmen und privaten Haushalten, sowie für Anlagenentscheidungen von Investoren am Finanzmarkt seien eher langfristige Zinsen von einer entscheidenderen Bedeutung, erklärt der Volkswirtschaftler. Diese Zinsen würden aber am Markt durch Nachfrage und Angebot bestimmt. Daher sei es folgerichtig, dass sich die EZB am Marktgeschehen aktiv beteiligt, wenn sie diese langfristigen Zinsen direkt beeinflussen möchte, so Proaño. “Tatsächlich hat die EZB mit dieser Politik den finanziellen Spielraum für Deutschland erweitert, sodass zum Beispiel der Haushaltsüberschuss von diesem Jahr entstehen konnte“, sagt der Experte. Die EZB habe hierfür die Vorlage geliefert – diese Vorlage sollte man auch annehmen, meint Proaño.
Christian Achilles über Niedrigzinsen und Ersparnisse für den Bund
Christian Achilles sagt, der Bund habe in den vergangenen zehn Jahren aufgrund der niedrigen Zinsen 436 Milliarden Euro weniger an Zinsen zahlen müssen.
Wie uns die Deutsche Bundesbank auf Nachfrage bestätigt hat, ist das richtig. Seit 2008 spart der Bund durch den Rückgang der Durchschnittzinsen jährlich Milliardenbeträge. Waren es im Jahr 2008 gerade einmal 800 Millionen Euro, stiegen die Einsparungen bis zum Jahr 2012 auf 28,2 Milliarden Euro. 2013 stieg die Ersparnis dann sprunghaft auf 41,6 Milliarden an und wuchs in den folgenden Jahren kontinuierlich. Im vergangenen Jahr zahlte der Bund rund 58 Milliarden Euro weniger Zinsen. Zwischen 2008 und 2019 ergibt sich in der Summe tatsächlich eine Ersparnis von rund 436 Milliarden Euro.