Clans im Visier des Staates: Was bringt die harte Tour?

Der Faktencheck zur Sendung vom 25.11.2019

Durchsuchen, beschlagnahmen, abschieben – was bringt die neue Strategie von Justiz und Polizei gegen Clan-Kriminalität? Lohnt der Aufwand oder ist das Ganze eine PR-Nummer? Und warum reden alle über arabische Clans, obwohl es viele andere kriminelle Banden gibt?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Herbert Reuls Bilanz der Razzien gegen Clans

Nach über einem Jahr zieht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine Bilanz der Razzien gegen Clankriminalität. So seien bei den “Nadelstichen“ in NRW bisher 340 Personen festgenommen, 2500 Objekte durchsucht und 26.000 Personen kontrolliert worden.

Das sind die Zahlen, die uns sein Ministerium heute noch einmal bestätigt hat. Demnach gab es in Nordrhein-Westfalen seit Juli 2018 860 Kontrollaktionen gegen Clankriminalität, bei denen 2.457 Objekte durchsucht wurden. Etwa 1.100 hiervon waren Shisha-Bars. 26.100 Personen wurden alleine in diesem Jahr kontrolliert. Insgesamt kam es zu rund 350 Festnahmen. Darüber hinaus stellten die Beamten mehr als 10.000 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten fest. (Wie sich Straftaten und Ordnungswidrigkeiten genau aufschlüsseln, versuchen wir noch in Erfahrung zu bringen und reichen es an dieser Stelle nach.) Wegen erheblicher Mängel sind seit Beginn der verschärften Kontrollen 150 Lokalitäten sofort geschlossen worden.

László Anisic über Clans als "Modeerscheinung"

Gerade einmal rund acht Prozent der Organisierten Kriminalität gehen auf das Konto von kriminellen Familienclans. Dennoch, so László Anisic, werde Clankriminalität zu stark in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Er hält dies für eine “Modeerscheinung“. Wird Clankriminalität zu sehr aufgebauscht?

“Es stimmt, dass die ‘Clankriminalität‘ aus rein wirtschaftlicher Sicht einen vergleichsweisen geringen Anteil an der Organisierten Kriminalität hat“, sagt Prof. Mathias Rohe. Der Rechts- und Islamwissenschaftler von der Universität Erlangen-Nürnberg befasst sich unter anderem mit den Strukturen von Clankriminalität und forscht derzeit über Strategien für Ausstiegsszenarien. Die große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hält er dennoch für gerechtfertigt: “Während andere Gruppierungen meist im Verborgenen agieren, ist das Markenzeichen dieser Kriminalität ein besonders aggressives öffentliches Auftreten gegenüber Staatsvertretern und Gesamtgesellschaft – auch im Alltag“, sagt Rohe. Seiner Ansicht nach schaffe dies besonders tiefe Verunsicherung und untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat. Den Begriff Clankriminalität hält der Experte allerdings für zu plakativ. “Wir sollten präziser von kriminellen Strukturen innerhalb von Familienclans sprechen“, meint Rohe. Denn auch in diesen Familien gebe viele anständige Leute, stellt der Experte klar.

László Anisic über das Gesetz zur Vermögensabschöpfung

László Anisic hat Zweifel, ob das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung verfassungskonform ist. Seiner Ansicht nach handelt es sich um eine Beweislastumkehr, da der Staat keine Beweise mehr dafür vorlegen müsse, dass Vermögen tatsächlich illegal erworben wurde. Sind seine Bedenken berechtigt?

Einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts will und kann auch Prof. Mathias Rohe nicht vorgreifen. Dies liege im Ermessen der Karlsruher Richter. Dennoch hält der Rechtswissenschaftler die Bedenken von Lázló Anisic für nicht durchgreifend. “Es gibt keine Beweislastumkehr, sondern nur erleichterte Zugriffsmöglichkeiten auf die Beute von Straftaten aus Organisierter Kriminalität, die aber immer noch einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen“, stellt der ehemalige Richter klar. Nur über den Zugriff auf die Beute könne man diese Form von Kriminalität zumindest eindämmen. Rohe hält den Paragrafen 437 der Strafprozessordnung, der gewisse Erleichterungen beim Nachweis krimineller Hintergründe biete, für einen gut abgewogenen Ausgleich zwischen rechtsstaatlichem Individualschutz und der Verteidigung des Rechtsstaats gegen Organisierte Kriminalität. “Wer zum Beispiel beschuldigt wird, Vermögenstraftaten begangen zu haben, Sozialhilfe bezieht und plötzlich über erhebliches Immobilienvermögen verfügt, sollte bei der Aufklärung der Hintergründe nicht überfordert sein“, so der Experte.

Ahamd A. Omeirate über Versäumnisse von Politik und Gesellschaft

Rückblickend sieht Ahamd A. Omeirate Versäumnisse von Politik und Gesellschaft. So seien viele Familien aus dem Libanon an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden, weil ihnen soziale Teilhabe wie Arbeit oder Schule verweigert wurden. Ohne irgendwelche Integrationsmaßnahmen habe man sie einfach sich selbst überlassen. Welchen Einfluss haben vergangene Versäumnisse auf die Entwicklung krimineller Familienclans tatsächlich?

“Die beschriebenen Versäumnisse in den Jahren nach der Zuwanderung werden heute weitgehend als erhebliche Fehler angesehen“, bestätigt Prof. Mathias Rohe. Er ist sich sicher, dass sie erheblichen Einfluss auf die späteren Entwicklungen gehabt haben. “Viele Clanangehörige verließen sich wie im oft feindseligen Herkunftsland ausschließlich auf enge Familienbindungen. Wer keinen Zugang zu Bildung und Arbeit hat, mag auch leichter in Kriminalität abgleiten“, sagt Rohe. Ihm ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass viele dieser Menschen ein unbescholtenes und legales Leben führen. Natürlich seien Versäumnisse der Vergangenheit keine Entschuldigung für Kriminalität der Gegenwart, sagt Rohe. Die für ihn wichtigste Botschaft: “Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit bei heutigen Zuwanderern nicht wiederholen.“

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