Unter grauen Haaren der Muff von 50 Jahren – Streit ums Erbe der 68er

Der Faktencheck zur Sendung vom 23.04.2018

Sie sitzen an den Schaltstellen des Landes, haben es ruiniert und schreiben uns das Denken vor: Stimmt dieses Urteil über die 68er Generation? Braucht das Land jetzt eine konservative Revolution? Oder kann man stolz sein auf 1968, das so viel verändert hat?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Dorothee Bär und Stefanie Lohaus über "Konservative Revolution"

Dorothee Bär springt ihrem CSU-Parteifreund Alexander Dobrindt zur Seite und verteidigt seine Forderung nach einer "Konservativen Revolution". Dass der Begriff aus der rechten Ecke kommt, wie Stefanie Lohaus sagt, will Bär nicht wahrhaben.

Der Ursprung des Begriffs "Konservative Revolution" ist unter Historikern unumstritten. Er geht zurück auf die Weimarer Republik und beschreibt verschiedene politische Strömungen antidemokratischer jungkonservativer Kräfte, die sich scharf gegen liberale Werte und Parlamentarismus der Weimarer Republik stellten und einen autoritären Staat propagierten. Einen konkreten Gegenentwurf für ein politisches System blieben die Anhänger der "Konservativen Revolution" dabei allerdings schuldig, schreibt etwa der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Armin Pfahl-Traughber ("Konservative Revolution" und "Neue Rechte" 1998). "Dementsprechend verfügten die Anhänger der Konservativen Revolution auch über keine entwickelte Strategie zur politischen Umsetzung ihrer Forderungen", so Pfahl-Traughber.

Die "Konservative Revolution" blieb somit aus, sagt der Historiker Volker Weiß im Deutschlandfunk. Ihre Ideen gewannen nach dem 2. Weltkrieg allerdings wieder an Bedeutung: "Sie ist eine Konstruktion, die der Schweizer Autor Armin Mohler direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, um gewissermaßen den Theoriekanon der deutschen Rechten wiederzubeleben, unter Umgehung - zumindest vorgeblicher Umgehung - des Nationalsozialismus." Auf diese "Konstruktion" beruft sich heute die so genannte "Neue Rechte", die der Duisburger Historiker Helmut Kellersohn als eine Strömung bezeichnet, die seit vielen Jahren an der Modernisierung rechter Ideologie arbeitet. Maßgebliche Organe für die Bewegung sind unter anderem die Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" und das "Institut für Staatspolitik" (IfS) – ein think tank für das rechtsintellektuelle Milieu in Deutschland.

Ob Alexander Dobrindt den Begriff der "Konservativen Revolution" vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen und der Auseinandersetzung mit der AfD bewusst und mit dem Wissen seiner historischen Bedeutung gewählt hat, wie es ihm einige vorwerfen, ist unklar.

Helmut Kellersohn hat daran keinen Zweifel: Kommen die Vordenker der AfD doch vor allem aus dem Umfeld der "Jungen Freiheit" und des Instituts für Staatspolitik (IfS), so der Historiker. "Der Begriff ist alles andere als ein Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs. Es handelt sich um einen – wenn auch umstrittenen – wissenschaftlichen Ordnungsbegriff", sagt der Experte. Der Historiker sieht seine Vermutung durch eine andere Passage von Dobrindts Äußerungen untermauert, die den Historiker an den ehemaligen Chef der rechtsextremen "Republikaner" Franz Schönhuber erinnert. ("Andere Völker achten wir, unser Vaterland Deutschland lieben wir.") Bei Dobrindt heißt es ganz ähnlich: "Wir lieben unser Vaterland und achten die Vaterländer anderer." In beiden Fällen handele es sich um Variationen eines Zitats des Schweizer Schriftstellers Gottfried Keller (1819-1890), so Kellersohn.

Andere gehen mit Dobrindt nicht so hart ins Gericht. Denkbar wäre nach Ansicht von Liane Bednarz, Publizistin und Kennerin der "Neuen Rechten", auch, dass Dobrindt die Unterschiede zwischen Konservatismus und den Ideen der "Konservativen Revolution", auf die sich die "Neuen Rechten" zum Teil berufen, nicht bewusst gewesen seien. Vielmehr habe er wohl das pauschale Schimpfen über die 68er übernommen, so die Publizistin im hessischen Rundfunk.