Google-Sprecher Jan Kottmann

"Anonymität so viel man will"

Google-Sprecher diskutiert über Datenschutz

Stand: 23.06.2011, 13:11 Uhr

Jan Kottmann ist bei Google Deutschland für Medienpolitik zuständig. Auf dem Medienforum NRW wurde er vor allem zum Datenschutz befragt. WDR.de hat er erzählt, warum er auf den "aufgeklärten User" setzt.

Jan Kottmann, Jahrgang 1972, ist seit Februar 2010 für die Abteilung Medienpolitik bei Google Deutschland in Hamburg tätig. Zuvor war der Jurist auch bei der Mediengruppe RTL Deutschland als stellvertretender Leiter der Medienpolitik beschäftigt. Auf dem 23. Medienforum NRW diskutierte er am Mittwoch (22.06.2011) unter anderem mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, über Zukunft und Gegenwart des Datenschutzes. Titel der Podiumsdiskussion: "Orwells Albtraum".

WDR.de: Was ist Ihnen das Wichtigste beim Schutz Ihrer persönlichen Daten?

Jan Kottmann: Ich möchte wissen, wie meine Daten oder Daten, die mich betreffen, im Internet von den Anbietern der verschiedenen Applikationen genutzt und verwertet werden. Wenn ich das weiß, kann ich auch entscheiden, wie damit umgegangen werden darf. Es geht um Transparenz und die Kontrolle über die Daten.

WDR.de: Wie soll der Datenschutz nach Ihrem Wunsch 2020 funktionieren?

Kottmann: Wir befassen uns derzeit in einer offenen Multistakeholderinitiative, dem Collaboratory, mit Zukunftsszenarien zum Thema Privatsphäre. Ich denke, dass wir 2020 eine weiterentwickelte Nutzerkultur haben, die auch gleichzeitig eine Gesellschaftskultur sein wird. Wie sich auch unsere Einstellung zum Mobiltelefon geändert hat, wird sich unsere Einstellung zur Privatsphäre - ich will gar nicht Datenschutz sagen - geändert haben. Ob das jetzt eine totale Entspannung sein wird, möchte ich genauso bezweifeln, wie dass extrem reguliert werden wird. Aber gerade durch aufgeklärte Nutzer und fein abstimmbare Entscheidungsmöglichkeiten wird sich sehr viel ändern. Warten wir die Ergebnisse der Initiative ab.

WDR.de: Welche personenbezogenen Daten sind die wertvollsten für die Industrie?

Kottmann: In Bezug auf unser Unternehmen ist der Ansatz der Frage so nicht richtig. Die Daten, mit denen wir die wertvollsten Erkenntnisse erzielen und die besten Anwendungen entwickeln, sind keine personenbezogenen Daten. Der größte Vorteil für den Nutzer rührt meist aus aggregierten anonymen Nutzungsdaten und zwar in möglichst großer Menge. Keine individuelle Information also, die einem einzelnen Nutzer oder einem einzelnen Computer zurechenbar ist.

WDR.de: Was genau sind aggregierte anonyme Nutzerdaten?

Kottmann: Eine Autokorrektur basiert etwa auf diesen Daten. Oder die Vorschläge bei der Suche. Diese werden erst möglich, weil wir eine Vielzahl an eingetippten Worten haben, die aggregiert verwendet werden. Anhand dieser Daten kann man sehen, was die große Masse der Nutzer wahrscheinlich eintippen möchte und was in der Mehrheit der Fälle mit jenem Begriff gesucht wird. Auf Basis dieser Daten kann dann sinnvoll ergänzt und vervollständigt werden. Dem Nutzer spart das Zeit.

WDR.de: Sie nutzen die - anonymen - Userdaten also auch, um ihre Produkte fortzuentwickeln. Sind Daten die Währung in einem ansonsten weitgehend kostenlosen Internet?

Kottmann: Das würde ich so nicht sehen. Man übersieht dabei einen wichtigen Schritt: Viele Anwendungen im Netz und das Netz selber sind datenbasiert. Das Fundament dessen, was wir im Netz finden, sind Daten. Das schließt das Modell von Daten als Währung im herkömmlichen Sinne eher aus. Wenn man in einem Onlineshop Daten eingibt, um den Kauf abzuschließen, sind das für die Abwicklung notwendige Informationen und keine Währung.

WDR.de: Und dennoch: Ist die Anonymität der Nutzer bei so viel Datenaustausch zukünftig noch realistisch?

Kottmann: Ja. Anonymität wird es nach wie vor so viel geben, wie jeder einzelne möchte. Ich glaube nicht, dass wir 2020 entweder alle komplett transparent im Netz sein werden oder nur noch anonym. Die aufgeklärte Wahlmöglichkeit wird das Modell der Zukunft sein. Dahin geht die Reise meiner Ansicht nach bereits jetzt schon.

WDR.de: Der Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) hat dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière im März 2011 einen Datenschutz-Kodex der Industrie überreicht. Google ist Bitkom-Mitglied - wie haben Sie den Inhalt geprägt?

Kottmann: Wir haben an diesem Geodatenkodex maßgeblich mitgearbeitet und hatten großes Interesse, unsere Erfahrungen bei diesem Selbstregulierungsansatz einzubringen. Das Ziel war dabei ein möglichst nutzerfreundlicher Ansatz. Und das ist uns auch gelungen. Wir haben ein sehr ausgewogenes und komplexes Informations- und Schutzsystem geschaffen, das sowohl On- als auch Offlinern Wahlmöglichkeiten und Hilfestellung bietet.

WDR.de: Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, hält den Kodex für defizitär und sagt, Absprachen mit Datenschützern seien nicht eingehalten worden.

Kottmann: Wir haben - wie im Eckpunktepapier des Bundesinnenminsters vorgesehen - Informationsrunden mit den Datenschützern durchgeführt. Wir haben uns etwa bemüht, auch Herrn Schaars Vorstellung von einem zentralen Widerspruchsregister zu berücksichtigen. Es gibt aber auch Erwägungen der Datenschützer, die wir aus guten Gründen nicht mittragen.

WDR.de: Wo gehen die Meinungen auseinander?

Kottmann: Zum Beispiel in Fragen des Vorab-Widerspruchs. Deutschland war das einzige Land, in dem bezogen auf Street View ein Vorab-Widerspruch möglich war. Zum Schutz der Privatsphäre haben wir den Nutzern schon immer die Möglichkeit angeboten, Bilder nach dem Start von Street View jederzeit unkenntlich machen zu lassen., Dabei markiert er in Street View selbst, was er verpixeln lassen möchte. Mit diesem Angebot haben wir weltweit sehr gute Erfahrungen gemacht. Dafür ist auch die Eingabe deutlich weniger Daten nötig, es ist eine präzise und seit Jahren erprobte Technologie.

WDR.de: Wie weit könnten Regeln denn gehen? Wäre etwa Schmerzensgeld bei Verstößen gegen den Datenschutz denkbar?

Kottmann: Sie spielen auf den Referentenentwurf des "Rote Linie Gesetzes" an. Bevor man über Rechtsfolgen nachdenkt, sollte man zunächst einen Konsens darüber finden, wo rote Linien im Datenschutz sinnvoll verlaufen sollten und wo wir bereits funktionierende Regelungen haben, die auch im Online-Bereich anwendbar sind. Die bisherigen Vorschläge ließen die angekündigte Balancierung verschiedener Interessen vermissen und werden überarbeitet.

WDR.de: Wie gut hört Google einem deutschen Datenschützer zu?

Kottmann: Der Austausch ist sehr wichtig. Wir sind natürlich nicht erst seit Street View mit den Datenschützern im Gespräch, sondern seit Jahren kontinuierlich. Wir präsentieren ihnen teilweise Produkte, bevor die breite Masse sie zu sehen bekommt. Deutschland hat eine lange und begründete Tradition des Datenschutzes, die wir akzeptieren und respektieren. Wir haben in Deutschland sehr viele Nutzer. Die wollen sich in ihrer Kultur verstanden fühlen.

WDR.de: Stellen die Deutschen international die strengsten Anforderungen an den Datenschutz?

Kottmann: Es kommt sehr auf die Bereiche an. Die Erfahrung mit Street View hat gezeigt, dass Datenschutz in jedem Fall ein großes Thema in den Medien und in der Politik ist. Ausgehend von der Zahl der Widersprüche, die wir erhalten haben, sehen wir aber, dass es in Relation bei den Nutzern ein weniger großes Thema ist. Gleichwohl: In unserem Entwicklungszentrum in München beschäftigen wir uns mit Fragen des technischen Datenschutzes: eine Abteilung, die ständig wächst und Produkte aus Deutschland für die ganze Welt herstellt. Das bedeutet nicht, dass wir die in Deutschland vereinzelt existierenden Vorstellungen von einem sehr sehr weitgehenden Datenschutz als Exportschlager sehen würden. Aber durch die sehr lebendige Diskussion über Datenschutz hier in Deutschland kann man viel lernen.

WDR.de: Wie viel von mir steckt überhaupt in meinen online verfügbaren Informationen? Ist Panik immer gerechtfertigt, wenn es um Daten geht?

Kottmann: Ein großer Teil der Daten, die im Internet wesentlich für Anwendungen sind, sind nicht personenbezogen. Da steckt überhaupt kein "ich" drin, sondern nur eine aufbereitete Masse, die ein statistisches "ich" ergeben. Ich wünsche mir in Deutschland eindeutig eine besser differenzierende Debatte über den Umgang mit Daten und den Schutz in diesem Feld. Immer wieder hört man von dem Phantom der Profilbildung. Schon in der Offline-Welt gab es jede Menge Profile. Die waren erstmal nicht schädlich, eher hilfreich. Der Kunde freut sich über Bonusprogramme und hat dafür nur einen kleinen Ausschnitt seines kommerziellen Handelns offengelegt, der keine Rückschlüsse auf seine Person zulässt. Das kommerzielle Profil hat längst Akzeptanz gefunden. Im Internet soll alles nun etwas ganz anderes sein. Die wenigsten stellen wirklich die Art von Profilen her, missbräuchlich, von der in der Politik geredet wird. Die meisten Fälle von Profilbildung sind in der anonymen, aggregierten Weise vollzogen worden. Und die muss auch weiter möglich sein. Das ist die Architektur des Internets.

WDR.de: Sie sind der medienpolitische Leiter bei Google Deutschland, was liegt derzeit auf Ihrem Schreibtisch?

Kottmann: Neben anderen Dingen beschäftigt mich das Thema Datenschutz.

Das Gespräch führte Insa Moog.