"Wäre Mzee Jomo Kenyatta heute hier, er wäre sicher wütend über einige der Dummheiten, die wir in diesem Land begehen", sagt Charles Njonjo, Kenias ehemaliger Generalstaatsanwalt. "Aber er würde auch lachen, weil dieses Kenia, das er verlassen hat, immer noch frei ist – und unabhängig." Bis heute trägt Jomo Kenyatta den Ehrentitel "Mzee", Suaheli für weiser Mann.
Kenyatta setzt auf Versöhnung mit den weißen Siedlern
Als erster Premierminister führt er Kenia 1963 in die Unabhängigkeit - mit einem symbolischen Ausruf: "Harambee!" – gemeinsam voran! Kenyatta setzt auf Versöhnung mit den weißen Siedlern, obwohl die britischen Kolonialherren erst zehn Jahre zuvor den so genannten Mau-Mau-Aufstand seiner Kikuyu-Stammesbrüder brutal niedergeschlagen haben. Zehntausende Verdächtige wurden in Arbeitslager gebracht und mehr als tausend gehängt, die meisten ohne Gerichtsverfahren. Doch Kenyatta sinnt nicht auf Rache, so gelingt der Übergang ohne weiteres Blutvergießen. "Ich habe nicht die Absicht zurückzuschauen. Wenn wir anfangen über die Vergangenheit nachzudenken, wie viel Zeit bleibt uns, die Zukunft zu gestalten?", sagt Kenyatta in dieser Zeit.
1964 wird Kenia zur Republik und Jomo Kenyatta ihr erster Präsident. Was folgt, ist auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte: Als einzige der ehemaligen Kolonien Ostafrikas erlebt Kenia in den 1960er- und 70er-Jahren einen Wirtschaftsaufschwung. Die Hauptstadt Nairobi entwickelt sich zur pulsierenden Metropole und die Küste am Indischen Ozean zum Urlauberparadies. Doch von der Blütezeit profitieren nur wenige, denn Kenyatta vergisst nie, dass er zum Stamm der Kikuyu gehört.
"Kenyatta hat – da war er ganz afrikanischer Staatschef – seinen Stamm bei der Vergabe von öffentlichen Ämtern stark bevorzugt", sagt Reinhard Klein-Arendt, Privatdozent am Afrikanistik-Seminar der Universität Köln. Die anderen der rund 40 Stämme Kenias haben das Nachsehen, auch große wie die Luo oder die Kalendjin. Auch viele Mau-Mau-Kämpfer, in der Mehrzahl Kikuyu wie Kenyatta, fühlen sich bald von ihrem Präsidenten verraten: Er verweigert ihnen jede Form der Entschädigung und Rückgabe enteigneten Landes, um es sich mit den weißen Siedlern nicht zu verderben.
"Der Mann, der uns allen ein Vater war?"
Am Ende seiner Amtszeit zehrt Kenyatta vor allem von seinem Mythos als Held der Unabhängigkeit. Kurz vor seinem Tod kippt die Stimmung im Land, viele beginnen ihn kritischer zu sehen. "Er wurde teilweise gehasst, gerade von Nicht-Kikuyu, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlten. Als Kenyatta starb, und die Nachricht von seinem Tod durchs Land ging, waren die meisten dennoch schockiert. Er war eben auch ein Stabilitätsanker", erklärt Klein-Arendt. Kenyatta war am 22. August 1978 im Alter von ungefähr 85 Jahren gestorben. Sein genaues Geburtsdatum war unbekannt.
"Lass uns leben in Einigkeit, Frieden und Freiheit", heißt es in Kenias Nationalhymne, deren Text Kenyatta selbst ausgewählt hat. Für viele ist er noch immer "Taa ya Kenya" - das Licht Kenias. Für andere bleibt er einer von vielen korrupten und autoritären Staatschefs Afrikas. Und doch vereint er das Land noch einmal, als Kenias neuer Präsident Daniel arap Moi im August 1978 die Trauerrede auf seinen Vorgänger hält. "Meine lieben Freunde. Welchen Tribut können wir dem Mann zollen, der uns allen ein Vater war? … Ein liebender Vater, ein unerschrockener Kämpfer, ein großer Staatsmann, all das war Mzee Jomo Kenyatta."
Stand: 22.08.2013
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