Wie ganz Weimar lästert auch Friedrich Schiller über die skandalöse Liebschaft des großen Geheimrats von Goethe: "Sein Mädchen ist eine ziemlich berüchtigte M(ademoiselle) Vulpius…", schreibt Schiller, lange bevor er Goethe und Christiane Vulpius persönlich kennenlernt. Auch später, in den zehn Jahren seiner zumeist herzlichen Beziehung zu Goethe, als enger Hausfreund, wird er Christiane, das "runde Nichts", wie Schillers adlige Frau Charlotte ätzend bemerkt, kaum zu Gesicht bekommen.
Selbst in den erblichen Adelsstand erhoben, hält Johann Wolfgang von Goethe die Geliebte, Haushälterin und Mutter seiner Kinder vor den Standesgenossen strikt verborgen. Schiller wird ihm sein Leben lang "falsche Begriffe über das Häußliche Glück" vorhalten. Ein Jahr nach Schillers Tod, nach 18 Jahren wilder Ehe mit Christiane, nimmt der sinnenfrohe "Unsterbliche" das schlichte, lebenslustige Mädchen aus der Unterschicht zur Frau. Schillers Witwe tauft das "runde Nichts" in "Goethes "dickere Hälfte" um.
Des Bettes lieblich knarrender Ton
Goethe war im Sommer 1788 gerade von seiner zweijährigen Italienreise heimgekehrt, da wendet sich eine junge Frau Vulpius mit einer Bittschrift an ihn. Ihr Vater sei arbeitslos, die Familie verarmt, der Bruder versuche sich als Schriftsteller. Ob Goethe ihn fördern könne? Der Dichter lädt die Putzmacherin zum Gespräch in seine Gartenlaube. Aus dem Bittbesuch der lebenslustigen Christiane, als Tochter eines Amtsarchivars 1765 in Weimar geboren, werden schnell heiße Liebesnächte. Das belegen die Rechnungen für Goethes in diesen Wochen mehrmals gebrochenes Bett.
Der Nachhall findet sich in den zu jener Zeit entstandenen "Römischen Elegien": "Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton." Bald nimmt der 39 Jahre alte Goethe die 23-Jährige in sein Haus auf – unerhört für Weimars feine Hofgesellschaft. Der Skandal wird auf die Spitze getrieben, als das ungleiche Paar schon 1789 einen Sohn bekommt. Doch vom Spott über sein "Kreatürchen", seine "Hure", lässt sich Goethe nicht beirren. Zahlreiche Liebesgedichte widmet er seiner unentbehrlichen Haushälterin, seinem "lieben Küchenschatz", der ihn nicht nur als Muse zärtlich küsst.
Schmucklose Hochzeit nach Napoleons Sieg
Nach Sohn August bringt Christiane vier weitere Kinder zur Welt, die aber das Säuglingsalter nicht überleben. In all den Jahren ihrer "Ehe ohne Zeremonie" mit Goethe bleibt sie selbst ohne jede finanzielle Absicherung. Das ändert sich schlagartig nach Napoleons Sieg in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Am 15. Oktober 1806 plündern französische Soldaten Weimar und dringen auch in das Goethe-Haus am Frauenplan ein. Erst in höchster Bedrängnis wird der berühmte Hausherr von französischen Offizieren unter den Schutz einer Ehrenwache gestellt.
Zwei Tage später schreibt Goethe dem Weimarer Hofprediger: "Ich will meine kleine Freundin, die so viel an mir getan und diese Stunde der Prüfung mit mir durchlebte, völlig bürgerlich anerkennen als die Meine." Die schmucklose Hochzeit findet am 19. Oktober 1806 statt. Nur zehn Jahre sind Christiane Vulpius als "Geheimrätin von Goethe" vergönnt. Unter Qualen stirbt sie am 6. Juni 1816 mit 51 Jahren an einem Nierenversagen. Bei ihrer Beerdigung bleibt Goethe daheim. Auf Christianes Grabstein lässt er schreiben: "Du versuchst, o Sonne, vergebens, durch die düstren Wolken zu scheinen. Der ganze Gewinn meines Lebens ist, ihren Verlust zu beweinen."
Stand: 19.10.2011
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