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Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 in Ost-Berlin. Sowjetischer Panzer auf dem Potsdamer Platz. Foto.

17. Juni 1953 - Aufstand in Ostberlin und in der DDR

Der sogenannte Aufbau des Sozialismus führt Anfang der 1950er-Jahren zu großer Unzufriedenheit in der DDR. Es kommt zu einem Aufstand - niedergeschlagen von sowjetischen Panzern.

Die westdeutsche Wochenschau berichtet am 16. Juni 1953: "Ostberlin ein Hexenkessel. Nach einer Demonstration der Bauarbeiter vor der Ostzonenregierung in der Leipziger Straße kam es zu Auseinandersetzungen zwischen SED Funktionären und Arbeitern." 

Der Aufstand beginnt bereits am 12. und dauert bis zum 21. Juni. Die Revolte erstreckt sich über das gesamte Territorium der DDR. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk: "Über 700 Städte und Gemeinden wurden erfasst, etwa eine Million Menschen haben sich daran beteiligt, und an diesem Aufstand hat sich der Querschnitt der Gesellschaft beteiligt und deswegen sprechen wir vom Volksaufstand gemeinhin."

Flucht in den Westen

Zur Vorgeschichte des Aufstands im Nachkriegs-Deutschland sagt der Historiker: "Die ostdeutsche Gesellschaft liegt materiell immer noch sehr am Boden. Durch eine Forcierung des sozialistischen Aufbaus seit dem Sommer 1952 ist das ohnehin niedrige Lebensniveau von Millionen Menschen weiter abgesenkt worden - mit dramatischen Folgen."

Gescheiterte Revolution: Der Aufstand vom 17. Juni 1953

WDR ZeitZeichen 17.06.2023 14:55 Min. Verfügbar bis 17.06.2099 WDR 5


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Zehntausende fliehen Jahr für Jahr in die Bundesrepublik. Und es ist nicht nur die wirtschaftliche Lage, die die Menschen in den Westen treibt. Zwangskollektivierung auf dem Land, Kampf gegen die Mittelschichten, gegen freie Unternehmer, gegen die Kirchen. Die SED versucht ihre Herrschaft mit großer Härte durchzusetzen - auch mit rigider Strafverfolgung ihrer Kritiker.

Selbst Moskau ist besorgt. Drei Monate nach Stalins Tod und mitten in dem Kampf um seine Nachfolge wird befürchtet, dass die DDR binnen weniger Wochen auseinanderbrechen und als geopolitischer strategischer Vorposten verloren gehen könnte. Anfang Juni werden die DDR-Oberen nach Moskau zitiert, der bisherige Kurs soll abgeschwächt, sogar gestoppt werden. Nur widerwillig und ohne innere Einsicht beugt sich die SED-Führung, beschließt einen neuen Kurs.

Rebellion gegen schwache SED

Schwarzweiß-Foto einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor. Einige Menschen schwenken die deutsche Fahne.

Demonstration vor dem Brandenburger Tor

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk: "Und die Zeitungen verkündeten das am 11. Juni, die waren alle sofort ausverkauft und nun begann der Aufstand flächendeckend bereits ab 12. Juni. Und warum? Weil die Gesellschaft sagte, die Kommunisten haben einen Fehlereingeständnis gemacht. Sie sind jetzt schwach und wir können unsere Forderungen durchsetzen."

Aufständische singen das Deutschlandlied, schwenken die schwarz-rot-goldene Fahne. Überall ziehen sie vor die örtlichen Gefängnisse, fordern die Freilassung zu Unrecht Inhaftierter. Es kommt zu großen Streiks und Demonstrationen. 150.000 in Berlin. Bilder, die bis heute die Erinnerung an den 17. Juni prägen.

Es herrscht Ausnahmezustand. Die SED-Führung flieht in das sowjetische Hauptquartier nach Berlin-Karlshorst. Den Menschen auf den Straßen macht das Mut. Sie demonstrieren nicht mehr nur, sie stürmen Gebäude der SED, der Gewerkschaft, der Massenorganisationen, sogar der Staatssicherheit. Manche werden verwüstet, andere in Brand gesteckt.

Sowjetische Panzer eröffnen das Feuer auf die Demonstranten, behaupten die westdeutschen Wochenschauen. Und es fallen Schüsse, es gibt 55 Tote. Dazu Hunderte Verletzte und in den Wochen und Monaten danach an die 15.000 Verhaftungen.

Kaum hat sich die SED aus der Schockstarre gelöst, beginnt die Umdichtung. Westliche Provokateure, Agenten, Banditen sind die Übeltäter, das eigene Volk nur angestiftet und missbraucht, heißt es in der Propaganda. Während die BRD noch nach der richtigen Reaktion sucht, bricht der Volksaufstand in sich zusammen, die kommunistische Macht hat sich wieder gesammelt. Im Westen wird der 17. Juni zum Feiertag. Bis zum Ende der DDR vergehen noch Jahrzehnte.

Autorin des Hörfunkbeitrags: Veronika Bock
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 17. Juni 2023 an den Aufstand in der DDR. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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