Buchcover: "Unter Freunden stirbt man nicht" von Noa Yedlin

Lesefrüchte

"Unter Freunden stirbt man nicht" von Noa Yedlin

Stand: 01.09.2023, 11:50 Uhr

Nach Avishais überraschendem Tod beschließt seine Senioren-Clique, diesen bis nach der Bekanntgabe des Nobelpreises geheim zu halten. Denn Avishai ist ein heißer Anwärter. Eine turbulente Komödie voller Aberwitz.

Tel Aviv in den 2010er Jahren. Avishai stirbt. Seine Freunde sind geschockt, traurig und haben plötzlich eine Idee. Ihr letztes Geschenk an den Verstorbenen. Was wäre, wenn Avishai noch ein wenig weiterlebte? Sagen wir, bis das Nobelpreis-Komitee in Stockholm den diesjährigen Gewinner des Wirtschafts-Nobelpreises bekannt gäbe? Die Chancen für Avishai stehen gar nicht schlecht.

Gesagt getan. Beziehungsweise leichter gesagt als getan. Denn schon bald feuert die Umwelt unablässig Nachrichten auf Avishais Handy, fremde Frauen klingeln an seiner Tür, unklare Zusagen wollen eingehalten werden.

Für die vier Freunde Amos, Nili, Jehuda und Sohara werden die folgenden Tage eine Herausforderung. Nicht nur ihre Freundschaft steht vor einer Zerreißprobe. Rasch überschlagen sich die unvorhersehbaren Ereignisse. Schon bald liegen die Nerven aller Beteiligten blank und immer wieder droht das tollkühne Vorhaben zu scheitern. Aberwitzige Szenen jagen einander.

Die Situationskomik, die durch das unkonventionelle Setting zustande kommt, erhält die Handlung bis zum Ende spannend. Und weil der Bogen nie überspannt wird, bleibt der Plot plausibel. Erwartbare Cliffhanger vermeidet Autorin Noa Yedlin nämlich ebenso geschickt wie morbiden Klamauk. Dies gelingt ihr auch dank einfühlsamer Charakterstudien ihrer komplexen Figuren und den ganz natürlich aus ihnen herausfließenden Aussagen.

Bei aller schwarzen Komik ist es aber auch ein erbauliches Buch, weil die vier Freunde sich wieder näher kommen. Durch Eingeständnisse und Schwächen wieder menschlicher, nahbarer werden. Außerdem geht Yedlin subtil der Frage nach, was von einem Menschen bleibt. Denn die Erinnerungen der Freunde an den Verstorbenen sind durchaus ambivalent, zwischen Bewunderung und Neid, Dankbarkeit und nie verziehenen Kränkungen.

"Unter Freunden stirbt man nicht" ist zudem eine Meditation über Mühsal und Möglichkeiten des Alterns. Zum Beispiel um die quälende Frage, was man mit dem eigenen Leben anfängt, und ob man wohl die richtigen Abfahrten auf der Straße des Lebens gewählt hat.

Yedlin gelingt mit "Unter Freunden stirbt man nicht" ein Buch voller Wirren und Wendungen, Witz und Wahrheit. Ein Riesenkompliment gebührt auch Übersetzerin Helene Seidler, die die stets aufs Neue überraschende Stimmung zwischen Humor und Wehmut perfekt einfängt.

Eine Rezension von Moritz Holler

Literaturangaben:
Noa Yedlin: Unter Freunden stirbt man nicht
Aus dem Hebräischen von Helene Seidler
Kein und Aber, 2023
464 Seiten, 26 Euro