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Buchcover: "Kinder der Stadt" von Olga Bach

Lesefrüchte

"Kinder der Stadt" von Olga Bach

Stand: 06.10.2023, 13:11 Uhr

Für eine Museumseröffnung sollen Regisseur Orhan und Dramatikerin Irina eine Performance über Identitäten der Berliner Nachwende-Generation entwickeln. Die Recherche stellt ihre Freundschaft auf die Probe, Traumata und unterdrückte Konflikte kommen zum Vorschein.

Irina, eine Westdeutsche, und Orhan, Sohn türkischer Migranten, beide geboren im Berlin der Wendezeit. Sie bitten ihre Freundin Maria bei dem Projekt mitzumachen, weil auch "Ost-Biografien" behandelt werden sollen. Schon zu Schulzeiten geben sie sich Halt in einer Stadt, in der Heimat und Zusammenhalt nach 89 erst noch neu definiert werden müssen, wo sich alles rasant verändert.

Neben überforderten Eltern, deren Lebensvorstellungen als Architekt oder Schriftstellerin seit der Wende nicht so richtig gelingen wollen, finden die drei Jugendlichen im Theater einen Ort, der die Realität erträglicher macht. Jetzt, einige Jahre später, recherchiert Irina im Auftrag des Museums die Biografien ihrer beiden Freunde nach.

Erinnerungen an Gewalt in der Kindheit kommen zum Vorschein, an Verantwortung für jüngere Geschwister und die Sehnsüchte der Eltern nach der türkischen Heimat. In unterschiedlichen Strängen verbindet Olga Bach Zeiten, Orte und Biografien. Sie zieht uns hinein in das Berlin der 2000er Jahre, in verrauchte Clubs, harte Polizeikontrollen und glänzende Theaterhäuser.

Die Autorin selbst und ihr Regiekollege Ersan Mondtag sind immer wieder in den Figuren zu erkennen – beide verbindet eine enge Arbeitsbeziehung. Sie klettern die Karriereleiter am Theater hoch und müssen Opfer bringen in hierarchischen Kulturinstitutionen.

Olga Bach legt Fetzen ihres eigenen Lebens offen und verbindet sie mit Fiktionalem – wo die Grenze liegt, bleibt meist unklar. Ungeschönt zeigt sie, wie wichtig es ist, sich an die prägenden Umbrüche der Jahre um 1989 zu erinnern.

Die Ereignisse damals haben über Lebenswege entschieden und Biografien bis heute geprägt. Das Theater gibt den drei Protagonisten Kraft, die Kunst weitet ihnen den Blick, ermutigt und befreit sie.

Eine Rezension von Elisabeth Luft

Literaturangaben:
Olga Bach: Kinder der Stadt
Kiepenheuer & Witsch, 2023
352 Seiten, 22 Euro