Stefanie Greeven vor ihrem ehrenamtlichen Taxi

Wie ein Dorf einen kostenlosen Fahrdienst gründet

Wesel | Ehrenamt

Stand: 01.09.2023, 10:24 Uhr

Die Idee ist einfach wie genial: Alle drei Monate hat Stefanie Greeven eine Nacht Fahrdienst. Die restliche Zeit wird sie dafür abends sicher nach Hause gefahren. In Birten am Niederrhein hat der Schützenverein einen neuen Fahrservice erfunden.

Von Simon Voigt

Der erste Anruf geht bei Stefanie Greeven um 0.43 Uhr ein. Kein Problem für die 36-Jährige, schließlich hat sie heute Nacht "Mover"-Dienst. Von 22 Uhr bis morgens um 5 Uhr ist sie die Fahrerin für Birten, ein 2000-Einwohner-Dorf bei Xanten.

Anne und Georg wollen vom Sommerfest des Seniorenausschusses abgeholt werden. Die Party in der Garage geht wilder zu, als der Begriff "Seniorenausschuss" vermuten lässt. Die beiden wohnen nur einen Kilometer entfernt. Trotzdem haben sie den "Mover" gerufen, denn draußen ist es stockdunkel. In dem Moment, indem die beiden einsteigen, schwappt auch etwas von der Partystimmung mit ins Auto, es wird gelacht und erzählt.

Warum sind herkömmliche Taxis keine Alternative?

00:15 Min. Verfügbar bis 01.09.2025

Die Adresse braucht Greeven nicht - man kennt sich im Dorf. Keine fünf Minuten später sind die gut gelaunten Fahrgäste zuhause.

Ehrenamtliches Taxi "Mover": Erfolgsprojekt seit zwei Jahren

Die Birtener können den "Mover" per Mail reservieren oder spontan über eine eigene App anrufen. Jeden Freitag und Samstag ist einer von 40 ehrenamtlichen Fahrern unterwegs. Nach dem normalen Job noch eine ehrenamtliche Nachtschicht einzulegen, stört Greeven nicht: "Ich haue mir eine Nacht um die Ohren, dafür weiß ich den Rest der Zeit, wie ich abends sicher nach Hause komme." Alle drei Monate hat Greeven "Mover"-Dienst.

Stefanie Greeven holt Anne und Georg ab

Anne (2. v. r.) und Georg (3. v. r.) wollen nach der Party sicher nach Hause

Den nächsten Fahrgast holt Greeven von seinem Dartabend ab. Sie fragt nach, wie oft die Männer trainieren und wer dabei war. Greeven, die hauptberuflich als Justizvollzugsbeamte in einem Gefängnis arbeitet, gefällt der Austausch mit den Fahrgästen. "Ich musste auch schon drei älteren Herren dabei helfen, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Das war sehr lustig", erzählt sie schmunzelnd.

Tödlicher Unfall führte zu Fahrdienst

Der Hintergrund des Projekts ist ernster, als die heiteren Fahrten vermuten lassen. Mittlerweile ist es drei Jahre her, dass jemand aus dem Schützenverein im Dunkeln von einem Auto erfasst wurde und starb. Alkohol war nicht im Spiel. Der Unfall hat aber gezeigt, wie gefährlich es sein kann, nachts allein nach Hause zu gehen. Das ganze Dorf war erschüttert. "Das darf auf keinen Fall nochmal passieren", dachte sich Greeven und wurde aktiv.

Wachsendes Problem: Alkohol und Drogen am Steuer

2022 erreichte NRW einen Höchststand bei Unfällen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. In rund 3300 Fällen, bei denen Personen zu Schaden kamen, hatten die verursachenden Fahrer Alkohol getrunken. Das ist ein Anstieg um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 29 Menschen kamen bei diesen Unfällen ums Leben. "Trauriger Rekord, trauriger Trend", lautete das Fazit von NRW-Innenminister Herbert Reul.

Bei 637 Unfällen mit Verletzten standen die Verursachenden unter Drogeneinfluss. Vor diesem Hintergrund spricht sich Reul gegen eine Legalisierung von Cannabis aus: "Wenn wir Cannabis legalisieren, werden sich noch mehr Menschen im Drogenrausch hinters Steuer setzen. Und die Zahlen gehen weiter in die Höhe, das ist sicher."

"Wie wäre es, wenn nachts immer ein Fahrer abrufbar wäre?" Mit dieser Frage geht sie auf die Kolleginnen und Kollegen des Tambourkorps zu. Die Musikgruppe des Schützenvereins mit dem Sandhasen als Maskottchen ist begeistert und gründet den "SandhasenMover". Im Januar 2021 sitzt Greeven das erste Mal die ganze Nacht im Auto.

Fahrten im "Mover" sind kostenlos

Die Uhr im Display des Autoradios zeigt 4.07 Uhr. Es ist kühler geworden, aber Greeven wartet geduldig im schwarzen T-Shirt auf die letzten Fahrgäste der Nacht. Katharina und Thorsten kommen von einem Musikfestival. Sie haben keine konkrete Idee, wie sie ohne Greeven die sieben Kilometer nach Hause kommen würden: "...vielleicht laufen oder irgendjemanden anrufen. Es ist hier so gut wie unmöglich, ein Taxi zu bekommen."

Eine Frau sitzt am Steuer eines Autos. Draußen ist es dunkel

Alle drei Monate hat Stefanie "Mover"-Dienst

Knapp zehn Minuten später sind sie zuhause. Die Fahrt ist kostenlos. Trotzdem wollen sie etwas in die Spendenbox werfen. Dumm nur, dass sie ihr ganzes Bargeld auf dem Musikfestival ausgegeben haben. Mit den Spendengeldern veranstaltet das Tambourkorps Aktionen fürs Dorf.

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Aber kein Problem, Katharina und Thorsten wohnen nur ein paar Häuser von Greeven entfernt und bringen ihr am nächsten Tag das Geld vorbei. Als es gegen 4.45 Uhr langsam wieder hell wird, verabschiedet sich auch Greeven in den Feierabend - zufrieden, alle Fahrgäste sicher nach Hause gebracht zu haben.