Buchcover: "Heiligenbilder und Heuschrecken" von Layla Martinez

"Heiligenbilder und Heuschrecken" von Layla Martinez

Stand: 11.06.2024, 07:00 Uhr

Ein Haus wie in lebender Dämon, eine Familie, die sich ihm anpasst – oder umgekehrt. Dazu Schatten von Toten, die dort ihr Unwesen treiben – und doch kein Schauerroman, sondern eine Parabel über die spanische Gesellschaft. Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

Layla Martínez: Heiligenbilder und Heuschrecken
Aus dem Spanischen von Christiane Quandt.
Eichborn, 2024.
159 Seiten, 22 Euro.

"Heiligenbilder und Heuschrecken" von Layla Martinez

Lesestoff – neue Bücher 11.06.2024 05:32 Min. Verfügbar bis 11.06.2025 WDR Online Von Jutta Duhm-Heitzmann


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Was ist los mit diesem Haus?

"Sobald ich über die Schwelle war, hat es sich auf mich gestürzt. Das passiert immer so mit diesem Haufen Ziegel und Dreck, er fällt alle an, die über die Schwelle kommen."

Frisst sich förmlich in die Körper und Seelen der Bewohner, die sich dadurch allmählich verändern, bis sie sich selbst nicht mehr erkennen. Oder ist es genau umgekehrt? Formen die Bewohner das Haus um, bis es so ist wie sie?

"Dieses Haus ist keine Zuflucht, sondern eine Falle. Niemand kommt von hier weg, und die, die es doch schaffen, kommen am Ende zurück. Mein Vater hat uns diesen Fluch an­gehängt und uns dazu verdammt, für immer in diesen Wänden zu leben."

Ein Haus als steingewordenes Symbol für eine ganze Familie und ihre Beziehung zum Dorf, in inneren Monologen abwechselnd erzählt von zwei Frauen, Großmutter und Enkelin, die als letzte einer verfluchten Sippe dort noch wohnen. Aber nicht allein: Schatten von Toten haben sich einquartiert, besetzen Schränke und dunkle Ecken, dominierend und immer präsent, viele von ihnen verzweifelt, übellaunig, aggressiv. Die Großmutter versucht sie mit der Hilfe von Heiligen abzuwehren, deren süßliche Bildnisse sie ringsum an Wand und Bett geklebt hat – leider die falschen Helfer:

"Engel sind eigentlich eher wie riesige Insekten, wie riesige Gottesanbeterinnen. (…) Jetzt beten wir zu ihnen weil wir Angst haben dass sie sich aufs Dach setzen und ihre Fühler und riesenlangen Beine durch den Schornstein stecken."

"Heiligenbilder und Heuschrecken" ist der erste Roman der Erzählerin und Publizistin Lay­la Martínez, inspiriert auch von der eigenen Familiengeschichte. Im Original heißt er "Carcoma", so etwas wie Holzwurmbefall, eine Infektion also, die etwas von in­nen heraus zersetzt – so wie hier Menschen und Haus gleichermaßen.

Erbaut wurde es vom Vater der Großmutter, der die Frauen, die sich in ihn verliebten, hörig gemacht und dann als Huren in sein Bordell gesteckt hatte. Ein skrupelloser Emporkömmling und Ausbeuter – und nicht der einzige. Da gibt noch diese Adelsfamilie, die Jarabos, die bis heute das Dorf beherrschen. Das Gespinst feudaler Abhängigkeit wird von fast allen immer noch fraglos akzeptiert – nur nicht von den hasserfüllten Underdogs am Ende der sozialen Leiter. Denn...

"...definitiv hatte (der Vater) uns eins vererbt: zu viel Stolz, um sich jemandem unterzuordnen."

Und doch mussten und müssen auch sie bei den Jarabos um Arbeit betteln, vor allem die Frauen, wenn die Männer verschwunden oder gestorben sind. Sie werden scheinbar korrekt behandelt, und doch untermauert jede Geste die Arroganz der Besitzenden, die das selbstverständliche Ausleben sozialer Schranken mit einer fast sadistischen Lust zu demütigen verbinden – eine explosive Mischung.

"Es war ein uralter Hass, den sie da in sich trugen, so tief, dass sie sich nicht anstrengen mussten, ihn zu zeigen. Sie hassten uns nicht mit Wut, sondern mit Verachtung. Wir dage­gen hatten eine riesige Wut. Sie durchzuckte unsere Venen wie Fieber."

Bis hin zur gegenseitigen Vernichtung.

"Heiligenbilder und Heuschrecken" greift damit ein Thema auf, das die gesamte mo­derne spanische Literatur mehr oder weniger offen durchzieht: die Erinnerung an Bürgerkrieg und die Diktatur des Generals Franco bis 1975, an die nur oberflächlich verheilten Wunden einer nicht aufgearbeiteten Vergangenheit, die eine ganze Gesellschaft zersetzen.

Auch Layla Martínez kratzt sie wieder auf, mit fulminanter sprachlicher Kraft und durch Bilder, die oberflächlich mit dem magi­schen Realismus kokettieren und doch tief in religiös-mythische Schichten hin­abreichen. Ein Roman wie aus dem Horrorgenre – entlarvend und verstörend.

"Er konnte mir drohen so viel er wollte, er konnte mich verprügeln lassen oder mich höchst­persönlich mit seinem Jagdgewehr abknallen, aber für Gerechtigkeit würde er nicht sorgen. Das haben nämlich wir getan (…), dass an dieser Stelle die Geschichte der Jarabos für im­mer zu Ende ist."