Doping West - Top-Leichtathleten gestehen Anabolika-Einnahme
Stand: 25.03.2017, 13:59 Uhr
31 ehemalige Top-Leichtathleten der früheren Bundesrepublik haben zugegeben, zum Teil über Jahre anabole Steroide eingenommen zu haben. Das geht aus einer unveröffentlichten Dissertation an der Universität Hamburg hervor.
Von Fred Kowasch und Ralf Meutgens
Die Doktorarbeit des Pharmazeuten Simon Krivec räumt auf mit dem Mythos, nur im Osten sei gedopt worden. Krivec hat es geschafft, die jahrzehntelange Mauer des Schweigens über die wahren Zustände in der westdeutschen Leichtathletik zum Einsturz zu bringen. Seine Arbeit basiert im Wesentlichen auf der Aussage von Zeitzeugen.
Hohe Rücklaufquote
121 ehemalige männliche Top-Sportler des Deutschen Leichtathletik-Verbandes wurden für die Studie von Krivec angeschrieben und nach der Einnahme von anabolen Sterioden zur Leistungssteigerung befragt. Das Ergebnis: 31 Top-Leichtathleten gaben an, in ihrer aktiven Zeit Anabolika genommen zu haben. Von Ende der 60er Jahre bis in die späten 80er Jahre hinein. In Mengen und Zeiträumen, die dem DDR-Staatsdoping ähneln.
"Die Daten belegen statistisch signifikant, dass mehr als 50 Prozent der Athleten anabole Steroide eingenommen haben", schreibt Krivec in seiner Arbeit.
Doping auf Rezept
Die Dosierungen lagen in fast allen Fällen weit über den Empfehlungen der Hersteller. Die bevorzugten Medikamente waren Dianabol und Stromba und wurden häufig über Rezept bezogen. Bis auf wenige Ausmahmen seien die ausgestellten Rezepte von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt worden. In einem Fall wurden im gesamten Jahr 1974 Mengen bis zu 5.000 Milligramm Dianabol konsumiert, was rund 1.000 Tabletten entspricht. Die Zeiträume der Anabolika-Einnahme erstreckten sich auf bis zu zwölf Jahre.
Anabolika stehen in der Leichtathletik seit 1970 auf der Verbotsliste des internationalen Leichtathletik-Verbandes. Doch auch danach wurden die leistungssteigernden Mittel weiter geschluckt oder gespritzt. In der Arbeit wird die Struktur des Anabolikamissbrauchs deutlich. Ärzte, Apotheker, Trainer und weitere Personen aus dem Umfeld der Athleten waren zum Teil aktiv daran beteiligt.
Mitten ins Herz
Den befragten Athleten wurde Anonymität zugesichert. Der ehemalige Diskuswerfer Klaus-Peter Hennig, mehrfacher Deutscher Meister und Olympiateilnehmer 1968 und 1972, stimmte der Veröffentlichung seines Namens zu.
Gegenüber Sport inside beschreibt Hennig die "Zwickmühle", in der sich die bundesdeutschen Athleten befunden hätten, was ihn persönlich sehr belastet habe: "Auf der einen Seite will ich selber Leistung verbessern, hohe Leistung schaffen. Die Olympiateilnahme schaffen. Auf der anderen Seite weiß ich, dass das ohne unterstützende Mittel eigentlich nicht geht." Die Dissertation schätzt Hennig insgesamt als absolut glaubwürdig ein.
Eine Dissertation, die ins Herz westdeutscher Leichtathletik trifft und in der die Athleten selbst mit einem Mythos aufräumen.
Online-Bearbeitung Michael Ostermann