Brand "made in Italy"

Italien

Wachstumsgipfel im Stillstandsland

Stand: 07.10.2014, 17:58 Uhr

Eigentlich gehört Arezzo in der Toscana zu den blühenden Städten im Land, aber selbst hier stehen viele Neubauten im Gewerbegebiet leer. Italiens mittelständische und kleine Unternehmer wollen einfach nicht größer werden, und das bringt allmählich die ganze italienische Wirtschaft in Gefahr. Denn gerade solche Betriebe waren bislang der Motor im Land.

In Arezzo sind es vor allem Mode und Schmuck. Echter Goldschmuck in hoher Qualität für Luxusfirmen, typisch „Made in Italy“. Arezzo gilt sogar als das Goldschmuckzentrum Europas. Aber seit der Finanzkrise schwächelt die Branche. Vor der Krise brachte die Hauptbank von Arezzo 12 Tonnen Gold im Umlauf, jetzt sind es gerade noch 3000 Kilo. Die Banken investieren lieber in sichere Staatsanleihen und nicht in Unternehmen.

Der Staat erstickt kleine Betriebe

Für dieses Dilemma ist wesentlich der italienische Staat verantwortlich. Denn er schafft seit Jahren keine Reformen, die Unternehmen weniger zerbrechlich, deutlich robuster und investitionsfreudiger machen. Im Gegenteil: Er erstickt insbesondere kleine und mittelständische Betriebe mit einer viel zu hohen Steuerlast: Allein 65,8% beträgt sie auf Unternehmensgewinne, in Deutschland lediglich 49,4%, EU-weit durchschnittlich 41,95%. Dazu kommt, dass viele Unternehmer über Rechtsunsicherheit klagen, denn die Steuergesetze Italiens sind äußerst kompliziert und undurchsichtig. Wer sich zu Unrecht besteuert fühlt oder gar Strafzahlungen leisten muss, hat kaum eine Chance, sich vor Gericht zu retten. Bis zu acht Jahre dauert im Durchschnitt ein Verfahren, wobei in dieser Zeit die Steuerzahlungen geleistet werden müssen. Bekommt der Unternehmer abschließend Recht, ist er wahrscheinlich schon in Konkurs gegangen. Im Falle eines Konkurses verschlingen die Gerichtskosten in Italien mit 22% fast das dreifache dessen, was eine Pleite in Deutschland kostet. Zahlreiche Verfahren verjähren schlicht, denn Italien hat zu wenig Richter und vor allem auch zu wenig spezialisierte Gerichte.

Keine Kündigungen

Hinzu kommt, dass italienische Unternehmer unter hohen Arbeitskosten leiden, tatsächlich die höchsten in Europa. Zugleich sorgt ein strikter Kündigungsschutz bei Betrieben über einer bestimmten Mitarbeiterzahl – in der Toscana gilt dies schon ab 15 – für die schlichte Weigerung, selbst erfolgreiche Betriebe wachsen zu lassen. Wer einem Mitarbeiter bei mehr als 15 Angestellten kündigen will, muss ihm 12-14 Monatsgehälter als Abfindung zahlen, wenn er denn überhaupt eine Kündigung durchsetzen kann. Über diesen Kündigungsschutz wachen vor allem Italiens mächtige Gewerkschaften, eng verbandelt mit der politischen Klasse. Somit riskiert ein Unternehmer absurderweise, mit seinem Betrieb in konjunkturschwachen Zeiten komplett unterzugehen, weil er sich keine Kündigungen leisten kann.  

Aussichtslose Lage

Und dabei gerät auch Italiens Jugend in eine schier aussichtslose Lage, denn für die meisten „Arbeitsanfänger“ gibt es aufgrund der strikten Kündigungsgesetze nur Aushilfs- und Zeitverträge, wenn überhaupt irgendeine Arbeit.

Die Mitarbeiterobergrenze verleitete viele Jahre Unternehmer dazu, wenigstens mehrere kleine Betriebe gründen. Aber selbst dazu fehlt ihnen derzeit die Lust, denn das wiederum bedeutet noch mehr Steuern und vor allem Bürokratie.

Letztere spielt geradezu eine fatale Rolle für den Export. Für eine Exportlizenz brauchen italienische Unternehmen durchschnittlich 80 Tage. In Deutschland dauert es gerade mal 17. Dabei müsste Italien dringend mehr ausführen, denn die Konsumentenlaune im Land selbst hat sich massiv verschlechtert, wie gerade die Goldschmiede merken.

Die Goldschmiede von Arezzo fühlen sich vor diesem Hintergrund alles andere als glänzend. Erfolg allein, so sagen sie zynisch, nützt nichts, wenn der eigene Staat jedes zarte Pflänzchen erstickt. Sie wehren sich jetzt: durch Stillstand.

Autorin: Cornelia Kolden