Krieg in Nahost: Sieg der Extremen? Monitor 02.11.2023 10:21 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Achim Pollmeier, Lara Straatmann

MONITOR vom 02.11.2023

Krieg in Nahost: Sieg der Extremen?

Seit dem Terrorangriff der Hamas und den Gegenangriffen des israelischen Militärs tobt in Deutschland eine immer unversöhnlichere Debatte. Lässt sich das Leid der einen anerkennen, ohne die anderen zu verletzen? Es geht um wachsenden Antisemitismus, Islamophobie und eine Debatte, die scheinbar nur noch Freunde und Feinde kennt. MONITOR spricht mit Juden und Palästinensern, die auf Verständigung bedacht sind. Sie fürchten eine zunehmende Radikalisierung, bei der am Ende die Extremen gewinnen.

Von Achim Pollmeier, Lara Straatmann

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Alles, was wir ab heute über jüdisches Leben in Deutschland sprechen, über Antisemitismus, das muss immer bei dieser Reaktion am 7. Oktober anfangen, diese kalte Schulter, die die deutsche Gesellschaft nicht nur den Juden in Israel, sondern Juden in er ganzen Welt gezeigt hat."

Georg Restle: "Ein Satz eines deutsch-israelischen Mitbürgers, der eigentlich jeden in diesem Land sehr schmerzen müsste. Guten Abend und willkommen bei MONITOR. Fast einen Monat liegen die grausamen Terroranschläge der Hamas in Israel zurück. Der 7. Oktober, an dessen Abend das Brandenburger Tor in den Farben Israels erleuchtete. Als Zeichen der Trauer, als Zeichen der Solidarität mit der israelischen Bevölkerung und den Opfern der Hamas. Seitdem ist viel berichtet, diskutiert und gestritten worden in diesem Land, über das richtige Maß an Solidarität – mit Israel, aber auch mit den Palästinensern, die seit Wochen unter den Angriffen der israelischen Armee in Gaza leiden. Und viele fragen sich, muss man sich eigentlich für ein Lager entscheiden, wenn man nicht zwischen die Fronten geraten will – pro israelisch oder pro palästinensisch? Es scheint, als hätten es die Zwischentöne schwerer denn je, die nachdenklicheren Stimmen, die leiseren. Auch deshalb lassen wir sie heute hier zu Wort kommen. Eine deutsch-israelische und eine deutsch-palästinensische."

Trauer und Entsetzen in Deutschland nach dem 7. Oktober. Ein Tag, der nicht nur die Geschichte des Nahen Ostens verändern wird. Die Ermordung, Enthauptung, Vergewaltigung und Verschleppung von Männern, Frauen und Kindern – in Israel.

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Es kamen vor allem die ersten Anrufer aus Israel von meinen Kindheitsfreunden, von Familie, die erzählt haben von Menschen, die ich sehr gut kannte, mit denen ich aufgewachsen bin, die ermordet wurden, die ihre Kinder verloren haben. Und das am Anfang, das war einfach ein Schock. Noch eine Nachricht und noch eine Nachricht und noch eine. Und ich dachte, das kann doch nicht wahr sein."

Trauer und Entsetzen in Deutschland – auch unter Palästinensern. Seit Wochen fährt die israelische Armee massive Gegenangriffe. Selbstverteidigung ohne Feuerpause. Das erklärte Ziel, die Terrorzentralen der Hamas zu zerstören. Tausende Tote, die Zerstörung unvorstellbar.

Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin Bildungsorganisation Transaidency e. V.: "Diese schrecklichen Bilder zu sehen ist … hoch emotional, hoch verstörend und es macht mich tagtäglich fertig. Und auch ich muss in mich gehen, um, ja, mir Ruhemomente suchen, um nicht selbst, ja verrückt zu werden."

Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Seit Jahren kämpft er gegen Antisemitismus, aber auch für die Interessen der Palästinenser. Jouanna Hassoun, Deutsch-Palästinenserin, Trägerin des Landesverdienstordens Berlin. Beide stehen für Verständigung zwischen Juden und Palästinensern – gerade in Deutschland. Und sehen, dass Dialog kaum noch möglich ist, auch weil es an Empathie fehle, für das Leid auf beiden Seiten. Rund 80 Jahre nach dem Holocaust scheint angesichts des Mordes an über 1.400 Juden ausgerechnet in Deutschland wenig Platz für Trauer. Die Regierung stellt sich klar an die Seite Israels – Regierungserklärung, Staatsbesuche. Und die Gesellschaft? Nach zwei Wochen kommen ein paar Tausend zur zentralen Kundgebung in Berlin. In anderen Städten sind es oft nur ein paar Hundert. Für Juden in Deutschland folgte auf den Schock des Terrors die Leere in den Herzen.

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Diese Gleichgültigkeit und diese Entsolidarisierung mit unschuldigen Menschen, das ist etwas, das mich total umgehauen hat. Also diese menschliche Kälte hat mich so zurückgeworfen und ich fühlte mich total alleine in diesen Tagen und Wochen seitdem, weil kaum noch jemand aus der offenen Gesellschaft in der breiten Gesellschaft in der Lage war, einfach mitzutrauern. Einfach so zu begreifen, was eigentlich passierte."

Auf der anderen Seite prägen solche Bilder die Debatte: Demonstrationen mit Wut auf Israel, auch Antisemitismus. Nach Schätzungen leben in Deutschland rund 200.000 Palästinenser – dass viele vor allem Angst haben um Familien und Freunde, geht praktisch unter. Und auch sie fühlen sich allein gelassen. Das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen ist international hochumstritten. Vom Bundeskanzler keine Kritik.

Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin Bildungsorganisation Transaidency e. V.: "Ich spreche nicht für mich, sondern ich spreche für viele Palästinenser, die hier in diesem Land leben, die hier aufgewachsen sind und die sich überhaupt nicht gesehen fühlen, die sich auch in ihrem Schmerz nicht gesehen und anerkannt fühlen. Und wenn junge Menschen, junge palästinensische Menschen vor mir stehen und mir sagen, wir sind doch keine Hamas-Anhänger. Wir leiden einfach nur um unsere palästinensischen Geschwister. Und warum stellt sich ein Politiker oder eine Politikerin hin und spricht nicht über die palästinensischen Kinder? Haben die keinen Wert? Ist palästinensisches Leben weniger wert?"

Es ist, als müsste man sich entscheiden. Darf man den Terror vom 7. Oktober in den Kontext der israelischen Besatzungspolitik stellen? Und wenn man es tut oder den Stopp der Gegenangriffe mit Tausenden Toten fordert, macht man sich dann zum Feind Israels? Relativieren Medien den Horror auf der einen Seite, wenn sie über das Leid auf der anderen berichten?

Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin Bildungsorganisation Transaidency e. V.: "Wenn ich über palästinensisches Leid und auch über die Unterdrückung und über die Besatzung spreche, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass ich nicht sehe, dass es auch eine andere Seite gibt? Dass ich nicht sehe, dass auch Israel unter der Hamas leidet. Warum können wir das nicht gleichzeitig sehen? Warum kann ich nicht … das palästinensische Leben vor allem in Deutschland anerkennen und gleichzeitig auch das jüdische und israelische Leben anerkennen?"

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Wir haben damit zu tun, dass jedes Lager die absolute Wahrheit für sich beansprucht. Also wenn ich dann als Israeli die palästinensische Seite in den Forderungen unterstütze, dann liege ich nicht nur falsch, sondern ich bin auch gar Verräter, und diese Logik funktioniert in alle Richtungen und wir … Ohne zu merken wie,  wird man sozusagen abgedriftet in einem Lager oder dem anderen. Und das ist genau was, was die Debatte oder die Diskussion miteinander verunmöglicht."

Doch die Gräben werden tiefer und der Hass wächst. Davidsterne markieren wieder Hauseingänge, Antisemiten und Islamisten agitieren im Netz. Angriffe auf Moscheen, Rechte trommeln gegen Zuwanderung und natürlich für Abschiebung. Und Teile der linken Szene fordern, Palästina von der deutschen Schuld zu befreien – also weg mit der historischen Verantwortung.

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Wir erleben gerade, dass der Konflikt dort dazu genutzt wird, instrumentalisiert wird, um die polarisierenden und die radikalen Kräfte in dem Diskurs zu stärken. Sowohl jene, die von rechts einfordern, Migration aus muslimischen und arabischen Ländern zu stoppen als auch diejenige, die aus der linken Seite den Schlussstrich einfordern. Beides ist falsch.

Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin Bildungsorganisation Transaidency e. V.: " Deutschland ist meine Heimat. Ich kenne eigentlich keine andere Heimat außer Deutschland so richtig. Und die Frage ist, wenn das hier auseinanderbricht, wo hätte ich dann noch Platz?"

Der 7. Oktober wird die Geschichte des Nahen Ostens verändern. Aber haben wir verstanden, was der Terror und seine Folgen für die Gesellschaft in Deutschland bedeuten?

Prof. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank: "Das war eine Zerreißprobe. Und wenn ich das sagen darf, als Gesellschaft sind wir kläglich gescheitert in dieser Probe. Es hat uns entlarvt. Es hat sowohl palästinensische als auch jüdische Personen völlig allein gelassen in dieser Situation. Wir konnten als Gesellschaft nicht angemessen darauf reagieren. Wir konnten nicht solidarisch sein. Und wenn es so ist, dann habe ich das Gefühl, wir haben nicht nur das Problem dort. Das Problem ist hier unter uns."

Georg Restle: "Auch darum geht es. Dass Deutschland Heimat bleibt für die vielen Juden und Jüdinnen, Palästinenser und Palästinenserinnen hier im Land, die sich nicht genügend gesehen, nicht genügend repräsentiert fühlen. In diesen Tagen weniger denn je."

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Kommentare zum Thema

  • Alle wollen Krieg 15.11.2023, 03:22 Uhr

    Unsere us-abhängigen Regierungen, Politjournalisten in Europa sehnen sich für mich offensichtlich nach einem neuen Weltkrieg. Scheinbar wollen sie durch eine kriegerische Reduzierung von Menschen die Umwelt retten. Kritiker dieser ideologisch motivierten Kriegspolitik dürfen ihre Meinung dass die Kriege Gaza/Ukraine auf einem diplomatischen Weg über einen Waffenstillstand hinweg beendet werden müssen für einer Meinungsäußerung in den meist ideologisch grün-68er besetzten Medien ausgegrenzt. Zusätzlich drängen Politiker der NATO und US-Demokraten wieder einmal darauf Georgien in die EU/NATO zu holen, unberücksichtigt dessen dass die Russische Föderation es als eine weitere Sicherheitsbedrohung gegen sich empfindet. Die USA fährt an den iranischen Küstengewässern verstärkt ihre Marine auf. Gleiches geschieht im chinesischen Meer. Unsere Bundesregierung glaubt mit unserer 180.000 starken Bundeswehr die mit 1,3 Millionen Soldaten starke Atommacht Russland „abschrecken“ zu können. Irre!

  • Alle wollen Krieg 15.11.2023, 03:22 Uhr

    Unsere us-abhängigen Regierungen, Politjournalisten in Europa sehnen sich für mich offensichtlich nach einem neuen Weltkrieg. Scheinbar wollen sie durch eine kriegerische Reduzierung von Menschen die Umwelt retten. Kritiker dieser ideologisch motivierten Kriegspolitik dürfen ihre Meinung dass die Kriege Gaza/Ukraine auf einem diplomatischen Weg über einen Waffenstillstand hinweg beendet werden müssen für einer Meinungsäußerung in den meist ideologisch grün-68er besetzten Medien ausgegrenzt. Zusätzlich drängen Politiker der NATO und US-Demokraten wieder einmal darauf Georgien in die EU/NATO zu holen, unberücksichtigt dessen dass die Russische Föderation es als eine weitere Sicherheitsbedrohung gegen sich empfindet. Die USA fährt an den iranischen Küstengewässern verstärkt ihre Marine auf. Gleiches geschieht im chinesischen Meer. Unsere Bundesregierung glaubt mit unserer 180.000 starken Bundeswehr die mit 1,3 Millionen Soldaten starke Atommacht Russland „abschrecken“ zu können. Irre!

  • Alle wollen Krieg 15.11.2023, 03:22 Uhr

    Unsere us-abhängigen Regierungen, Politjournalisten in Europa sehnen sich für mich offensichtlich nach einem neuen Weltkrieg. Scheinbar wollen sie durch eine kriegerische Reduzierung von Menschen die Umwelt retten. Kritiker dieser ideologisch motivierten Kriegspolitik dürfen ihre Meinung dass die Kriege Gaza/Ukraine auf einem diplomatischen Weg über einen Waffenstillstand hinweg beendet werden müssen für einer Meinungsäußerung in den meist ideologisch grün-68er besetzten Medien ausgegrenzt. Zusätzlich drängen Politiker der NATO und US-Demokraten wieder einmal darauf Georgien in die EU/NATO zu holen, unberücksichtigt dessen dass die Russische Föderation es als eine weitere Sicherheitsbedrohung gegen sich empfindet. Die USA fährt an den iranischen Küstengewässern verstärkt ihre Marine auf. Gleiches geschieht im chinesischen Meer. Unsere Bundesregierung glaubt mit unserer 180.000 starken Bundeswehr die mit 1,3 Millionen Soldaten starke Atommacht Russland „abschrecken“ zu können. Irre!