Monitor Nr. 626 vom 06.10.2011

Griechenland: Wie die Banken den überfälligen Staatsbankrott hinauszögern

Bericht: Stephan Stuchlik, Kim Otto

Griechenland: Wie die Banken den überfälligen Staatsbankrott hinauszögern Monitor 06.10.2011 08:27 Min. Verfügbar bis 06.06.2999 Das Erste

Sonia Seymour Mikich: "Griechenland rutscht in den Abgrund, trotz aller Sparmaßnahmen - eine Tragödie. Fast zwei Jahre lang gab es Gipfeltreffen nach Gipfeltreffen und immer größere Rettungsschirme, um genau zu vermeiden, was jetzt eintritt. Eine Pleite Griechenlands bedeute das Ende Europas, wird uns weiterhin eingetrichtert - wie ein Glaubensartikel. Aber bringen wir mal etwas Wirklichkeit in den Glaubenskrieg. Schon 2009 kannten alle Akteure die Lage in Griechenland. Stephan Stuchlik und Kim Otto über die Profiteure einer gewaltigen Insolvenzverschleppung."

Hier beobachtet man die Euro-Rettung mit Spannung: An der Düsseldorfer Börse werden griechische Wertpapiere gehandelt. In diesem Handelsraum wechseln täglich Millionenwerte, zum Teil im Sekundentakt den Besitzer. Krise heißt gutes Geschäft, der Handel mit griechischen Anleihen boomt. Für Cheftrader Florian Weber und seine Kollegen steht längst fest, dass Griechenland nicht mehr zu retten ist. Aus Webers Sicht ist es absurd, dass die Politik mehr und mehr Geld in den Rettungsfonds pumpt.

Florian Weber, Bankhaus Schnigge | Bildquelle: wdr

Florian Weber, Handelsvorstand Bankhaus Schnigge: "Die Börse geht von einem Schuldenschnitt aus, tatsächlich, und man rechnet derzeit damit, dass dieser Schuldenschnitt etwa 50 % ausmacht. Das heißt, Anleger bekommen nur noch 50 % ihrer ursprünglich gezahlten Summe einmal wieder." Die Griechenland-Pleite wird kommen, die Händler haben sie sogar schon in die Aktienkurse eingerechnet. Wie sie aussehen könnte, dafür haben Experten schon lange ein Szenario.

Prof. Max Otte, Finanzwissenschaftler, Universität Graz | Bildquelle: wdr

Prof. Max Otte, Finanzwissenschaftler, Universität Graz: "Ein 50-prozentiger Schuldenschnitt wäre ohne weiteres machbar, diese Schulden lagern bei griechischen Banken, bei anderen Finanzdienstleistern in Europa, in der Welt. Diese Banken müssten Verluste einstecken, ja. Und dort, wo eine Bank ins Straucheln gerät, müssten wir sie stützten, aber erst dann. Wir müssten die Sparer schützen, aber eben nicht die Anteilseigner dieser Banken und die Gewinne der Banken. Es würde uns 50 bis 60 Milliarden kosten, das wäre viel billiger als die Hunderte von Milliarden, die wir jetzt an Risiken eingehen."

Das alles hätte man schon vor Jahren machen können. Athen, 10. Dezember 2009. Der neue griechische Regierungschef Papandreou begann seine Amtszeit mit einem Kassensturz, die Ergebnisse waren dramatisch.

Giorgos Papandreou, griechischer Ministerpräsident (10. Dezember 2009) (Übersetzung MONITOR): "Griechenland befindet sich in einer Wirtschaftskrise, die ohne Beispiel ist. Korruption und Steuerverschwendung haben zu einer katastrophalen Haushaltslage geführt, in der ich mich entschlossen habe, den Präsidenten um die Bildung einer Krisenallianz zu bitten."

Eine Bankrotterklärung. Die logische Folge wäre eine sofortige Insolvenz gewesen. Doch bei einer sofortigen Pleite hätten die Banken das ganze Risiko allein getragen, denn sie besaßen die meisten griechischen Staatsanleihen. Cheflobbyist Ackermann rät in der Öffentlichkeit immer wieder, Griechenland nicht pleitegehen zu lassen.

Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank (13. Mai 2010) | Bildquelle: wdr

Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank (13. Mai 2010): "Wir müssen Griechenland stabilisieren, weil es allein, wenn Griechenland jetzt fallen würde, mit großer Sicherheit auch auf die anderen Länder übergreifen wird und das wäre dann mit einer viel größeren Problematik, einer Art Kernschmelze verbunden."

Kernschmelze, ein Horrorszenario: Was Ackermann verschweigt, die angebliche Ansteckungsgefahr wäre nach Meinung von Experten beherrschbar.

Prof. Max Otte, Finanzwissenschaftler, Universität Graz: "Wir könnten eine Umschuldung, also einen 50-prozentigen Schuldenschnitt in Griechenland locker aushalten, die Instrumente sind da, das ist keinesfalls ein zweites Lehmann, das ist viel, viel weniger. Aber es ist auch klar, was Ackermann hier macht. Er macht Interessenpolitik für den Finanzsektor, um die Risiken, die die Banken noch in Griechenland haben, auf Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu übertragen."

Doch Ackermanns Horrorszenario zeigt Wirkung, die Pleite wird bis heute hinausgeschoben. Tatsache ist, die Banken verdienen mit jedem Tag, den die Griechenland-Pleite auf sich warten lässt, und zwar gleich mehrfach. Zum ersten Mal dadurch, dass sie der griechischen Regierung halfen, ihre wackeligen Staatspapiere am Markt zu platzieren - in der Krise ein lukratives Geschäft.

Florian Weber, Handelsvorstand Bankhaus Schnigge: "Das heißt, die Banken werden für ihre Tätigkeit, Anleger zu finden, die Griechenland-Anleihen kaufen, bezahlt. Und da die Arbeit schwerer ist als in normalen Zeiten, bekommen diese Banken durchaus Beträge zwischen 3 und 5 %."

So kassierte eine Bankengruppe, darunter die Deutsche Bank, geschätzte 400 Millionen Euro Provision dafür, dass sie marode Griechenland-Anleihen in Milliardenhöhe auf dem Markt platzierte.

Brüssel, 25. März 2010. Eines von zig Treffen der Staats- und Regierungschefs. Wieder wurde ein neuer Rettungsschirm vorbereitet, wieder keine Insolvenz Griechenlands. Mit dem Zögern der Politik kann man prima Geschäfte machen, im Kleinen demonstriert Harald Schumann vom Tagesspiegel das am Wohnzimmertisch. Das Geschäft, an dem die Banken verdienen, ist geradezu idiotensicher. Die billigen Griechenland-Anleihen steigen im Wert und zwar regelmäßig nach jedem Eurogipfel.

Harald Schumann, Redakteur Der Tagesspiegel | Bildquelle: wdr

Harald Schumann, Redakteur Der Tagesspiegel: "Und ich wusste, nach dieser Garantieerklärung durch die Eurozonen-Staaten sind die fast so wertvoll wie Bundesanleihen, die müssen im Kurs wieder steigen. Und darum habe ich meine Reserven genommen und hab die einfach in eine griechische Staatsanleihe investiert, die ein knappes Jahr später auslief, bei 88 % habe ich gekauft und es ist auch genau gekommen, wie ich erwartet habe. Innerhalb von zehn Tagen stieg der Kurs auf 95 %, und damit hatte ich ungefähr meinen Anteil wieder verdient."

Genauso zocken auch Investmentbanker vor den Eurogipfeln, nur eben im großen Stil.

Florian Weber, Handelsvorstand Bankhaus Schnigge: "Wer in der Hoffnung darauf, dass es positive Entscheidungen pro Griechenland-Rettung gibt, der konnte mit entsprechend hohen Millionensummen Anleihen kaufen und nach dieser positiven Entscheidung von der Kurserholung profitieren und damit selber durchaus ordentliche, teilweise bis in die Millionen gehende Gewinne erzielen."

Die Deutsche Bank will sich zu diesen Geschäften nicht äußern, wir kennen nur ihre Gewinnzahlen: 2009: 5,2 Milliarden Euro; 2010: 4 Milliarden Euro; und allein im ersten Quartal 2011 waren es 3 Milliarden Euro. Das wäre auch genug, um einen angemessenen Anteil an den Krisenkosten zu übernehmen. Doch Ackermann wollte die Griechenland-Pleite weiter vermeiden und machte Zugeständnisse. Man werde die griechischen Schrott-Anleihen nicht mehr verkaufen, versprach er dem deutschen Finanzminister, der Bankenverband gebe dazu eine Selbstverpflichtung.

Josef Ackermann, Chef Deutsche Bank, (4. Mai 1010): "Deshalb sind wir alle freiwillig - übrigens in einem sehr kooperativen Geiste - bereit, hier zu unterstützen."

Fakt ist: Die Banken stießen trotzdem im Folgenden Papiere und Risiko ab, während das Risiko der Steuerzahler wuchs. Die deutschen Banken haben bei ihnen bis heute 6 Milliarden Euro Anleihen entsorgt - Schrottpapiere.

Prof. Max Otte, Finanzwissenschaftler, Universität Graz: "Die Selbstverpflichtungserklärung war ein sehr geschickter Schachzug der Finanzbranche, die sich nachher nicht dran gehalten hat, was fast klar war. Man hat also die Zeit genutzt, um die Risiken dann doch abzugeben und beim Steuerzahler zu lagern und hier hätte die Politik Maßstäbe vorgeben müssen, und nicht auf eine Selbstverpflichtung der Finanzbranche vertrauen dürfen."

Doch sucht die Politik gerade den Rat der Finanzbranche, die sie eigentlich regulieren soll. Ackermann in der Unions-Fraktion, wieder sein Mantra: Kein Default, also keine Pleite Griechenlands.

Josef Ackermann, Chef Deutsche Bank, (29. Juni 2011): "Wenn Griechenland in Default geht, dann haben wir eine Verwerfung in Europa, die andere Länder schnell erfassen kann, die weit über das hinausgeht, was Lehmann für uns bedeutet hat."

Brüssel, 21. Juli 2011, der nächste Krisengipfel. Angela Merkel versprach, wenigstens jetzt die Banken zur Rettung Griechenlands heranzuziehen, eine Pleite wurde wieder hinausgeschoben. Oberlobbyist Josef Ackermann saß bei diesem Treffen wieder mit am Tisch und verkündete dann, die Banken müssten jetzt kräftig bluten.

Josef Ackermann, Chef deutsche Bank, (21. Juli 2011): "Ja, das trifft uns hart, das sind Abschreibungen von 21 Prozent, die wir auf die Positionen vornehmen, also auf die griechischen Positionen."

Die Grünen im Bundestag haben diese angeblichen 21 % Verlust der Finanzbranche nachgerechnet. Ergebnis: Die Banken kommen viel besser weg.

Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN | Bildquelle: wdr

Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: "Die Gläubigerbeteiligung, die jetzt aber vorgesehen ist für die Banken, so 21 % Abschlag erzielen. Wenn man sich aber anschaut, was seither in den Märkten passiert ist, dann sind die Werte verändert und es kommt wahrscheinlich noch nicht einmal zu einer Hälfte von den 21 %."

Jahrelang hat es die Finanzindustrie verstanden, die Griechenland-Pleite hinauszuschieben. Für sie ein gutes Geschäft, Milliarden-Gewinne wurden gemacht. Für alle anderen wäre es besser gewesen, bereits vor zwei Jahren den Schlussstrich zu ziehen.

Prof. Max Otte, Finanzwissenschaftler, Universität Graz: "Dann wären die Gläubiger angemessen beteiligt gewesen und zwar in einer Zwangssituation, wo die Politik die Regeln macht, das hätte Europa vielleicht 50, 70 Milliarden gekostet. Nicht einfach, aber machbar und hätte uns Hunderte Milliarden an Risiken erspart."

So hat die deutsche Regierung die Risiken der Finanzbranche auf die Bürger abgewälzt, während die Banken riesige Gewinne machten. Griechenlands Pleite wurde verschleppt, die deutsche Politik hat dabei den Helfershelfer der Finanzindustrie gegeben.

Buchtipps:

Max Otte, Stoppt das Euro-Desaster!
(Ullstein, ISBN: 3550088965)

Max Otte, 4 nach 12: Die Lehren für die Wirtschaft - was wir jetzt ändern müssen
(Hörbuch, Campus, ISBN: 3593395541)