Doppelpass: Chance oder Gefahr? Monitor 27.07.2017 08:04 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR vom 27.07.2017

Doppelpass: Chance oder Gefahr?

Bericht: Naima El Moussaoui

Georg Restle: „Hallo. Hallo und willkommen mitten aus Köln, zu einer ganz besonderen Ausgabe von Monitor. Vielen Dank! Sie sehen, wir haben Gäste dabei. Ja, diese Sendung ist ein Experiment, und für viele ganz sicher auch eine Provokation. Zwei Monate vor der Bundestagswahl wollen wir nämlich fragen: Warum dürfen rund acht Millionen Menschen, die hier in Deutschland leben, nicht wählen? Menschen, die hier arbeiten, Steuern zahlen, von denen viele sogar hier geboren sind. Aber eben keinen deutschen Pass haben. Klar, werden Sie jetzt sagen, wählen soll in Deutschland nur, wer auch Deutscher ist. Tja, wenn das mal so einfach wäre. Für viele Ausländer, die hier leben, heißt es nämlich immer noch, wenn du einen deutschen Pass haben willst, musst du erst mal deinen alten Pass abgeben. Und auch in Zukunft soll der Doppelpass eher die Ausnahme bleiben. CDU und CSU wollen die Voraussetzungen dafür sogar deutlich einschränken. Naima El Moussaoui hat eine deutsch-türkische Familie getroffen, die ihnen jetzt mal zeigt, wie schwer das sein kann, sich entscheiden zu müssen und wie gerne sie wählen würden.“

Köln-Buchheim. Jeden Sonntag trifft sich Familie Özdemir zum gemeinsamen Essen. Die Tochter hat zum Grillen eingeladen. Die Eltern kamen vor 50 Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Der Vater studierte hier Maschinenbau und machte sich selbstständig. Alle Kinder sind in Köln geboren, studieren und arbeiten hier. Zuhause - das ist für sie alle Köln. Aber immer wieder sollen sie sich entscheiden: Seid ihr Deutsche oder Türken?

Ufuk Varol: „Wenn man Ihnen die Frage stellen würde, wen Sie mehr lieben, Ihren Vater oder Ihre Mutter, und müsste zu Ihnen sagen, entscheiden Sie sich für eine Seite, und die andere Person sehen Sie nie wieder. Was würde das Kind oder auch ein 21Jähriger heutzutage sagen? Wahrscheinlich ich möchte mich für keine der Seiten entscheiden.“

Sich entscheiden, bekennen müssen, das sei nicht einfach. Ein Teil der Familie hat den türkischen, der andere den deutschen Pass. Nur der kleine Alptekin darf beide Staatsbürgerschaften haben. Alle anderen mussten sich entscheiden. Vater Mitat hätte auch gern beide Pässe, aber das geht nicht. Deshalb hat er sich für den türkischen Pass entschieden.

Mitat Özdemir: „Ich möchte auch so ein Stückchen Türke bleiben. Auf jeden Fall auch Deutscher. Und dieses Gefühl kann ich nicht besprechen, also ausdrücken. Das ist eben innen drin.“

Den Özdemirs ist Politik wichtig. Sie verfolgen die Debatten und wollen sich einbringen. Ein Wahlrecht sei dafür ganz zentral und Wählen für sie eine Pflicht. Am liebsten in Deutschland, weil sie hier leben und hier betroffen sind. Doch zwei der Söhne und der Vater dürfen nicht zur Wahl.

Mitat Özdemir: „Meine Familie geht wählen und ich bleibe zu Hause. Oder ich fahre sie dann hin, bleibe ich draußen. Also gehörst du nicht dazu. Und das ist schmerzlich.“

Cem Özdemir: „Wenn man das so betrachten möchte, Deutschland als Team, und man ist ein Teammitglied hier, man zahlt Steuern, leistet seinen Beitrag dazu, geht arbeiten, geht zu einer Ausbildung, macht ein Studium zu Ende. Und dann sagt man, man darf nicht wählen. Das ist dann so, ja … darfst nicht mitspielen. Aber darfst gerne deinen Beitrag zuzahlen.“

Die Özdemirs verstehen nicht, warum man nicht beide Pässe haben kann. Damit dürften sie dann alle im Team Deutschland mitspielen, ihre Stimme abgeben.

Ufuk Varol: „Wenn man Integration hier fördern will, dann sollte man dazu stehen, dass auch die doppelte Staatsbürgerschaft weiterhin bestehen bleibt. Ansonsten wird man die Ausländer hier in Deutschland verlieren.“

Doch in Berlin geht die Diskussion in eine ganz andere Richtung. Vor allem Unionspolitiker wollen das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft wieder einschränken.

Christian Baldauf, CDU Rheinland Pfalz: „Wir als CDU sagen: Schluss mit dem Doppelpass.“

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister (CDU): „Dann gilt nur noch die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem man geboren ist. Also, wenn die Kinder in Deutschland geboren sind, haben sie nur die deutsche Staatsbürgerschaft.“

Hermann Gröhe, Bundesgesundheitsminister (CDU), 08.05.2017: „Ein hier zugewanderter Arbeitsmigrant, der Deutscher werden kann und will, der muss seine angestammte Staatsangehörigkeit aufgeben.“

Eine Forderung, die vor allem auch aus Bayern kommt. Der innenpolitische Sprecher der Union nennt dafür auch außenpolitische Gründe.

Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher CDU/CSU: „Ich sehe bei der derzeitigen Regelung durchaus die Gefahr, dass es im Einzelfall - wie beispielsweise gerade derzeit angesichts des angespannten, bilateralen Verhältnisses zwischen Deutschland und der Türkei dazu kommen kann, dass in Deutschland lebende Türken instrumentalisiert werden. Beispielsweise vom türkischen Präsidenten Erdogan, der die türkische Gemeinde in Deutschland als seine Bastion empfindet und den einen oder anderen mit Sicherheit auch hier dann als willfähriges Werkzeug von sich erachtet.“

Willfähriges Werkzeug? Für Sefariye Eksi gilt das sicherlich nicht. In den 80ern ist sie als Oppositionelle aus der Türkei geflüchtet. Auch aktuell sieht sie die Entwicklungen dort kritisch. Heute fordert sie mit einer Kampagne das Wahlrecht auch für Ausländer. Denn Wählen bedeute Integration. Und die liegt ihr besonders am Herzen. Für ihr politisches Engagement hat sie sogar die Integrationsmedaille der Bundesregierung bekommen. Eine hohe Anerkennung, aber eben kein Wahlrecht. Doch was halten sie und ihre Freunde davon, dass dann auch Türken in Deutschland wählen dürften, die den türkischen Präsidenten Erdogan unterstützen, sogar dessen Forderung nach einer Todesstrafe.

Reporterin: „Es gibt das Argument, wenn alle Türken hier mitwählen dürfen, dann dürfen auch die AKP-Anhänger hier mitwählen. Und dann könnte das eben den Einfluss auch von Erdogan in Deutschland vergrößern. Was sagen Sie denn dazu?“

Sefariye Eksi: „Man kann ein Recht nicht davon abhängig gemacht werden, wofür dieses Recht benutzt werden können. Deswegen das ist eine freie Wahl - ob ich denn eine rechte, eine linke, eine mittlere auswähle, soll gar kein Diskussionsthema sein. Das ist freie, demokratische Wahl. Jeder Mensch muss wissen, an wen dass sie wählen oder ihre Interessen vertritt.“

Und ohne Wahlrecht würden Menschen wie sie alle nie ganz dazu gehören.

Sefariye Eksi: „Wahlrecht soll nicht von einem Pass abhängig gemacht werden, sondern Wahlrecht muss davon abhängig sein, wo man lebt. Wo man ihre Füße auf den Boden ist, wo man ihre Probleme ist. Davon muss abhängig sein, in welchem Land, dass ich wählen darf.“

Georg Restle: „Ja, ein radikaler Standpunkt. Bei mir sitzt jetzt Ufuk Varol. Wir haben ihn gerade im Beitrag gesehen. Teil einer großen deutsch-türkischen Familie, in der es alle Varianten gibt, deutsche Pässe, türkische Pässe, Doppelpässe. Was sagen Sie denn dazu, soll man wählen können, wo man lebt oder soll das vom Pass abhängen.“

Ufuk Varol: „Also ich bin der Meinung, dass prinzipiell selbstverständlich das Geburtsrecht, also sprich, wenn man hier geboren ist, dass man von vorneherein auch wählen darf, unabhängig, welchen Pass man besitzt. Weil letztendlich wächst man hier auf, man integriert sich im besten Fall in die Gesellschaft, in der man auch lebt. Und dementsprechend sollte man das auch mitformen können.“

Georg Restle: „Es gibt ja viele, die - das haben wir im Beitrag auch gesehen - befürchten, dass wenn es ein Wahlrecht für Ausländer gibt, gerade bei den Türken, die hier leben, möglicherweise der Einfluss von Herrn Erdogan oder von radikalen Kräften in der Türkei hier in Deutschland stärker werden könnte. Was sagen Sie denen?“

Ufuk Varol: „Also meiner Meinung nach ist das vollkommener Quatsch, weil wenn man wirklich Angst davor hätte, könnte man das sowieso nicht verhindern. Weil dann könnte man auch hingehen und sagen, alle diese türkischen Bürger, also sprich mit türkischen Pässen, tretet doch über zum deutschen Pass und tut trotzdem das, was ich euch sage. Also letztendlich, wenn man das unbedingt wollen würde, würde man das auch schaffen. Aber ich glaube fest daran, dass die türkischen Bürger oder mit türkischem Migrationshintergrund, klug genug sind, auch hier die Wahl zu wählen, die für sie selber in diesem Land auch am besten ist.“

Georg Restle: „Okay, klarer Standpunkt, vielen Dank.“

Kommentare zum Thema

  • helga.weiss@t-online.de 24.05.2023, 13:27 Uhr

    Sehr geehrter Herr Restle. Ich bin immer sehr interessiert an Ihren Beiträgen in Monitor. Ich glaube jedoch, dass es mittlerweile sehr sinnvoll wäre auf die Gefahren hinzuweisen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft (siehe China und Türkey) mit sich bringen kann. Gerade bei der am Sonntag laufenden Stichwahl können, die in Deutschland Lebenden 1, 5 Mill. Türken das autokratische System Erdogan wählen, wobei sie hier den europäischen Rechtsschutz etc. genießen. Die Einflußnahme dieser Deutsch-Türken kann verheerende Folgen für die EU, die Nato,Schweden , Deutschland und auch anderer Staaten haben. Ich erwarte von Ihnen eine kritische Stellungnahme. MfG. Helga WeissAm Forst 41, 64807 Dieburg

  • M.K. 18.08.2017, 11:14 Uhr

    Die Redaktion entscheidet darüber was ein Netiquetteverstoß, was Propaganda, was Hetze und was populistisch ist. Somit kann jeder Beitrag welcher nicht mit den ideologischen Vorstellungen der Redakteure übereinstimmt wegen einem angeblichen Netiquetteverstoß abgewiesen werden. Für hiesige Teilnehmer ist die Kontrolle ob ein Beitrag gegen die Netiquette verstoßen hat oder nicht leider nicht möglich. Ein Hervorheben der eigenen politischen Ideen und ein Abweisen von politischen Ideen anderer in einem Blog oder Forum, das bringt in populistischer Art die eigene politische Überzeugung unter das Volk. -> Antwort der Redaktion: Wir freuen uns über Meinungen und eine offene Diskussion hier im Forum. Es findet keine Zensur statt!

  • Christian Schreier 18.08.2017, 07:05 Uhr

    Habe den Beitrag eben gesehen - unter Schmerzen... Wer an einem Ort seiner Wahl lebt, muss ! sich auch für deren Ideologie, Kultur, Sprache usw. unterwerfen ! Anders wird es nicht funktionieren. Wir leben noch nicht in einer "Star Trek - Welt" in der der 3.Weltkrieg vorbei ist und in der es kein Geld mehr gibt. Die Realität auf diesem Planet ist eine andere. Kurz um - Man muss sich entscheiden. Und wer hier studiert und solch schlechte Aussprache hat... ein Jammer ! Na dann - Prost - Meine Generation wird entscheiden 20-30...