Porträt Jürgen Rüttgers

Zwischen den Fronten

Neue Pokerrunde zum Kohleausstieg

Stand: 01.02.2007, 14:36 Uhr

Bei den Verhandlungen über den Kohle-Ausstieg fühlt sich NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vom Bund über den Tisch gezogen. Der Düsseldorfer Regierungschef fürchtet, dass Nordrhein-Westfalen am Ende auf den "Ewigkeitskosten" für den Bergbau sitzen bleibt. Jetzt stellt er den Kohle-Kompromiss infrage.

Von Johannes Nitschmann

Der Sprengsatz aus Düsseldorf kam per E-Mail. Mit "Wichtigkeit: Hoch" mailte Patrick Opdenhövel, Abteilungsleiter in der NRW-Staatskanzlei, am Dienstag (30.01.2007) um 20:48 Uhr an das Bundeswirtschaftsministerium. In der Anlage der E-Mail war "die Formulierung des Landes Nordrhein-Westfalen" für das Eckpunktepapier zum Kohleausstieg. Der Bund und die beiden Kohleländer NRW und das Saarland, heißt es in dem Formulierungsvorschlag, "haben sich darauf verständigt, die subventionierte Förderung der Steinkohle in Deutschland bis 2014 sozialverträglich zu beenden".

Damit hat Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) den zuvor von der Berliner Regierungskoalition für die staatliche Kohleförderung ausgehandelten Endpunkt von 2018 um vier Jahre vorgezogen. Der sozialdemokratische Koalitionspartner schäumt. "Er ist und bleibt unseriös", echauffiert sich der SPD-Wirtschaftsexperte und Bielefelder Bundestagsabgeordnete Reiner Wend über Rüttgers. Es sei "nicht das erst Mal", dass Ministerpräsidenten sich "ins Getriebe" der Großen Koalition würfen. Der Düsseldorfer Regierungschef versuche Lasten vom Land auf den Bund abzuwälzen, klagte Wend. Für SPD-Generalsekretär Hubertus Heil ist Rüttgers "schamlos, verantwortungslos und rücksichtslos". Die CDU müsse ihren NRW-Ministerpräsidenten "jetzt in den Griff bekommen" und dürfe das Kompromisspaket zum Kohleausstieg "nicht mehr aufschnüren", verlangte Heil.

"Wie ein schlechter Vater"

Rüttgers wiederum fühlt sich vom Bund und dessen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück ausgetrickst. In der Koalitionsrunde am Montagabend war offenbar verabredet worden, dass für die so genannten "Ewigkeitskosten" des Bergbaus (neben den Pensionslasten fallen darunter die Regulierung der großflächigen Berg- und Wasserschäden) alleine das Land NRW haften solle. Dies stellte für Rüttgers offenbar eine fundamentale Veränderung der bisherigen Verhandlungsgrundlage dar. Bislang war der Ministerpräsident wohl davon ausgegangen, dass der Bund und die beiden Kohleländer NRW und Saarland in einem "Erblastenvertrag" jeweils zur Hälfte die Haftung übernehmen.

Politischen Flankenschutz bekommt Rüttgers von den Grünen. Dass der Bund sich der Haftung für die Altlasten entziehen wolle, sei "unanständig hoch drei", empört sich der Fraktionsvize der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Reiner Priggen. "Der Bund handelt wie ein schlechter Vater, der seine Alimente nicht zahlen will." Bei diesem "unanständigen Angriff auf NRW" habe Rüttgers "die Notbremse" gezogen, mutmaßt der grüne Kohleexperte Priggen. Mit seiner Forderung nach einem Kohleausstieg in 2014 wolle er offenkundig die Verhandlungsposition Nordrhein-Westfalens gegenüber dem Bund verbessern. Zunächst einmal aber ist Rüttgers politisch in die Defensive geraten. Öffentlich steht er jetzt als "Stänkerer" und "Querulant" da, der den von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) längst abgesegneten Ausstiegsdeal mit neuen Forderungen befrachtet und hintertreibt. Selbst CDU-Strategen in Düsseldorf lasten der Landesregierung bei dem Kohle-Poker "schwere Kommunikationsfehler" an.

Streit um die "Ewigkeitskosten"

Nach am Sonntagabend (28.01.2007) hatte Rüttgers vor Kameras und Mikrophonen den Eindruck erweckt, dass er mit einem Ausstiegsdatum 2018 durchaus leben könne. Seine Parteifreunde in NRW sprachen erleichtert von "einem Durchbruch". Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte Rüttgers öffentlich deutlich machen müssen, dass der Kohle-Kompromiss für NRW nur bei einer beidseitigen Haftung von Bund und Kohleländern für die "Ewigkeitskosten" beim Bergbau akzeptabel sei. Doch wirklich offensiv und öffentlichkeitswirksam hatte Rüttgers diese Verhandlungsposition nicht vertreten. Für ihn war dies offenbar eine Selbstverständlichkeit.

Die Höhe der "Ewigkeitskosten" ist derzeit kaum kalkulierbar. Bei der RAG - dem ehemaligen Ruhrkohlekonzern - gibt es derzeit Rücklagen für Pensionen in Höhe von etwa sechs Milliarden Euro. Mit dem geplanten Börsengang der profitablen RAG-Sparten Chemie, Kraftwerke und Immobilien sollen etwa fünf Milliarden Euro erlöst werden. Die insgesamt elf Milliarden Euro sollen in eine Bergbaustiftung fließen und bis zum Kohleausstieg im Jahre 2018 weitere drei Milliarden Euro Zinsen bringen. Mit dem dann auf 14 Milliarden Euro angewachsenen Stiftungsvermögen müssten sämtliche Altlasten des Bergbaus beglichen werden. Nicht nur die Grünen bezweifeln, dass diese Rechnung am Ende aufgeht. Deshalb müsse der Bund in die Mithaftung für Pensionen, Berg- und Wasserschäden genommen werden, verlangen CDU, Grüne und FDP unisono. Lasse er das Land NRW dabei alleine, droht der grüne Kohleexperte Priggen gegenüber WDR.de, werden wir dagegen mit einer Verfassungsklage vorgehen.