Einbrecher im Auto eingesperrt: "Sie ist ohne Schuhe, im Schlafshirt hinterher"
Siegen-Wittgenstein | Verbrechen
Stand: 19.09.2023, 11:18 Uhr
Immer wieder kommt es auch auf offener Straße zu Verbrechen. Meistens greift aber keiner ein. Ausgerechnet eine 26- und eine 27-Jährige haben das mit vollem Körpereinsatz getan. Wie kommt man zu diesem Mut? Wir haben mit ihnen darüber gesprochen.
Von Hanna Makowka
"Lasst mich doch einfach raus", fleht der junge Mann in die Nacht hinein. Er sitzt auf dem Fahrersitz eines Autos und redet auf die beiden Frauen ein, die mit ihren vier Händen gegen die Autotür drücken. "Bitte", drängt er und drückt gegen die Tür. "Wir können dich doch nicht einfach gehen lassen. Du hast hier überall eingebrochen", entgegnet eine von ihnen. Es ist die 26-jährige Joana Krawinkel. Ohne Schuhe und nur im Schlafshirt steht sie da an diesem Auto, und versucht einen Einbrecher in Schach zu halten. Neben ihr ihre 27-jährige Freundin Jana Bargmann. Immerhin vollbekleidet.
Wer verstehen will, wie die beiden jungen Frauen mitten in der Nacht in diese Position kommen, muss ein paar Stunden früher beginnen: Jana Bargmann kommt in dieser Nacht gegen 2 Uhr morgens nach Hause in ihre gemeinsame WG in Siegen. Vor der Haustür steht das Auto ihrer Mitbewohnerin, Joana Krawinkel. Das ist eigentlich nicht ungewöhnlich, nur die Türen des Autos stehen offen. "Erst habe ich gedacht, sie wäre einfach ein bisschen verpeilt gewesen", erzählt Bargmann. Doch dann sieht die Studentin, dass das Auto nicht nur offen steht, sondern auch durchwühlt aussieht. Auch der Tankdeckel steht offen, erinnert sie sich. "Da habe ich gedacht: Das ist nicht normal."
Irgendwas stimmt hier nicht
Bargmann geht ins Haus, will fragen, was es mit den offenen Türen auf sich hat. Aus dem Wohnzimmerfenster fällt ihr Blick auf die Garage des Wohnkomplexes. Dort ist das Licht an, mitten in der Nacht. "Wir haben einen Bewegungsmelder. Es hätte also auch einfach ein Tier sein können." Aber ein seltsames Gefühl lässt sie nicht los. Als sie ihre Mitbewohnerin weckt, um mit ihr darüber zu sprechen, reagiert Krawinkel völlig erschrocken. An ihrem Auto war sie seit Stunden nicht.
Blick aus dem Fenster auf die Autos
Die beiden realisieren: Irgendetwas stimmt nicht. Bargmann fällt ein, dass sie beim Betreten des Hauses aus den Augenwinkeln eine Person gesehen hat - im ersten Moment unauffällig, es hätte ein Nachbar sein können. Doch jetzt wird ihr klar: Das könnte auch ein Einbrecher gewesen sein. Sofort laufen die beiden Frauen aus dem Haus. "Ich bin ein bisschen vorgerannt", sagt Bargmann. "Denn Joana lag ja noch im Bett. Sie ist dann ohne Schuhe und nur im Schlafshirt hinterher. Das war eine Kurzschlussreaktion", meint Bargmann. In dem Moment überlegt sie noch, ob sie eine Glasflasche oder ein Messer mitnimmt, um sich verteidigen zu können. Entscheidet sich aber dagegen.
Freundinnen überwältigen Einbrecher
Bargmann und Krawinkel rennen los. Rüber zum Nachbargrundstück, wo sie den Einbrecher vermuten. Und tatsächlich sehen sie dort, wie ein Mann ein Auto durchsucht. "Er sah mich kommen und wollte flüchten" - aber da steht Bargmann schon vor der Tür. Sie zögert nicht lange und tritt ihn mit dem Fuß zurück ins Auto, "ich habe ihn bewusst getreten und nicht geschubst, damit ich nicht zu nah an ihn rankomme."
Dann drücken die beiden Freundinnen mit vereinter Kraft ihre Hände gegen die Autotür. Etwas anderes bleibt nicht. Es ist ein fremdes Auto, zu dem sie keinen Schlüssel haben. Mit Erfolg und etwas Glück sitzt der Täter in der Falle. "Wir hatten nicht das Gefühl, dass er seine ganze Kraft aufgewendet hat, um aus dem Auto heraus zu kommen. Oder wir standen so unter Adrenalin, dass wir nicht gemerkt haben, wie stark er war."
Als er merkt, dass seine Fluchtversuche scheitern, ändert der Mann seine Strategie: Er fängt an, zu verhandeln. Versucht, bei den beiden Frauen Mitleid zu erregen. "Er hat uns gesagt, er hätte einen schlechten Tag und uns gebeten, ihn laufen zu lassen." Doch die beiden haben andere Pläne. Bargmann rennt los, klingelt die Nachbarn wach. Krawinkel hält den Täter im Auto fest. Dann rufen sie die Polizei. Als die schließlich eintrifft, begrüßen die Beamten den Mann im Auto schon beim Namen. Er ist polizeibekannt und schon mehrfach durch Diebstahl aus Autos aufgefallen.
Wie man sich während eines Verbrechens richtig verhält
Auch, wenn die Lage für die beiden Studentinnen gut ausgegangen ist, die Polizei warnt davor, in solchen Situationen einzuschreiten. "Wir als Polizei raten dringend davon ab, Einbrecher auf eigene Faust schnappen zu wollen", sagt Niklas Zankowski, Pressesprecher der Polizei Siegen-Wittgenstein. Wer ein Verbrechen beobachtet, der solle am besten sofort den Notruf wählen und den oder die Täter beobachten. "Sollte der Täter flüchten, kann man möglicherweise noch mit entsprechendem Abstand folgen, aber keinesfalls eingreifen", so Zankowski weiter.
Auch Bargmann und Krawinkel wird später klar: Das hätte gefährlich werden können. "Wir haben das in dem Moment nicht so wahrgenommen. Aber wir haben das danach relativ schnell erkannt." Heute würde Bargmann in so einer Situation anders handeln. "Ich würde definitiv wieder hinterhergehen. Aber dieses mal würde ich die Sache aus der Ferne beobachten und dabei die Polizei am Telefon haben." Bei einem Autoeinbruch sei es nicht so dringend notwendig, sich selbst in Gefahr zu begeben. Eingreifen würde sie nicht mehr - "nur noch, wenn Menschen in Not sind."
Für das beherzte Eingreifen in Situationen, in denen Menschen in Not sind, werden immer wieder Preise verliehen. 2022 hat die Polizei im Kreis Siegen-Wittgenstein drei Menschen mit dem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet, die anderen Bürgern in einer Notsituation geholfen haben. Das sind die Gewinner:
An wen geht der Preis für Zivilcourage der Polizei Siegen-Wittgenstein?
04:25 Min.. Verfügbar bis 15.09.2025.