Axel Reitz wird später mehrfach verurteilt, unter anderem wegen Volksverhetzung. Er sitzt mehrere Jahre im Gefängnis. Doch nach 15 Jahren schafft er den Ausstieg. Heute engagiert sich der 40-Jährige gegen die rechtsextreme Szene und arbeitet als Anti-Gewalttrainer.
Reitz hat auch den Fall eines Dreifachmordes in Overath sehr genau verfolgt. Im Okotber 2003 wurden dort in einer Kanzlei ein Rechtsanwalt, seine Frau und seine Tochter tot aufgefunden. Der Täter: der 45-jährige Thomas A. Zunächst gehen die Ermittler beim Motiv von Rache für einen verlorenen Rechtsstreit aus. Thomas A. gehört aber auch zur rechtsextremen Szene. In einem Brief begründet er die Morde selbst mit rechtsextremen und wirren Thesen. Mehr zu diesem Fall bei WDR Lokalzeit MordOrte.
Beim Prozess um den Dreifachmord von Overath war Reitz einige Tage als Zuschauer im Gericht, auch wenn er den Täter persönlich nicht kannte. Allerdings kann Reitz die Ideologie, die den Täter nach eigener Aussage zu seiner Tat verleitet hat, einordnen.
1. Lokalzeit: Sie sind mit 13 Jahren sehr früh in die rechtsextreme Ecke eingestiegen. Wie kam es dazu?
Axel Reitz: Alles begann damit, dass ich für ein Schulprojekt Parteien vorstellen sollte, die nicht im Bundestag vertreten waren. Dafür bekam ich zwar die Note eins, aber meine Unterlagen zu den Rechtsparteien schmiss die Lehrerin ohne Erklärungen in den Müll. Das machte mich wütend. Daraufhin habe ich die NPD kontaktiert, die mich einlud. Sie erklärten mir, dass diese Aktion doch beweisen würde, dass es in Deutschland gar keine Meinungsfreiheit gebe. Mit 13 Jahren ist man noch nicht so clever, dass man das kritisch hinterfragt. Dennoch war meine Radikalisierung zunächst nicht ideologisch geprägt.
2. Lokalzeit: Wie meinen Sie das?
Reitz: Tatsächlich findet diese Radikalisierung immer über die persönliche Ebene statt. Mir hatte etwas im Leben gefehlt. Ich hatte den Eindruck, ich werde nicht gehört, was auch an meinem sehr strengen Vater lag. Doch jetzt waren da plötzlich Menschen, die das erkannten und ausfüllten. Letztlich wollte ich diese Anerkennung behalten. Dafür habe ich ihre Parolen sowie ihre Weltbilder übernommen und war schnell in einer Spirale.
3. Lokalzeit: Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie Aussagen von sich von früher lesen oder hören?
Reitz: Ich schäme mich dafür. Am liebsten würde ich sagen, mit dem Verrückten habe ich überhaupt nichts zu tun. Aber ich weiß ja, dass ich das war. Ich weiß aber auch, warum ich das damals gemacht habe. Heute habe ich endlich die Einstellung, die ein "normaler" Mensch in der Regel hat. Das musste ich mir aber erst erarbeiten und das ist mit sehr viel Schmerz, sehr viel Leid und sehr viel Scham verbunden. Das wurde mir besonders klar, als meine Mutter vor zwei Jahren gestorben ist. Denn statt mehr Zeit mit ihr zu verbringen, habe ich lieber mit 20 Menschen irgendwo auf der Straße Hassparolen geschrien.
4. Lokalzeit: Wie gefährlich ist die Neonazi-Szene?
Reitz: Es ist nicht so, dass jeden Tag Mordanschläge geplant werden. Aber die Szene lebt letztlich vom Vernichtungswillen des politischen Gegners. In der Neonazi-Struktur, in der ich mich bewegt habe, war es Alltag. Sei es in Reden, die gehalten worden sind, die ich auch selbst gehalten habe oder sei es in Musikstücken mit menschenverachtenden Texten. Was diese Hetze bei manchen Menschen bewirkt, kann man nie wissen.
5. Lokalzeit: Sie haben damals Kriminalfälle mit rechtsextremem Hintergrund verfolgt, wie zum Beispiel den Dreifachmord in Overath. Den Prozess haben Sie sogar persönlich als Zuschauer beobachtet. Warum?
Reitz: Aus Interesse. Das Thema wurde ja auch mit meiner Weltanschauung assoziiert. Wir haben den Täter Thomas A. allerdings schnell als "Verrückten" abgestempelt. Deshalb haben wir in der Neonazi-Szene seine Verbindung zu uns in den Medien auch als Verschwörungstheorie gedeutet, um uns zu diskreditieren. Gleichzeitig haben wir den Prozess aber stark verfolgt. Man muss wissen, dass Neonazis sehr mit sich beschäftigt sind und deshalb alles aufnehmen, was über sie berichtet wird. Das ist ja das Perverse: Dass man in der Szene auf der einen Seite die Medien pauschal ablehnt. Auf der anderen Seite sich aber trotzdem freut, wenn berichtet wird, weil das vermittelt, irgendetwas Bedeutendes darzustellen.
6. Lokalzeit: Im März 2012 sind Sie schließlich aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Wie kam es dazu?
Reitz: Wenn man 15 Jahre in dieser Struktur nicht nur sozialisiert wurde, sondern dort etwas zu sagen hatte und die Parolen geglaubt hat, gibt es nicht diesen einen Schlüsselmoment. Das ist ein langer Prozess. Ich habe irgendwann gemerkt, dass der Anspruch mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Zum Beispiel wird gesagt, dass wir alle Kameraden sind, die zusammenhalten. In der Realität gab es aber einen ständigen Konkurrenzkampf. Man merkt, dass man seine Zeit eigentlich mit einem Haufen unsozialer Krimineller verbringt. Diese Erkenntnis führte bei mir zu einer starken Depression. Es ist hart, sich einzugestehen, dass 15 Lebensjahre in denen man unter anderem in Haft saß, zusammengeschlagen wurde und die Familie enttäuscht hat, in Wahrheit falsch und umsonst waren.
7. Lokalzeit: Wie lief dieser Ausstieg ab?
Reitz: In meinem Fall war es so, dass ich verhaftet wurde wegen Unterstützung der rechtsextremen Vereinigung "Aktionsbüro Mittelrhein“. Ich war zu der Zeit ohnehin schon desillusioniert. Also habe ich das gemacht, was für einen führenden Neonazi ein absolutes ‚No Go‘ ist, ich habe mit den Behörden kooperiert. Der eigentliche Ausstieg begann mit einem NRW-Aussteigerprogramm, das mir zum Glück geholfen hat. Es reicht nicht nur die Kontakte mit den alten Kameraden abzubrechen und sein Propagandamaterial wegzuwerfen. Das sind Äußerlichkeiten. Wichtig ist vor allem, dass man erkennt, warum man in diesen Strukturen war und dann auch Verantwortung dafür übernimmt. Daher wollte ich mich auch nicht verstecken oder eine Namensänderung. Die Menschen sollen wissen, was ich gemacht habe, aber auch sehen, dass ich als absoluter Fanatiker erkennen konnte, dass diese Welt falsch und Veränderung jederzeit möglich ist.
8. Lokalzeit: Wie kann man eine so extreme Weltanschauung ändern?
Reitz: Mit sehr viel Selbstreflexion und Hilfe von außen. Es ist aber ein längerer Weg. Am Anfang dachte ich auch, selbst wenn ich jetzt aus der Szene raus bin, werden die ganzen Feindbilder ja trotzdem noch zutreffen. Doch dann trifft man sich mit diesen Menschen und sieht, dass das alles vollkommener Blödsinn ist. Einfach nur ein Wahn, den man in sich getragen hat, um die eigene Frustration, Wut und den eigenen Hass durch unbewältigte Probleme rauszulassen.
9. Lokalzeit: Wie nehmen Sie die rechtsextreme Szene heute wahr?
Reitz: Die rechtsextreme Szene ist mittlerweile viel diverser, größer und leider auch einflussreicher geworden. Heute leben wir in einer Zeit der Massenradikalisierung, auch durch die AfD. Klar muss man da differenzieren. Die AfD ist keine klassische Nazi-Partei, wie zum Beispiel die NPD, in der ich Mitglied war, aber die Mechanismen sind identisch. Mitunter gibt es dort sehr offensichtliche Querverbindungen, die auch immer hemmungsloser zur Schau gestellt werden. Da gilt es für die demokratische Bevölkerung sehr, sehr aufmerksam zu bleiben und hinzuschauen.