Der Koffer in der Tiefkühltruhe
In einer Garage in Spenge läuft eine Tiefkühltruhe auf höchster Stufe. Darin befindet sich ein Koffer, in dem die Leiche einer jungen Frau liegt. Wer ist diese Frau und was ist mit ihr passiert? Fragen, die sich die Polizei im Juli 2012 auch stellt, als sie durch Zufall auf die Leiche stößt. Wer ist die Frau?
Schnell beginnt die Suche nach einem Täter. Mit Fotos von Schmuckstücken und später auch von der Leiche gelingt es den Beamten, die Identität der Toten zu ermitteln. Olga P. hatte mit 19 ihre Heimat in der Ukraine verlassen und in Deutschland in der Prostitution gearbeitet. Aber auch ein Verdächtiger tritt auf den Plan: Jakob F. Ihm gehört die Garage, in der die Tiefkühltruhe stand. Ein Zufall, denn eigentlich durchsuchte die Polizei die Garage auf Grund des Verdachtes des Menschenhandels.
Den ganzen Fall zur "Toten in der Tiefkühltruhe" gibt es bei "Lokalzeit MordOrte":
Interview: Wie geraten Frauen in die Zwangsprostition?
Birgit Schmitz ist Leiterin des Projekts RAHAB. Sie berät dort Menschen, die in der Prostitituion tätig sind oder es waren.
Lokalzeit: Mittlerweile sind einige Jahre seit diesem Fall ins Land gegangen. Haben Sie ähnliche Fälle beobachtet?
Schmitz: Ähnliche Fälle mit diesem schlimmen Ausgang hatten wir zum Glück nicht oder haben sie zumindest nicht mitbekommen. Was wir noch haben, sind Frauen, insbesondere aus Osteuropa, die hierher kommen und sich prostituieren. Frauen, bei denen man nicht weiß: Wie sind die Lebensumstände? Wie sind sie in die Prostitution gekommen und wie freiwillig war das?
Lokalzeit: Olga P. wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einem ukrainischen Dorf auf. Wie kommen Frauen wie sie in Kontakt mit Menschenhändlern?
Schmitz: Es ist oft so, dass jemand Bekanntes, also der angebliche Freund oder Onkel von irgendwem, im Dorf auftaucht und dort jungen Frauen ein gutes Einkommen verspricht und sie mit nach Deutschland nimmt. Ich habe Zweifel, inwieweit die Dorfgemeinschaften wirklich nicht wissen, worum es da geht. Ich denke, sie verschließen die Augen vor der Wahrheit.
Lokalzeit: Wieso ist das möglich?
Schmitz: Weil es ein großes System von Geheimhaltung gibt. Den betroffenen Frauen ist es oft sehr wichtig, dass die Familie nicht weiß oder nicht offiziell weiß, womit ihre Tochter ihr Geld verdient. Das hat viel mit Ehre zu tun und das wird ausgenutzt von denen, die profitieren.
Lokalzeit: Wissen die Frauen denn, worauf sie sich einlassen?
Schmitz: Das ist komplex. Wenn man die Betroffenen länger kennt und etwas über ihre Vorgeschichte weiß, dann haben sie sich für diesen Weg entschieden, um Geld zu verdienen. Auch, weil sie keine andere Möglichkeit gesehen haben, sodass es auch nicht ganz freiwillig passiert. Nicht selten hängen ein ganzes Familiensystem oder Kinder daran, die im Heimatland versorgt werden müssen.
Wie wird gegen Zwangsprostituion vorgegangen?
Lokalzeit: Welche Maßnahmen werden in Deutschland ergriffen, um Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution zu schützen?
Schmitz: Wir haben in Deutschland seit 2017 das Prostituiertenschutzgesetz, damit Opfer von Zwangsprostitution Hilfe und Versorgung in Anspruch nehmen können. In Düsseldorf geht das beispielsweise über die Rahab e.V. Zu dem Gesetz gehört aber auch, dass die Betroffenen es klar benennen und selbst als Zwang bezeichnen und sich nach wie vor in einer Zwangssituation befinden. Das sind natürlich hohe Anforderungen an diese Frauen. Grundsätzlichere Maßnahmen gibt es aber nicht.
Lokalzeit: Die Maßnahmen reichen also nicht aus?
Schmitz: Aus meiner Sicht nicht. Es gibt einen hohen Anteil Frauen, die sich im Rahmen von Armut prostituieren, die nicht aus Deutschland kommen. Wären die Verhältnisse anders, würden sich also mehr deutsche Frauen prostituieren, dann wäre der Gesetzgeber wahrscheinlich aktiver. Aber das ist eine persönliche Vermutung. Ich habe dafür keine Belege.
Lokalzeit: Heißt das, es gibt spezifische Gruppen von Frauen, die besonders gefährdet sind, in die Prostitution abzurutschen?
Schmitz: Was die Frauen eint, ist ihr junges Alter, finanzielle Probleme, wenig Kontakte außerhalb der Branche und oft eine Hilflosigkeit bezüglich der Strukturen in Deutschland. Selbstverständlich gibt es auch junge Frauen, die selbstbestimmt und auch erfolgreich in der Prostitution sind. Das sind aber die Frauen, die nicht in den gängigen Bordellen oder Clubs arbeiten.
Lokalzeit: Was hilft Frauen in solchen Situationen?
Schmitz: Frauen landen in solchen Zwangssituationen, weil sie langfristig keine andere Erwerbsmöglichkeit sehen. Damit das weniger wird, müssen sich die Voraussetzungen, unter denen Prostitution ausgeübt wird, ändern. Sexarbeiterinnen dürfen nach dem Prostituiertenschutzgesetz nur selbstständig arbeiten. Da steckt zwar guter Wille hinter dem Gesetz, es führt aber zu Problemen.
Lokalzeit: Und zu welchen?
Schmitz: In der Realität führt das dazu, dass die Krankenversicherung nicht vernünftig geregelt ist, dass es keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II gibt – all das, was wir als Sicherungssysteme in Deutschland haben, darauf haben diese Frauen keinen Zugriff. Das fehlende soziale Netz nimmt Frauen, die sich nicht freiwillig oder aus Armutsgründen prostituieren, die Chance, sich weiterzubilden und aus dem System auszubrechen. Sie sehen keine Chance, angestellt zu werden.
Lokalzeit: Woran liegt das?
Schmitz: Das liegt unter anderem an Sprachbarrieren und daran, dass das Rotlicht ein geschlossenes Milieu ist. Also kaum Kontakte außerhalb vorhanden sind. Die Frauen kennen niemanden, zu dem sie sagen können: "Hey, du arbeitest doch in diesem oder jenem Café, kann ich da auch anfangen?"
Wo finden Frauen Hilfsangebote, um aus der Prostitution auszusteigen?
Lokalzeit: Wo gibt es Hilfe?
Schmitz: Wenn jemand Opfer von Zwangsprostitution ist, dann diese Person sich an die Polizei oder an die Frauenberatungsstellen wenden. Dann darf sie bleiben, wenn sie bereit ist, gegen den Täter auszusagen. Wenn eine Frau illegal eingereist ist, sich prostituiert und dann aufgegriffen wird, wird sie ausgewiesen.
Lokalzeit: Gibt es Zeichen und Merkmale, die auf Menschenhändler hinweisen, auf die Frauen achten können?
Schmitz: Das ist überall unterschiedlich, auch innerhalb Deutschlands. Hier ist die Loverboy-Methode weit verbreitet. Loverboys sind junge Männer, die eine Beziehung mit noch jüngeren Mädchen eingehen und die von sich abhängig machen, die Mädchen von ihrem gewohnten Umfeld isolieren und dann dazu bringen, sich zu prostituieren.
Lokalzeit: Wie können sich Frauen vor Menschenhändlern schützen?
Schmitz: Es gibt gute Präventionsprogramme, die beim Selbstbewusstsein der Frauen ansetzen. Darin lernen sie, dass sie nicht dem Willen eines Mannes gehorchen müssen und sich nicht darüber definieren müssen, ob sie jemand attraktiv findet. Besonders schwierig ist das allerdings bei Frauen, die aus extrem patriarchalen Strukturen kommen.
Lokalzeit: Wie hilft die Frauenberatungsstelle Sexarbeiterinnen?
Schmitz: Grundsätzlich sind wir eine stigmafreie Beratung. Der Bedarf unserer Klientin ist unser Auftrag. Wir helfen mit behördlichen Anträgen, praktischen Dingen wie Wohnungssuche, unterstützen bei gesundheitlichen Anliegen wie Schwangerschaft oder sexuell übertragbaren Krankheiten. Die psychosoziale Beratung, zum Beispiel bei Gewalt in der Beziehung, anderen Beziehungsproblemen, Problemen mit Kindern und der Erziehung, spielt auch eine große Rolle.
Lokalzeit: Im MordOrte-Beitrag zum Fall Olga P. sagten Sie im Interview: "Wir kümmern uns als Gesellschaft nicht drum." Was wünschen Sie sich denn von Gesellschaft und Politik?
Schmitz: Zuallererst wünsche ich mir mehr Akzeptanz. Eine laufende Kampagne bringt es auf den Punkt: "Ich bin Sexarbeiterin und Mensch." Die meisten Menschen sehen nur die "Prostituierte" mit allen Stigmata, Vorurteilen und eigenen Vorstellungen über den Beruf und nicht den Menschen dahinter. Außerdem wünsche ich mir Verantwortung aus der Politik. Man kann nicht sämtliche Rahmenbedingungen außer Acht lassen, mit der Begründung: "die machen das ja freiwillig". Kein Politiker würde diese Arbeitsbedingungen seiner Tochter wünschen.