Die 34-jährige Sandra S. lebt 2009 gemeinsam mit ihrem Freund Jörg W. und ihren zwei kleinen Kindern in Bottrop. Die beiden Kinder sind von verschiedenen Männern. Ihr erstes Kind Lara (Name geändert) ist vier Jahre alt. Sie ist die gemeinsame Tochter von Sandra S. und ihrem 36-jährigen Ex-Mann Markus L. Vater des einjährigen Sohnes Marvin (Name geändert) ist Jörg W.
Heftige Streitereien zwischen Sandra. S. und dem 44-jährigen Jörg W. gehören zum Alltag. Meist geht es um Meinungsverschiedenheiten über die Erziehung der Kinder und meist setzt sich Jörg W. durch. Um seinen Willen zu bekommen, wird der frühere Türsteher immer wieder laut. Irgendwann beginnt er seine Freundin zu schlagen und zu demütigen. Sandra S. hat Angst vor ihm.
Des Friedens wegen gibt sie nach, ordnet sich unter. Ein Verhaltensmuster, das Jörg W. in all seinen Beziehungen so zeigt, sagt Rechtsanwalt Volker Schröder: "Jörg W. war am Anfang zu all seinen Partnerinnen besonders aufmerksam und großzügig. Aber sobald er sie in seinen Bann gezogen hatte, änderte er sich um 180 Grad. Er wurde gewalttätig, besitzergreifend, streitsüchtig. Er hat seine Freundinnen misshandelt, geschlagen und getreten." Volker Schröder wird den später anstehenden Mordprozess vor dem Essener Landgericht als Strafverteidiger mitverfolgen. Er wird der Anwalt des Angeklagten Ex-Ehemannes Markus L. sein.
Markus L. erfährt nämlich irgendwann von der Situation seiner Ex-Frau. Er sorgt sich, dass die gemeinsame Tochter Lara ebenfalls von Jörg W. misshandelt werden könnte. Er sucht Hilfe beim Jugendamt, doch es scheint - und so wird es auch vor Gericht festgestellt - dass Jörg W. keines der beiden Kinder schlägt. Seinen Frust lässt er demnach nur an Sandra S. aus.
Markus L. ist enttäuscht vom Jugendamt. Fühlt sich alleingelassen. Selbst wenn seine Tochter nicht auch Opfer von Jörg W.s Wutausbrüchen ist, so wächst sie in einem gewaltvollen Umfeld auf. Also sucht er eine persönliche Aussprache mit dem neuen Freund seiner Ex-Frau, mit der er trotz der Scheidung noch immer ein gutes Verhältnis pflegt. Doch das Gespräch mit Jörg W. verläuft anders als erhofft. Jörg W. fordert Markus L. auf, sich aus den Angelegenheiten von Sandra S. rauszuhalten. Dabei betont er auch seine Verbindungen in die Türsteherszene. Würde sich Markus L. nochmal einmischen, wäre die Antwort körperliche Gewalt, droht Jörg W.
Trotz mehrfacher Aufforderungen von Familie und Freunden, schafft es Sandra S. nicht, Jörg W. zu verlassen. Zu groß ist ihre Angst vor W.s Konsequenzen. Laut gerichtlichem Gutachten litt die zweifache Mutter unter einer Anpassungsstörung. "Bei einer Anpassungsstörung ist der Beginn irgendeine Form von Belastung. Das kann der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Krankheitsdiagnose oder eine Scheidung sein. Jeder empfindet so eine Situation als schwierig, doch die Meisten sind in der Lage sie zu bewältigen", sagt die Kriminalpsychologin Lydia Benecke.
"Menschen mit einer Anpassungsstörung hingegen haben nicht genügend Ressourcen, solche Lagen zu bewältigen. Sie entwickeln unterschiedliche Symptome, wie Depressionen, Ängste, sie fühlen sich hilflos. Sie schaffen es nicht eine passende Lösung für ein Problem zu finden."
Jörg W. "für immer wegbringen"
Es kommt schließlich zum Abend des 17. Februar 2009. Jörg W., der neben seiner Beziehung zu Sandra S. heimlich weitere Frauenbekanntschaften pflegt und auch regelmäßig auswärts übernachtet, ist frustriert. Polizeiliche Auswertungen seines Mobiltelefons ergeben später, dass der 44-Jährige versuchte ein Date mit einer anderen Frau für den Abend zu vereinbaren. Dies klappt nicht, sodass er zu Hause bei seiner Freundin und den Kindern schläft. Wieder fängt er einen Streit mit Sandra S. an, ohrfeigt und demütigt sie, droht sie zu verlassen und den gemeinsamen Sohn mitzunehmen.
Während Jörg W. sich daraufhin auf der Couch im Wohnzimmer schlafen legt, schließt sich die verängstige Frau im Badezimmer ein. In ihrer Verzweiflung, so schilderte sie es hinterher auch vor Gericht, ruft sie ihren Ex-Mann Markus L. an und bittet ihn um Hilfe. Er solle vorbeikommen und Jörg W. "für immer wegbringen" lassen, gibt Sandra S. hinterher in der polizeilichen Vernehmung an. Als die Ermittlerin sie fragt, was das genau bedeute, fordert sie einen Anwalt.
Markus L. zögert nicht lange und folgt dem Hilferuf. "Es war kurz vor Mitternacht. Markus L. kam bewaffnet mit einem metallenem Baseballschläger, Kabelbinder und einem Seil vorbei. Sandra S. hatte ihn heimlich in die Wohnung gelassen. Er sollte nicht klingeln, damit Jörg W. nicht wach wird. Der 36-Jährige verpasste dem schlafenden Jörg W. einen Faustschlag und prügelte dann auf sein Opfer ein", berichtet sein Anwalt Volker Schröder. Im Anschluss soll Sandra S. mit einem Beil auf ihren Freund eingeschlagen haben. Jörg W. überlebt diesen Angriff nicht, er stirbt noch vor Ort an seinen schweren Verletzungen, wie ein Gerichtsmediziner später feststellen wird.
Mit Leichenspürhunden überführt
Nach der Tat versucht das Ex-Paar, Spuren zu beseitigen. Sie wickeln die Leiche in ein Bettlaken und tragen sie ins Auto von Markus L. Während Sandra S. die Blutspuren wegwischt, macht sich Markus L. auf den Weg, Jörg W.s Leichnam zu beseitigen. Er fährt etwa vier Kilometer weiter an eine Brücke, die über den Rhein-Herne-Kanal führt. Er versucht mit aller Kraft, die Leiche über das Brückengeländer zu hieven, doch sie ist zu schwer. Markus L. lässt die Leiche auf der Brücke liegen und fährt davon. In den Folgetagen versteckt er das Tatwerkzeug und hilft Sandra S. dabei, das Sofa, auf dem Jörg W. starb, zu entsorgen. Die Blutflecken darauf lassen sich nicht komplett entfernen.
Nachdem Sandra S. ihren Freund als vermisst meldet, ermittelt die Polizei in den nächsten zwei Wochen in alle Richtungen. Viele Menschen werden befragt. Jörg W. war bekannt und hatte zahlreiche Affären. Doch den Ermittelnden fällt eine Sache auf: Bei der ersten Vernehmung in Sandra S.' Wohnung stand das Sofa noch im Wohnzimmer, bei einer zweiten Befragung ist es verschwunden. Ihre Telefondaten werden ausgewertet und zeigen, dass sie in der Tatnacht häufiger mit Markus L. telefonierte. Für weitere Ermittlungen in der Wohnung brachten die Kriminalbeamt:innen Leichenspürhunde mit. "Diese haben angeschlagen, sodass für die Polizei klar war, dass dieser Leichnam in der Wohnung gewesen sein muss. Letztlich hatte man an der Leiche auch DNA-Spuren von Markus L. gefunden, somit war der Sack zu und man hatte beide", schildert Rechtsanwalt Volker Schröder.
Vor dem Landgericht Essen gestehen Sandra S. und Markus L. die Tat. Zu erdrückend sind die Beweise gegen das Ex-Ehepaar. Sie werden wegen des gemeinschaftlichen Mordes schuldig gesprochen, erhalten jedoch unterschiedlich lange Haftstrafen. Während Sandra S. wegen ihrer hochbelastenden Situation und der Misshandlungen durch Jörg W. als vermindert schuldfähig eingestuft wird und eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren erhält, muss Markus L. lebenslang in Haft.