"Liebe Kinder, seid ihr bereit?", ruft Johanna Griese durch den Wald. Aus mehr als 20 Kehlen kommt ein lautes, lang gezogenes "Ja" zurück. Projektkoordinatorin Griese dreht den Kindern den Rücken zu. Sie rennen wie wild los, den Waldweg entlang auf sie zu. Bis sich Griese wieder umdreht. Dann bleiben alle völlig regungslos stehen.
Es ist eines von vielen Spielen in der Wildnisschule Senne. Vier Tage lang erkunden Kinder in Hövelhof im Kreis Paderborn zusammen den Wald. Der Verein "Helden e.V." organisiert das Camp. Dem Team ist wichtig, dass es um mehr als reine Unterhaltung für die Kinder geht. "Unsere Sorge ist, dass die Kinder nicht mehr rauskommen, nicht mehr wissen, in was für einer Welt sie leben und alles nur noch über den Bildschirm gefiltert sehen", sagt Thorsten Kröber, stellvertretender Vorstand von "Helden e.V.". Die Corona-Pandemie brachte weitere Probleme für Kinder und Jugendliche mit sich.
73 Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind laut Bundesministerien für Familie und Gesundheit als Folge der Pandemie psychisch belastet. Seit Corona hätten viele Kinder starke soziale Defizite, meint auch Kröber. Er beobachtet "erhöhtes Aggressionspotential und mangelndes Vertrauen".
Mehr als ein reines Outdoor-Camp
Dieses Vertrauen soll spielerisch wieder gestärkt werden. Ein Teil der Kinder bekommt Augenbinden auf, die wie ein Fuchskopf aussehen. Andere Kinder sollen sie nun durch den Wald mit seinen herumliegenden Ästen, Baumstämmen und anderen Stolperfallen führen. Nicht immer gelingt das erfolgreich, Spaß haben trotzdem alle. Bei dem Spiel müssen die Kinder zudem zeigen, dass sie Verantwortung füreinander übernehmen. "Wir wollen die Kinder dazu bringen, selbst an sich zu arbeiten", sagt Kröber.
Nebenbei lernen sie Neues über den Wald und die Pflanzen und Tiere, die dort leben. Teilnehmer Luca kennt jetzt zum Beispiel den Unterschied zwischen einem Steinpilz und einem Maronen-Röhrling. "Den Maronen-Röhrling erkennt man daran, dass er oben ein bisschen rot ist und einen dünneren Stamm hat als der Steinpilz. Das habe ich im ersten Jahr in der Wildnisschule gelernt", erzählt er stolz.
Wald-Wissen für Kinder
Erlebnispädagoge Peter Klaus erklärt den Kindern geduldig die Geheimnisse, die es im Wald zu entdecken gibt. Unter anderem, wie die ätherischen Öle in der Birkenrinde dabei helfen können, Feuer zu machen. Auch über die Hinterlassenschaften auf dem Waldboden gibt es viel zu lernen.
"Viele Kinder lernen bei uns, dass es nicht nur Online-Survival gibt, sondern auch ein reales Survival. Dass sie draußen etwas erleben können", sagt Klaus. Der einsetzende Regen macht den Kindern dabei überhaupt nichts aus. "Wenn es regnet, kann man hier im Wald noch genauso viele Sachen machen", sagt die neunjährige Melina.
Klettern, spielen, entdecken, lernen - das kommt bei den Kindern in der Wildnisschule gut an. "Ich bin schon zum dritten Mal dabei", erzählt Teilnehmerin Amelie. Die Frage nach Handy oder Wald beantwortet sie mittlerweile ohne zu zögern: "Der Wald ist einfach viel spannender".
Die Wildnisschule Senne bietet ihre Kurse nicht nur für Kinder an. Auch Schulen, Unternehmen oder Privatpersonen können an den unterschiedlichen Workshops teilnehmen, in denen es um Zusammenhalt und einen bewussteren Umgang mit der Natur geht.
Über dieses Thema haben wir auch am 12.10.2023 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.