Langsam und unter schwerfälligem mechanischem Surren hebt sich das tonnenschwere Schleusentor am Wesel-Datteln-Kanal in Hünxe. In Strömen rinnt das Wasser in den Kanal. Peter Weber, in neongelber Schutzkleidung und mit Sonnenbrille, schaut vom Rand entspannt zu. An seiner Gelassenheit und den routinierten Handgriffen merkt man schnell, dass er nicht wenig zeit seines Lebens mit der Schifffahrt verbracht hat. Neben ihm liegt ein rund 100 Meter langes Frachtschiff, fest mit dicken Seilen am Ufer vertaut, damit es nicht von der Strömung mitgerissen wird. Ohne die Festmacher, wie Weber einer ist, wäre an dieser Stelle für das Frachtschiff aktuell sonst kein Weiterkommen.
Wesel-Datteln-Kanal in Hünxe: Ein ungewöhnlicher Beruf am Schleusentor
Schiffsschleusen verbinden Wasserstraßen mit unterschiedlich hohem Pegelstand. Die Schiffe fahren an einer Seite in die Schleuse rein. Dann schließt sich das Einfahrtstor und das Wasser wird so lange gestaut, bis das Pegelniveau am Ausgangstor erreicht ist. Während dieses Vorgangs müssen die Schiffe vertäut werden.
Seit 2018 sind bei der Schleuse in Hünxe die Festmacher im Einsatz, die auf dieser hochfrequentierten Strecke für eine sichere Durchfahrt mitverantwortlich sind. Der Wesel-Dattel-Kanal verbindet über mehrere solcher Schleusen den Rhein mit dem Dortmund-Ems-Kanal und ist nach dem Rhein die am meisten befahrene Wasserstraße in Deutschland. Dass es ihren Beruf überhaupt gibt, liegt auch am Modernisierungsstau. "Das Problem sind die Nischenpoller. Die sind zu alt", sagt Weber.
An den Nischenpollern konnten sich Schiffe in der Schleuse früher selbst festmachen. Doch dafür sind die Poller schon seit Jahren zu marode. Deshalb müssen die Taue oben an Land befestigt werden. Da die Matrosen dort aber nicht drankommen, übernehmen das die Festmacher. In Seehäfen wie Hamburg oder Bremerhaven sind Festmacher ein bekanntes Berufsbild. In NRW eher eine Seltenheit.
Festmacher: Kein ungefährlicher Job
Wenige Minuten zuvor: Peter Weber ruft laut "okay" und greift nach der dicken, gelben Schlaufe am Ende eines Schiffstaus. Er steht am Rand einer Schleusenmauer und schaut auf das Schiff am anderen Ende des Taus herunter. Entschlossen legt er die Schlaufe um einen massiven Poller im Boden. Wieder ruft er "okay" und macht sich auf den Weg zum nächsten Poller.
Mit Blick auf Webers Arbeitskleidung wird sofort klar: Sein Job ist nicht ungefährlich. Hose und Oberteil sind neongelb, um den Hals trägt er eine rote Rettungsweste und hinten am Rücken sichert ihn ein Seil, das in einer Schiene über ihm verankert ist. Schutzmaßnahmen für den Fall, dass er zum Beispiel an der Schleusenwand abrutscht. Nicht die einzige Gefahr: "Immer Abstand halten von den gespannten Tauen. Wenn die reißen, das schmeißt euch in die Ecke. Da sind schon ganz schlimme Unfälle passiert", warnt Weber, während er am Rande der Schleusenwand entlang läuft.
An der Schleuse in Hünxe gibt es zwei unterschiedlich große Kammern. Weber arbeitet ausschließlich in der großen Schleusenkammer, dort wo die maroden Nischenpoller stehen. Sie ist rund 220 Meter lang und stammt noch aus den 30er-Jahren. Die kleine Schleusenkammer mit knapp über 110 Metern wurde in den 60er-Jahren gebaut, dort kommen keine Festmacher zum Einsatz, weil die Nischenpoller noch belastbar sind.
Das Problem mit den Nischenpollern kennen auch andere Schleusen in NRW. In Datteln und Wesel ist zum Beispiel ebenfalls ein Festmacherdienst im Einsatz. Doch seit Einführung des Dienstes gibt es auch Kritik: Die Sanierung der Nischenpoller dauere zu lang. Auch in Hünxe sollen sie in den kommenden Jahren wieder instand gesetzt werden. Bis dahin bleiben Weber und seine Festmacher-Kollegen im Einsatz und helfen bei der Regelung des Schleusenverkehrs.
Gemeinschaftsgefühl in der Binnenschifffahrt: "Wir sind eine Familie"
Weber ist gelernter Bootsmann und war auch schon als Steuermann unterwegs. Dann arbeitete er jahrzehntelang nicht mehr im Schifffahrts-Bereich. Vor ein paar Jahren las er in der Zeitung vom Job als Festmacher und bewarb sich. "Ich bin zufrieden. Es gibt auch schlechte Tage, wenn es regnet. Aber ansonsten: passt!"
Seit viereinhalb Jahren arbeitet er inzwischen an der Schleuse in Hünxe. "Man kennt sich. Die Binnenschiffer und die Festmacher sind eine Familie." Weber bekommt auch schon mal Weihnachtsgeschenke von den Schiffsleuten, erzählt er. Im nächsten Jahr wird er sich allerdings verabschieden. Dann geht er in Rente. Mit einem Lächeln im Gesicht sagt er: "Ich hab mit der Schifffahrt angefangen und ich höre auch mit der Schifffahrt auf. Fertig."
Über das Thema berichten wir am 23.06.2023 auch im WDR-Fernsehen: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.